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BERICHT/006: Klima, Aerosole - Schadensträger im Fadenkreuz, Teil 3 (SB)


Dr. Claudia Timmreck - Foto: © 2011 by Schattenblick

Dr. Claudia Timmreck
Foto: © 2011 by Schattenblick

Generation Aufbruch in der kritischen Forschung

Bericht von der Konferenz "Severe Atmospheric Aerosol Events" am 11./12.8.2011 in Hamburg

Teil 3: Anregender Forscherdisput über die globalen Klimafolgen durch Aerosole des Toba-Ausbruchs

Fachtagungen wie die jüngste Klimakonferenz in Hamburg bieten Forschern aus aller Welt Gelegenheit, persönlich miteinander zu sprechen und Fragen zu diskutieren, deren Erörterung sich sonst in den entsprechenden Fachpublikationen über Monate oder Jahre erstrecken. Womöglich entfachen die auf solchen Treffen ausgetragenen Debatten sogar aufs neue die Leidenschaft, die vonnöten ist, um die im Feld, in der Laboranalyse oder der computergestützten Simulation gewonnenen Daten ergebnisoffen weiterzuverarbeiten. Jedenfalls wird auf Kongressen wie diesem das Fundament des Wissenschaftsgebäudes schon mal auf seine Festigkeit hin abgeklopft, wenn die Vertreter einander widersprechender Thesen oder Theorien ihre Forschungen dem Publikum präsentieren und mit kritischem Blick und wachen Ohr die Ausführungen der ebenfalls um die Zustimmung der Experten bemühten "konkurrierenden" Seite prüfen.

Auf der Hamburger Konferenz "Severe Atmospheric Aerosol Events" wurde im Nebenlauf ein solcher Forscherdisput über die Deutung von Aerosol-Einlagerungen im grönländischen Eis geführt. Ein Streit unter Kollegen, eine Meinungsverschiedenheit hinsichtlich bestimmter Daten, vielleicht kaum mehr als divergierende Deutungen der Ausgangsbedingungen, doch dabei fundamentale Fragen der Menschheitsentwicklung berührend.

Vor rund 74.000 Jahren explodierte der Vulkan Toba auf der heute Sumatra genannten indonesischen Insel. Ein Supervulkanausbruch, darin sind sich die Forscher einig, dem die Stufe 8 und damit die höchste Stufe des Vulkanexplosivitätsindex (VEI - Volcanic Explosivity Index) zugemessen werden muß. Schichten aus Toba-Vulkanasche finden sich im gesamten südasiatischen Raum; Indien wurde von einer im Durchschnitt 15 Zentimeter dicken Ascheschicht bedeckt. Selbst im grönländischen Eis, aufwendig angebohrt und analysiert, finden sich Schwefelpartikel von der Toba-Explosion ...

Halt, halt! Nicht so eilig. Daß jene Partikel, die Forscher in Eisbohrkernen der Expeditionen GRIP und GISP2 auf Grönland entdeckt haben, "Toba sind", wie die Experten es verkürzt zu sagen pflegen, ist umstritten. Der Schwefel könnte auch von einem annähernd zeitgleich erfolgten, noch unbekannten Vulkanausbruch auf Island stammen, meinte die Klimaforscherin Dr. Claudia Timmreck vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in ihrem Vortrag "Climate impact of the young Toba tuff eruption" (Klimaeinfluß der jüngeren Toba-Tuff-Eruption).

Die Forscherin steht, wollte man polarisieren, für eine Seite der wissenschaftlichen Debatte um den Toba-Ausbruch. Auf der anderen haben wir Prof. Dr. Stanley H. Ambrose von der Universität von Illinois in Urbana-Champaign. Im Gegensatz zu Timmreck weist er der Toba-Eruption eine langanhaltende globalklimatische Bedeutung zu. Die vulkanischen schwefelhaltigen Aerosole hätten sich um den gesamten Erdball gelegt, den Planeten für lange Zeit der wärmenden Sonneneinstrahlung beraubt und damit Pflanzen, Tiere und Menschen an den Rand des Aussterbens gebracht. Das katastrophale Ereignis hätte die aus Ostafrika auswandernden Hominiden sprichwörtlich kalt erwischt, die Anzahl der gebärfähigen Vertreterinnen des Homo sapiens sei auf etwa 5000 geschrumpft. Beinahe hätte es für unsere Urahnen das Aus bedeutet, sagte der Anthropologe in seinem Vortrag "Consequences of the younger Toba tuff eruption for human adaptation and evolution" ("Auswirkungen der jüngeren Toba-Tuff-Eruption auf die menschliche Anpassung und Evolution").

