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RESSOURCEN/226: USA - am eigenen Ast gesägt ... (SB)



Seit 15 Jahren strömt im Golf von Mexiko permanent Erdöl aus mehr als einem Dutzend kleinerer Ölquellen, nachdem eine Bohrinsel vom Wirbelsturm Ivan beschädigt worden war. Einer Schätzung zufolge könnte inzwischen fast die gleiche Menge Erdöl freigesetzt worden sein wie nach der berüchtigten Havarie der Bohrinsel Deepwater Horizon im Jahr 2010, wie die "Washington Post" berichtete [1].

Nun will die US-Küstenwache die Bohrlöcher schließen. Dagegen hat das verantwortliche Unternehmen Taylor Energy jedoch mit der Begründung geklagt, daß dadurch noch viel mehr Erdöl freigesetzt werden könnte. Die Abschätzungen zur Ölverseuchung seien maßlos übertrieben.

Umgekehrt wird offenbar ein Schuh daraus: Die Angaben Taylor Energys waren maßlos untertrieben. An der Wasseroberfläche tauchen große Ölflecken auf, und Untersuchungen zufolge ist der Meeresboden dermaßen getränkt mit Erdöl, daß tatsächlich zunächst größere Mengen der klebrigen Masse in Umlauf gebracht werden könnten, sollte man versuchen, die vom Schlamm bedeckten Bohrlöcher zu versiegeln. Aber wenn man es nicht macht, würde den Berechnungen zufolge noch 100 Jahre lang Öl aus der Lagerstätte ausfließen, bis diese erschöpft ist.

Anfang September 2004 war der Wirbelsturm Ivan in den Golf von Mexiko eingedrungen und hatte Dutzende Tote und schwere Schäden unter anderem auf Grenada und den Cayman-Inseln hinterlassen. Ivan löste gewaltige Wellen sowie eine bis dahin unerreicht kraftvolle Meeresströmung aus. Die Hänge eines Tiefseecanyons stürzten ein, 20 Kilometer vor der Küste kollidierten Schlammlawinen mit der Ölplattform "Mississippi Canyon 20" von Taylor Energy, die losgerissen wurde und um 300 Meter von ihrem Standort versetzt auf Grund lief. 25 der mit der Plattform verbundenen Bohrlöcher wurden abgeschert und unter großen Mengen an Schlamm begraben.

Der Experte für Fernanalysen von Erdölfreisetzungen Oscar Garcia-Pineda hat umfangreiche Recherchen durchgeführt und ist zu der Auffassung gelangt, daß aus den noch offenen Bohrlöchern täglich bis zu 700 Barrel (1 Barrel = ca. 159 Liter) entweichen. In gut vierzehn Jahren seit Beginn der Katastrophe seien schätzungsweise zwischen 1,5 und 3,5 Millionen Barrel Erdöl ausgelaufen. Zum Vergleich: Bei der Havarie von Deepwater Horizon strömten gut vier Millionen Barrel Erdöl in den Golf von Mexiko.

Bereits im vergangenen Jahr hatte die "Washington Post" über die Ölverseuchung in relativer Nähe zu der Stelle, an der auch Deepwater Horizon versank, berichtet. Sechs Jahre lang hatte die breite Öffentlichkeit nichts von der schleichenden Ölkatastrophe im Golf von Mexiko erfahren. Erst 2010, nach dem Untergang von Deepwater Horizon, waren Umweltbeobachter von SkyTruth auf der Suche nach Auswirkungen dieser Havarie im Golf von Mexiko auf einen Ölfilm gestoßen, der von einer anderen Plattform stammen mußte.

Neun der 25 zerstörten Bohrlöcher vermochte Taylor Energy zu schließen. 2008 hatte die US-Regierung das Unternehmen aufgefordert, einen Trust in Höhe von rund 666 Mio. Dollar zu bilden, damit ausreichend Gelder vorhanden sind, um auch die verbleibenden rund 16 Löcher zu versiegeln. Geschehen ist nichts. In jenem Jahr hatte Taylor Energy die Ölquellen an ein südkoreanisches Konsortium verkauft. Ein Teil der Gelder aus dem Trust wurde verbraucht, ein anderer Teil eingefroren.

Schon 2015 hatte die Nachrichtenagentur AP [2] berichtet, daß die Angaben des Unternehmens über freigesetzte Ölmengen um den Faktor 20 zu niedrig sind. Die aktuellen Einschätzungen von Garcia-Pineda gehen auch darüber noch deutlich hinaus. Taylor Energy besteht aus nur einem einzigen Mitarbeiter, Vorstandschef William Pecue. Der sagte 2016 bei einer öffentlichen Anhörung in Baton Rouge, Louisiana, die Ölkatastrophe sei "Gottes Werk". Für die untermeerische Hangrutschung könne sein Unternehmen nichts, darum habe es auch keine Verpflichtung, die Lecks zu schließen. Pecue will für die früheren Eigentümer die im Trust verbliebenen 432 Mio. Dollar freiklagen.

Die US-Küstenwache will der permanenten Ölverseuchung des Golfs von Mexiko nicht tatenlos zusehen und hat im vergangenen Jahr Taylor Energy ein Ultimatum gesetzt: Kümmere dich um die Lecks oder aber zahle täglich eine Strafe in Höhe von 4.000 Dollar. Weil das Unternehmen nichts unternommen hat, geht die Küstenwache nun selbst zu Werk. Sie hat die Couvillion Group angeheuert, damit es die Ölverseuchung eindämmt und, so die Hoffnung, die Lecks schließt.

An diesem Beispiel wird mehr als nur die Rücksichtslosigkeit eines bestimmten Erdölunternehmens deutlich, das sogar noch die Chuzpe hat, gegen jene zu klagen, die den Austritt des Öls unterbinden wollen. Nicht nur in den USA beschädigt der Mensch seine Um- und Mitwelt so sehr, daß dadurch die Lebensvoraussetzungen gefährdet werden. Allein zwischen Juli 2010 und April 2015 waren beim National Response Center (NRC) fast 10.000 Ölaustritte im Golf von Mexiko gemeldet worden [3]. Es wird aber längst nicht alles gemeldet, was gemeldet werden müßte - im Kleinrechnen von Ölaustritten sind auch andere Unternehmen bewandert. Und im normalen Betrieb der Erdöl- und Erdgasinstallationen finden tagtäglich Myriaden Leckagen statt, die gar nicht erst meldepflichtig sind, da sie als zu geringfügig angesehen werden.

Würde man schlagartig nicht nur Erdöl und Erdgas, sondern auch sämtliche Produkte, an deren Herstellung diese fossilen Rohstoffe beteiligt sind, wegzaubern, würden Menschen vermutlich zu Millionen, wenn nicht Milliarden sterben. Dieses Bild zeigt, auf welch weitreichende Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen die Weltgesellschaft ihren sogenannten technologischen Fortschritt gegründet hat. Wenn eine Technologie wie die Offshore-Förderung von Erdöl dauerhaft Umweltschäden erzeugt, die nur deshalb nicht behoben werden können, weil der Vorgang der Schadensbeseitigung das Gegenteil vom beabsichtigten Effekt auslöst, sollte die Technologie an sich in Frage gestellt werden.


Fußnoten:

[1] https://www.washingtonpost.com/climate-environment/2019/03/02/us-is-trying-end-longest-oil-spill-history-this-company-is-trying-stop-it

[2] https://www.nola.com/environment/2015/04/gulf_oil_spill_hidden_2004.html

[3] https://www.greenpeace.org/usa/oil-leak-last-100-years-company-refuses-fix/

5. März 2019


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