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BERICHT/027: Klimawandel in Regionen - Modelle, Wirklichkeiten, Fragen (SB)


Bericht über eine Tagung des Helmholtz-Verbunds REKLIM am 3. September 2012 in Potsdam


Blick durchs schmiedeeiserne Tor auf Wissenschaftspark - Foto: © 2012 by Schattenblick

Das alte Tor zum preußischen Wissenschaftspark
Foto: © 2012 by Schattenblick

"Gebt mir einen festen Punkt im All, und ich werde die Welt aus den Angeln heben." Dieses dem griechischen Mathematiker Archimedes (287-212 v. Chr.) zugewiesene Zitat hat bis heute einen weit verbreiteten Irrtum befördert. Nicht berücksichtigt wird hierbei, daß ein fester Punkt nicht existiert, weder im All noch auf der Erde. Wer einen rotierenden Kreisel betrachtet, käme wohl kaum auf die Idee, auf der Oberfläche dieses Objekts einen festen Punkt anzunehmen. Bei der Erde jedoch, die sich rasend dreht und beispielsweise in Höhe des 50. Breitengrads, der durch die mitteldeutsche Stadt Mainz verläuft, eine Rotationsgeschwindigkeit von immerhin noch 1000 km/h aufweist (am Äquator ist sie noch schneller), wird so getan, als gäbe es solch einen festen Punkt.

Klimaforscher sollten eigentlich sehr genau um die Problematik der mangelnden Festigkeit wissen, denn sie müssen bei ihren Berechnungen von sich ständig verändernden Verhältnissen ausgehen und nehmen aus pragmatischen Gründen feste Bezugsgrößen an, auf die sie ihre Berechnungen stützen. Aber das Erdklima ist einem permanenten Wandel unterworfen, es unterscheidet sich von Region zu Region und in jeder einzelnen von ihnen wiederum über die Zeitläufte hinweg. Erdgeschichtlich gesehen war das Klima nie konstant, wäre es das jemals gewesen, wäre der Mensch gar nicht erst entstanden. Was auf und unter der Erdoberfläche lebt, hat folglich auch mit den spezifischen Bedingungen durch das Klima zu tun.

Wie läßt sich nun aus Sicht eines Forschers Ordnung in das Chaos bringen? Wie können innerhalb eines hochdynamischen Systems aus häufig miteinander in Wechselwirkung tretenden Einflußfaktoren und ohne einen festen Ausgangspunkt irgendwelche Veränderungen berechnet werden? Kurz: Wie läßt sich das Klima treffend voraussagen? Und warum sollte das irgend jemanden interessieren?

Zumindest die letzte Frage ist einfach zu beantworten. Wenn der Meeresspiegel steigt, sollte man rechtzeitig anfangen, Deiche zu bauen. Besser noch wäre es sogar, den Anstieg von vornherein zu unterbinden. Beispielsweise indem man zu verhindern versucht, daß sich die Erde weiter erwärmt, da dies die Gletscherschmelze beschleunigt sowie zur physikalischen Ausdehnung des Ozeane führt. Die Bewohner flacher Inselstaaten und küstennaher Orte haben deshalb ein vitales Interesse an der Klimaforschung und daran, daß der gegenwärtige Trend der Erderwärmung abgebremst wird.

Wenn vom Klimawandel die Rede ist, geht es jedoch nicht allein um den Meeresspiegelanstieg, auch wenn dieser für viele Menschen zu einem geradezu existentiellen Problem auswachsen könnte. Der Klimawandel verändert alles oder, umgekehrt gesprochen, alles verändert sich, und das macht in der Summe den Klimawandel aus. Doch wie beeinflußt das die Regionen? Welche Folgen hat ein Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur für das arktische Meereis? Oder für den Permafrostboden in den polaren Breiten und den Hochgebirgen? Worauf müssen sich die Regionen Deutschlands klimatisch in Zukunft einstellen?

Das sind einige der Fragen, mit denen sich seit dem Jahr 2009 acht deutsche Forschungseinrichtungen in besonderer Weise befassen. Sie gehören der Helmholtz-Gemeinschaft an und nennen ihren Verbund REKLIM. Das Akronym steht für Regionale Klimaänderungen, wobei eine "Region" im Unterschied zum Alltagsgebrauch größere Gebiete wie den gesamten Alpenraum oder die Arktis umfassen kann.