Prof. Dr. Stanley M. Ambrose - Foto: © 2011 by Schattenblick

Prof. Dr. Stanley M. Ambrose
Foto: © 2011 by Schattenblick
Ambrose bemüht die Genetik und ihre Methoden der mikrobiologischen Analyse der mitochondrialen DNA. Allein deren Ergebnisse lassen darauf schließen, daß die Zahl der Vertreter des Homo sapiens zu jener Zeit stark zusammenschrumpfte und sich erst etliche Generationen darauf wieder vergrößerte. Als Bottleneck- bzw. Flaschenhalstheorie wird diese Vorstellung in der einschlägigen Literatur beschrieben. Ambrose benötigt die Annahme eines Supervulkanausbruchs, um das Zustandekommen jenes genetischen Flaschenhalses zu erklären, und sammelt weltweit entsprechende Indizien.

Dazu zählen eigenhändig durchgeführte stratigrafische Untersuchungen von Bodenprofilen in Indien im Oktober 2006, aus denen die Mächtigkeit des Toba-Ascheauswurfs abgeleitet wird; dazu zählt die Analyse von Pollen aus dem Golf von Bengalen und Zentralindien, die einen Rückgang der von guten Witterungsverhältnissen abhängigen Baumarten zu genügsamen Gräsern und wieder zurück zeigen; dazu gehört der annähernd zeitgleich mit dem "Flaschenhals" beim Homo sapiens von Paläontologen festgestellte Rückgang anderer Spezies, zum Beispiel von zwölf größeren Säugetierarten in Südostasien. Und auch in den limnologischen Bohrprofilen aus dem westafrikanischen Bosumtwisee sowie dem Tanganjikasee und Malawisee in Ostafrika sieht Ambrose eine Bestätigung seiner Theorie von einer langen Kältephase, ausgelöst durch die Toba-Eruption, mit einer Verringerung der globalen Durchschnittstemperatur von 3 bis 3,5 Grad Celsius. So kalt sei es zu keiner anderen Zeit der letzten 125.000 Jahre gewesen, erklärte er.

Die grönländischen Eisbohrkerne zeigten klipp und klar einen Bereich von fünf Zentimetern, die einen Zeitraum von sechs Jahren mit starkem Schwefeleintrag repräsentierten. Das sei sehr gut in der ursprünglichen Publikation herausgearbeitet worden. Es bestünden folglich keineswegs "Unsicherheiten", wie Frau Timmreck behauptet habe. Darüber hinaus unterstützte er seine Theorie mit der Behauptung, daß die Neandertaler vor rund 70.000 Jahren unter dem Druck der sich verschlechternden klimatischen Verhältnisse begannen, sich selbst zu dezimieren, indem sie Kannibalismus betrieben. "They had their neighbours for dinner" - sie luden ihre Nachbarn zum Abendessen ein - scherzte der Vortragende und lieferte damit ein Beispiel für eine verbreitete Denkweise, wonach unsere Urahnen, die Homo sapiens, nur deshalb überlebt haben, weil sie angeblich kooperativer, weniger räuberisch, alles in allem vernunftbegabter als andere Hominiden zu jener Zeit waren.

Daß der heutige Mensch als vorläufiges Spitzenprodukt einer mutmaßlichen "Vernunftevolution" weniger räuberisch handelt, wäre allerdings eine Unterstellung, die sich weder mit den auf der Konferenz thematisierten Bedrohungen (Aufbau nuklearer Overkillkapazitäten, anthropogener Klimawandel) noch mit den nicht-thematisierten Folgen der Vergesellschaftung und zivilisatorischen Begleiterscheinung (bereits heute leidet jeder siebte Mensch regelmäßig Hunger) in Übereinstimmung bringen läßt.