Referentinnen und Referenten auf reservierten Plätzen - Foto: © 2012 by Schattenblick

Versammelte Referenten vor ihren Grußworten
Foto: © 2012 by Schattenblick

Am 3. und 4. September 2012 führte REKLIM im Wissenschaftspark "Albert Einstein" auf dem Telegrafenberg in Potsdam zum dritten Mal seine Jahrestagung durch. Der erste Tag war für die Öffentlichkeit geöffnet worden. Nach Begrüßungsansprachen von Prof. Dr. Reinhard Hüttl, Vorstandsvorsitzender des Deutschen GeoForschungsZentrums GFZ, Prof. Dr. Sabine Kunst, Ministerin für Forschung, Bildung und Kultur des Landes Brandenburg, Prof. Dr. Karin Lochte, Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) und Prof. Dr. Peter Lemke, AWI-Mitarbeiter und wissenschaftlicher Koordinator von REKLIM, folgten zehn Fachvorträge, die einen repräsentativen Querschnitt durch die REKLIM-Forschung boten. Im Anschluß an jeden Vortrag bestand die Möglichkeit, mit Fragen nachzufassen, was von den Tagungsteilnehmern gern wahrgenommen und teils über die festgelegte Zeit hinaus in Anspruch genommen wurde. Manch eine Debatte wurde in den Pausen fortgesetzt.

Wer glaubt, daß in den Fachvorträgen die eigentlich wichtigen Dinge besprochen wurden und demgegenüber die Grußworte ein unwichtiger Pflichtteil waren, irrt. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Deswegen soll in der ersten Hälfte dieses Berichts auf einige Aspekte der vier Ansprachen, die wesentlich die Forschungspolitik betreffen, näher eingegangen werden. Als erstes stellte Prof. Hüttl den Helmholtz-Verbund REKLIM vor, an dem seit dem vergangenem Jahr acht Universitäten als Partner beteiligt sind. Auf einem Power-point-Schaubild heißt es zu den Zielen: REKLIM nutzt die in der Helmholtz-Gemeinschaft gebündelte Kompetenz für regionale Beobachtungs- und Prozeßstudien (In-situ Beobachtungen, luftgestützte- und Satellitenbeobachtungen) in Kombination mit Modellsimulationen zur Verbesserung von regionalen und globalen Klimamodellen, die eine solide Basis für klimabezogene Entscheidungshilfen bieten sollen.

Neben dem in Bremerhaven ansässigen Alfred-Wegener-Institut (AWI), das in dem Potsdamer Wissenschaftspark einen Ableger unterhält, stellte auch das GeoForschungsZentrum (GFZ) eine Reihe der Referenten auf der REKLIM-Tagung. Das GFZ arbeitet sowohl auf dem Gebiet globaler Fragen wie der Schwerefeldmessung und der Simulation des Klimas als auch auf dem regionaler und anwendungsbezogener Aktivitäten. Zu letzterem hat Reinhard Hüttl in seinem Grußwort beispielhaft das in der Umweltbewegung umstrittene CO2-Speicherprojekt Ketzin und das Geothermielabor Groß Schönebeck erwähnt. Auch die Beobachtung der arktischen Meereisentwicklung ist Teil der REKLIM-Arbeit, liegt aber schwerpunktmäßig eher in den Händen des AWI.

Referent an Pult - Foto: © 2012 by Schattenblick

Prof. Reinhard Hüttl
Foto: © 2012 by Schattenblick

Prof. Hüttl ließ keinen Zweifel daran, daß unter den Forschern allgemein die Ansicht vorherrscht, daß der menschliche Einfluß auf das Klima unübersehbar ist. Das Verbrennen der Energierohstoffe Kohle, Erdöl und Erdgas habe seine Spuren hinterlassen, der anthropogene Faktor sei definitiv. Die Forscher wüßten aber auch, daß es daneben die natürlichen Faktoren gibt, sagte Hüttl und konstatierte, daß die richtige Einschätzung der Kombination wichtig sei. Dazu schauten sich die Forscher die Klimadynamik in der Vergangenheit ein.

In dieser scheinbar einfachen, nachvollziehbaren Aussage verbirgt sich durchaus Sprengstoff. Als Gesamtkoordinator für die Arbeitsgruppe "Anpassungsstrategien in der Klimapolitik" der Acatech - Deutsche Akademie der Technikwissenschaften hat Hüttl in diesem Jahr einen Streit zwischen Klimaforschern und Vertretern der Wirtschaft zu schlichten versucht - vergeblich. Vier Klimawissenschaftler haben unter Protest die Arbeitsgruppe verlassen und den vorläufigen Abschlußbericht nicht mitgetragen, da sie mit ihrer Ansicht nach gewissen Verwässerungen der Ergebnisse ihrer Forschungstätigkeit nicht einverstanden waren. Durch den Bericht werde der anthropogene Anteil an der Erderwärmung relativiert.

Da mit Fritz Vahrenholt, Manager des Energiekonzerns RWE und Co-Autor des Buchs "Die kalte Sonne - Warum die Klimakatastrophe nicht stattfindet" (Februar 2012), ein von renommierten Klimaforschern deutlich kritisierter Vertreter der Wirtschaft zu einem von drei Koordinatoren der Acatech-Arbeitsgruppe ernannt worden war (nach Protesten wurde er nur noch als Mitglied einer neu gegründeten "Steuerungsgruppe" aufgeführt), waren die Klimaforscher nicht bereit, den Bericht mitzutragen. Denn wenn Zweifel daran bestehen, daß der Mensch hauptverantwortlich für die Erderwärmung ab der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts ist, verliert auch die Forderung an die Industrie, Treibhausgasemissionen einzusparen, an Argumentationskraft.

Referentin beim Grußwort - Foto: © 2012 by Schattenblick

Prof. Sabine Kunst
Foto: © 2012 by Schattenblick

Dieser Konflikt zeigt, daß Klimaforschung politisch ein heißes Eisen ist. Das ging durch die Blume auch aus den Grußworten von Sabine Kunst und in nochmals abgemilderter Form in der Ansprache der AWI-Direktorin Lochte hervor. Kunst sprach über die Bedeutung, die regionalen Auswirkungen des Klimawandels zu erforschen, und betonte, wie wichtig die Kommunikation von Wissenschaft sei. Um "kostspielige" Gefahren einzuschätzen und abzuwenden, müsse man zunächst die Risiken kommunizieren und vor allen Dingen verstehen. Und zwar so, daß für Maßnahmen, die man aus den Forschungsergebnissen ableitet, auch langfristig der Boden bereitet werde, so daß Akzeptanz dafür wachsen könne, benutzte die Ministerin etwas umwegige Formulierungen für den Umstand, daß die Politik nicht bereit ist, jeden Wunsch der Wissenschaftler nach Finanzierung von Großprojekten mitzutragen.

Forderungen nach einer besseren Kommunikation gingen auf der Tagung auch von den Wissenschaftlern selbst aus. Wenn aber beide Seiten mangelnde Kommunikation beklagen - und bekanntlich nicht erst seit heute -, wäre zu fragen, ob das Problem wirklich an der unzulänglichen Kommunikation liegt. Ist nicht schon Wesentliches gesagt worden zum Klimawandel und den Folgen vor allem für die ärmeren Länder, die sich keine Anpassungsmaßnahmen leisten können? Haben nicht die kleinen Inselstaaten und mittellosen Entwicklungsländer von der internationalen Gemeinschaft gefordert, die globale Durchschnittstemperatur höchstens um 1,5 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit steigen zu lassen und nicht um 2,0 Grad, wie es derzeit angestrebt wird? Ein Wert, der wohl kaum einzuhalten sein wird. Forscher gehen inzwischen von einer Temperatursteigerung um 3 bis 4 Grad bis Ende dieses Jahrhunderts aus.

Angesichts der eigentlich doch klaren Datenlage und deutlichen Trends, auf die in den kommenden Vorträgen immer wieder Bezug genommen werden sollte, kommen Zweifel auf, ob tatsächlich ein Kommunikationsproblem zwischen Wissenschaft und Politik besteht. Könnte es nicht vielmehr sein, daß auf der einen Seite die Politik schlicht andere Prioritäten setzt als die Klimaforscher und daß auf der anderen die Wissenschaftler den Politikern wiederum nicht allzu heftig auf die Füße treten wollen?