Besonders in einem Punkt widersprachen Claudia Timmreck sowie Stephen Self und Hans-F. Graf dem Kollegen Ambrose: Die Analyse besagten Abschnitts des Eisbohrkerns liefert ihrer Meinung nach kein eindeutiges Ergebnis. Die Schwefelablagerungen könnten nicht zuverlässig der Toba-Eruption zugeordnet werden, argumentieren sie. Timmreck machte außerdem in ihrem Vortrag darauf aufmerksam, daß auf der Südhalbkugel bzw. im antarktischen Eis keine Ablagerungen von Toba gefunden wurden. Das passe nicht zu der von Ambrose angenommenen globalen Abkühlung. Zudem seien in Südostasien klare Hinweise auf eine Megafauna aus ungefähr der Zeit der Toba-Eruption bekannt, was gleichfalls gegen eine lang anhaltende Abkühlung der Erde spräche. Des weiteren seien in Indien kulturelle Hinterlassenschaften des modernen Menschen gefunden worden, die auf eine durchgängige Besiedlung vor und nach Toba schließen ließen. Es sei doch merkwürdig, warum die Hominiden in Ostafrika beinahe ausgestorben sein sollen, während sie in Indien, das viel näher am Toba-Vulkan liege, überlebt hätten.

Dem Computersimulationsmodell von Timmreck und anderen zufolge war es zur Zeit des Toba-Ausbruchs auf der Erde im Durchschnitt um acht bis 17 Grad kälter, aber keineswegs über einen längeren Zeitraum. Möglicherweise habe Toba auf eine bereits bestehende Abkühlungsphase aufgesetzt und diese dann nur leicht verstärkt, erklärte die Referentin in ihrem Vortrag. Eine zentrale Stellung ihrer These nimmt die Berechnung ein, daß sich Schwefelaerosole aus der Toba-Eruption in der Atmosphäre miteinander verbunden haben und, dadurch größer und schwerer geworden, schneller wieder herabgefallen sind, als die Forscher ursprünglich angenommen hatten.

Die Klimaforscherin berichtete, sie habe ihre Computersimulation zum Verhalten von Aerosolen mit einem anderen Klimamodell des Max-Planck-Instituts abgeglichen und sie auch anhand des 1991 auf den Philippinen ausgebrochenen Vulkans Pinatubo "validiert", das heißt anhand der Meßdaten zu Pinatubo überprüft und als bestätigt gefunden. Außerdem hat sie bei ihrem Modell die Klimaumkehrphänomene El Niño und El Niña berücksichtigt.

El Niño wird üblicherweise als "natürliche" globale Klimaumkehr bezeichnet, was nichts anderes besagt, als daß man nicht genau weiß, wodurch das Phänomen ausgelöst wird. Zwar verstehen Experten die Zeichen zu deuten und lesen aus einer sich im Laufe der zweiten Jahreshälfte allmählich aufbauenden und ausbreitenden Erwärmung zunächst im äquatorialen Pazifik, dann weiter südliche Bereiche einbeziehend ab, daß wahrscheinlich wieder einmal ein El-Niño-Jahr bevorsteht, aber so eine Temperaturumkehr wird ihrerseits durch andere Einflüsse ausgelöst, denen wiederum nochmals andere Wirkungen vorausgehen. Diese aus menschlicher Sicht unüberschaubare Komplexität wechselwirkender Verhältnisse wird treffend in dem bekannten Bild, daß der Flügelschlag eines Schmetterlings in Asien einen Sturm im Atlantik auslösen kann, zum Ausdruck gebracht.

Wenn also Forscher behaupten, eine Computersimulation sei ausreichend validiert, dann wird in der Aussage nicht mehr auf jene Unsicherheiten eingegangen, die in den zur Überprüfung herangezogenen anderen Modellen immanent sind. Wer allerdings demgegenüber die Validität von Computersimulationen in Frage stellt, indem er auf vermeintlich handfeste, bodenständige Feldforschung verweist, vernachlässigt, daß in seiner eigenen Theorie ebenfalls zahlreiche mehr oder weniger spekulative Deutungsmuster enthalten sind, die nicht mehr eigens erwähnt werden.