Eine Wissenschaft, die den Anspruch erhebt, laufend den eigenen Standpunkt zu hinterfragen, sollte auch die Frage nicht vermeiden, inwieweit sie vom Wohlwollen der Politik abhängig ist und inwiefern das die Forschung mit bestimmt. Fördergelder können gestrichen werden, und der deutschen Klimaforschung, deren Spitzeninstitute hier auf der REKLIM-Tagung vertreten waren, werden erhebliche Fördermittel und kostspielige Forschungs- und Meßplattformen zur Verfügung gestellt. Damit soll keineswegs behauptet werden, daß die Forscher den Politikern nur nach dem Mund reden. Es gibt nicht "die" Forscher, sondern man hat es innerhalb der Zunft mit sehr differenzierten Einstellungen zu tun. Auch ist keineswegs immer derjenige der kritischste Geist, der am lautesten gegen die Politik wettert, und sicher wäre Lautstärke oder eine hohe Medienaufmerksamkeit nicht automatisch mit größerer Wirksamkeit oder Einflußnahme gleichzusetzen. Doch das von beiden Berufsgruppen immer wieder vorgetragene Beklagen einer mangelnden Kommunikation wirkt angesichts der Fakten unglaubwürdig.

Wenn man den Abschluß der Grußrede von Ministerin Kunst vernahm, konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß hier seitens der Politik eine gewisse Erwartung an die Klimaforscher gestellt wird. Zunächst einmal sagte die Referentin, daß mit REKLIM weiterhin auch "international konkurrenzfähige" Spitzenforschung betrieben werden solle. REKLIM wäre sogar "sehr erfolgreich", wenn davon perspektivisch ein Impuls für "wirtschaftliches Wachstum und Innovation" ausginge.

AWI-Direktorin am Pult - Foto: © 2012 by Schattenblick

Prof. Karin Lochte
Foto: © 2012 by Schattenblick

AWI-Direktorin Lochte wiederum forderte in ihrem Grußwort die Forscher auf, mehr auf die Gesellschaft, auf die Wirtschaft, auf die Politik und auf die Gemeinden zuzugehen, um mit ihnen über die Möglichkeiten, wie mit dem Klimawandel umzugehen sei, zu diskutieren. Wichtig sei die Einbindung "weiterer sozioökonomischer Wissenschaftsbereiche". Deshalb sei an dieser Stelle auf die diplomatisch verklausulierte Forderung von Brandenburgs Ministerin Kunst nach Impulsen aus der Wissenschaft für wirtschaftliches Wachstum und den Anspruch von Wissenschaft auf Objektivität näher eingegangen. Wie frei kann der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn beispielsweise der Helmholtz-Gemeinschaft sein, wenn abgesehen von der Drittmitteleinwerbung zu rund 30 Prozent die restlichen 70 Prozent durch die öffentliche Hand an die Erwartung von Wirtschaftswachstum geknüpft wird?

Nun ist "Wirtschaftswachstum" gewiß nicht einheitlich definiert, aber beispielsweise hat die Grüne Ökonomie, die derzeit von der deutschen Politik und Wirtschaft als vermeintliches Alternativmodell propagiert wird, bislang nicht bewiesen und hebt auch gar nicht darauf ab, daß sie etwas anderes praktiziert als eine grün ummäntelte Neuauflage der immer gleichen kapitalistischen Produktionsweise. Deren Wachstumsmotor verbraucht den gleichen Treibstoff und das gleiche Schmiermittel wie die klassische Ökonomie, nämlich die menschliche Arbeitskraft. Mögen die ökologischen Kreislaufmodelle, die der "green economy" zugrundeliegen, noch so ausgeklügelt sein und beispielsweise in anspruchsvollen Konzepten wie "from cradle to cradle" (C2C, Von der Wiege bis zur Wiege) eines Michael Braungart münden, am Ende kommt keine der propagierten Ökonomie-Formen ohne die Verwertung menschlicher Arbeitskraft aus. Ins vereinfachte Bild gesetzt: Die Arbeit in einer Fabrik für "ökologisch positiv bewertete" Windradflügel unterscheidet sich prinzipiell nicht von der Arbeit in einer Fabrik für "ökologisch negativ bewertete" spritfressende Edelkarossen. Die grüne Ökonomie stellt somit nicht das Gegenmodell zur vorherrschenden Wirtschaftsweise dar, sondern seine Fortsetzung.

AWI-Direktorin Karin Lochte sprach zum Abschluß ihres Grußworts von den "Propheten des Untergangs", denen im besten Fall nicht zugehört werde und die im schlimmsten Fall gesteinigt würden. Sie forderte die Forscher auf, "am Hören" zu arbeiten und daran, wie man mit dem Problem des Klimawandels umgehen könne. Man kann vermuten, daß die meisten der an der REKLIM-Tagung teilnehmenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Standpunkt einnehmen, daß sie lediglich Forschungen betreiben; was daraus gemacht werde, sei Angelegenheit der Politik. Ihnen wäre in Anlehnung an Lochtes Bemerkung zu entgegnen: Sollte eben diese Einstellung nicht überdacht und deutlicher Position bezogen werden angesichts der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den für viele Menschen verheerenden Klimawandelfolgen?

REKLIM-Leiter am Pult - Foto: © 2012 by Schattenblick

Prof. Peter Lemke
Foto: © 2012 by Schattenblick

Jeder der zehn Vorträge wäre es gewiß wert, daß man gesondert auf ihn einginge, denn sie alle haben etwas mit der Rückberechnung des globalen Klimawandels auf Regionen und die Antwort der Gesellschaft auf die Entwicklung zu tun. Referiert wurde beispielsweise über die Grundwasserentwicklung in Nordostdeutschland sowie in Berlin-Brandenburg, über klimabedingte Anpassungsmaßnahmen im Nationalpark Müritz, die Modellierung des arktischen Klimasystems sowie Eismassenverluste und Meerespiegeländerungen der Arktis, die natürlichen Methanemissionen in den hohen Breiten und die Hochwassergefährdung im Mekong-Delta. Auf drei weitere Vorträge mit drei sehr verschiedenen Fragestellungen, die somit ihrerseits das Spektrum der REKLIM-Aktivitäten repräsentieren sollen, wollen wir uns im folgenden beschränken.

Soweit die aus der Erdgeschichte gewonnenen Proxy-Daten (vom englischen Wort "proxy" für "Stellvertreter") aus Eisbohrkernen, Seesedimenten, Baumringen, etc. das hergeben, hat die Erde ihr Gesicht seit ihrer Entstehung vor etwa 4,6 Mrd. Jahren stark verändert. Aus der ursprünglichen Gluthölle ist ein Planet mit relativ ausgeglichenem Klima, der sich in der sogenannten Goldilock-Zone befindet, geworden. Das heißt, er liegt in der astrophysikalischen Zone, in der Leben, wie wir es kennen, entstehen und sich erhalten konnte. Zwischen einstiger Gluthölle und dem heute gemäßigten Zustand durchlief das Erdklima sehr extreme Zustände. Seit Beginn der geologischen Jetztzeit, dem Quartär, traten kältere Phasen (Glaziale) und wärmere Phasen (Interglaziale oder Warmzeiten) auf. Wie es zu diesen Wechseln kam, ist für die Wissenschaftler von höchstem Interesse. Passend hierzu hielt Prof. Dr. Achim Brauer (GFZ) auf der REKLIM-Tagung einen Vortrag unter dem Titel "Schnelle Klimaänderungen aus Proxy-Daten". Er bezog sich auf Beispiele aus den letzten 130.000 Jahren, was unvorstellbar weit zurückliegt, für Geologen aber die "jüngere Vergangenheit" darstellt.

Referent beim Vortrag - Foto: © 2012 by Schattenblick

Prof. Achim Brauer
Foto: © 2012 by Schattenblick

Als "schneller Klimawandel" bezeichnen die Wissenschaftler einen Vorgang, der schneller abläuft als der auslösende Mechanismus. In diesem Zusammenhang wird auch häufig von Kippunkten, Schwellenwerten, Rückkopplungsmechanismen oder von sich selbst verstärkenden Prozessen gesprochen. Ein klassisches Beispiel ist das arktische Meereis. Die weiße Oberfläche reflektiert das Sonnenlicht, so daß sich das Meer unter der Eisdecke nicht erwärmen kann. Taut das Eis, nimmt das vergleichsweise dunklere Meerwasser die Strahlung auf und läßt noch mehr Eis tauen. Der Vorgang steigert sich, und offenbar läuft er gegenwärtig wie beschrieben ab.

Brauer legte besonderes Augenmerk auf eine erst seit wenigen Jahren eingesetzte Methode der Dünnschliff-Mikroskopie, bei der die einzelnen, teils nur einen halben Millimeter feinen Schichten einer Ablagerung analysiert werden. Mit einem speziellen Scanner wird dann die Elementverteilung bestimmt. Daraus ziehen die Forscher nicht nur Schlüsse über die jährlichen Klimaverhältnisse, sondern sogar über jahreszeitliche Veränderungen. Indem die Forscher diese Analyse innerhalb des Multi-Proxy-Ansatzes verfolgen, bei dem möglichst viele Proxies (geochemisch, sedimentologisch, physikalisch, biologisch) einfließen und miteinander abgeglichen werden, hoffen sie, eine bessere Zuverlässigkeit ihrer Daten zu erreichen. Diese werden dann unter anderem in Simulationen einer zukünftigen Klimaentwicklung eingebracht.