Wie gesagt, aus der Sicht Timmrecks bietet die Toba-Eruption bis jetzt keine zuverlässigen Anhaltspunkte dafür, daß der Vulkanismus jene lang anhaltende Kälteperiode ausgelöst hat, die in den Klimaarchiven der Erde (dazu zählen unter anderem Eisbohrkerne) angelegt sind. Die Abkühlung durch Toba habe den Menschen sicherlich schwer zu schaffen gemacht, aber dadurch sei der Homo sapiens insgesamt nicht gefährdet gewesen. Ihre Theorie schlösse jedoch keineswegs andere Faktoren als Toba aus, durch die das Überleben der Menschheit gefährdet worden sei, betonte die Wissenschaftlerin.

Im Anschluß an ihren Vortrag machte Frau Timmreck im Gespräch mit dem Schattenblick auf den Umstand aufmerksam, daß die zeitliche Zuordnung erdgeschichtlicher Ereignisse in der Toba-Diskussion zu ungenau ist. Abweichungen von 2000 oder 3000 Jahren seien zu groß. Das ist ein nüchternes Eingeständnis, wird doch häufig, bedingt durch die Unsicherheiten der Datierungsmethoden, "über den Daumen gepeilt", je länger die erdgeschichtlichen Ereignisse zurückliegen. Ein Beispiel: Der Toba-Vulkan brach vor rund 74.000 Jahren aus. Die grönländischen Eisbohrkerne zeigen eine Störung vor rund 71.000 Jahren. Das macht einen Unterschied von circa 3000 Jahren. Um sich von diesem Zeitraum ein Bild zu machen, kann man sich vorstellen, daß dieser Abstand in etwa dem zwischen dem Beginn der Eisenzeit in Mitteleuropa und der heutigen Zeit entspricht. Ambrose behauptet nun - selbstverständlich vor dem Hintergrund weiterer Indizien -, einen sechsjährigen Zeitraum präzise einem bestimmten erdgeschichtlichen Ereignis zuordnen zu können. Daß das bei seinen Forscherkollegen Skepsis provoziert, sollte ihn nicht verwundern.

Andererseits übt die Bottleneck-Theorie einen gewissen Reiz aus, nicht zuletzt mit Blick auf einen der Schwerpunkte dieser Konferenz, die Forschungen zum nuklearen Winter. Wie bereits an früherer Stelle erwähnt, ist die Gefahr eines nuklearen Winters nicht gebannt, nur weil die alten Kontrahenten USA und UdSSR bzw. Rußland ihre Nukleararsenale beträchtlich reduziert haben. Kleinere Atommächte wie Indien und Pakistan könnten ebenfalls einen nuklearen Winter und damit weltweite Hungersnöte erzeugen, beschössen sie sich gegenseitig mit jeweils 50 Kernwaffen. Zwar debattierten Ambrose und Timmreck ausschließlich über die Toba-Eruption, aber wenn die eine Seite sagt, daß dieser spezielle Supervulkanausbruch weniger schwerwiegende Folgen für die Menschheit besaß, und die andere von einer dramatischen Reduzierung unserer Vorfahren ausgeht, dann wäre zu fragen, ob der Ausgang dieser Debatte nicht als Grundlagenforschung zu werten wäre, die somit auch Einfluß nähme auf die computergenerierten Szenarien zum nuklearen Winter, zu Konzepten des Geo-Engineerings und weiteren gegenwärtigen oder zukünftigen Aerosol-Einträgen in die Atmosphäre als Folge menschlicher Aktivitäten.


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Hinweis:
Neben der fortlaufenden Berichterstattung über die Aerosolkonferenz in Hamburg finden Sie dazu unter UMWELT -> REPORT -> INTERVIEW begleitend Interviews mit den Referentinnen und Referenten.

Forschungszentrum KlimaCampus - Foto: © 2011 by Schattenblick

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25. August 2011