Ein gewisses Abstraktionsvermögen erforderte der Vortrag des REKLIM-Forschers Dr. Gerd Schädler vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung am KIT (Karlsruhe Institute of Technology) über "Klimasimulationen mit nicht-hydrostatischen Modellen für Europa und Deutschland". Solche Modelle werden gebraucht, um kleinräumliche Verhältnisse darzustellen. Klimaforscher, vor allem aber Meteorologen, sind an Modellen interessiert, die eine hohe räumliche Auflösung erlauben. Das leuchtet sofort ein, wenn man sich vorstellt, eine Wettervorhersage liefe womöglich wie folgt ab:

"Guten abend, meine Damen und Herren. Ich begrüße Sie zur heutigen Wettervorhersage für Mittwoch, den ... In Deutschland wird es stellenweise regnen. Wo die Wolkendecke aufreißt, ist auch mit Sonne zu rechnen. Der Wind kommt vorwiegend aus Nord-Süd, manchmal aber auch aus West-Ost. Die Temperaturen bewegen sich wahrscheinlich irgendwo zwischen 10 und 25 Grad. Nachts kühlt es ab. Guten abend."

Etwas genauer will man es dann doch wissen! Woher kommt aber die Genauigkeit? Sie ist wesentlich von der Fähigkeit abhängig, das Wettergeschehen (oder eben die Klimaprognose) möglichst kleinräumig beschreiben zu können. Da kommen nicht-hydrostatische Modelle ins Spiel. Mit ihnen werden Berechnungen im einstelligen Kilometerbereich vorgenommen, um sie anschließend mit einem globalen Modell zu verkoppeln.

Während in hydrostatischen Modellen das Verhalten unbewegter, strömungsfreier Flüssigkeiten beschrieben wird, kommt bei nicht-hydrostatischen Modellen der Faktor der vertikalen Bewegung hinzu. Es läßt sich denken, daß für solche dreidimensionalen Vorgänge enorme Rechenleistungen erforderlich sind. Damit soll nicht der Eindruck erweckt werden, daß mit anderen als den nicht-hydrostatischen Modellen nur unsere obige, aufs gröbste vereinfachte Wettervorhersage zustandekommt. Bei großen Skalen werden sehr wohl hydrostatische Modelle zum Einsatz gebracht. Da hier die horizontalen Bewegungen wesentlich größer sind als die vertikalen, wird das als wissenschaftlich vertretbar angesehen.

Referent erläutert Schaubild - Foto: © 2012 by Schattenblick

Dr. Gerd Schädler
Foto: © 2012 by Schattenblick

Wenn aber ein Gebirge regelmäßig starke Überströmungen erfährt, beeinflußt dies das Wetter auf der Leeseite der Erhebung (der vom Wind abgewandten Seite) maßgeblich, und wenn unterschiedliche Landnutzungsformen berücksichtigt werden sollen oder typische Konvektionsströmungen zu erfassen sind, bieten sich die nicht-hydrostatischen Modelle an. Nur wenige Länder haben überhaupt solche Modelle entwickelt. Deutschland gehört dazu. Mit zwei in den USA entwickelten Modellen (WRF, MM5) und mit dem deutschen dreidimensionalen COSMO-CLM (CCLM) lassen sich auch langfristige Klimasimulationen durchrechnen.

Schädler referierte über die Probleme und auch die Erfolge, sprich: die Validität der Gleichungen, Formeln, Kurven und die Einbettung regionaler Modelle in globale Modelle. Nicht-hydrostatische Modelle sind ein wichtiges Instrument der genauen Klimavorhersage und ein typisches Beispiel dafür, um was es beim Helmholtz-Verbund REKLIM geht, eben die globalen und regionalen Klimamodelle zusammenzubringen. Alle Vorträge der Tagung handelten von Forschungen, die noch nicht abgeschlossen sind. Die Ausführungen Schädlers jedoch veranschaulichten besonders klar, wie sehr die Klimaforschung im Fluß ist und wie sie darum ringt, solide Daten zu erhalten, die eine hohe Zuverlässigkeit erwarten lassen, um sie den politischen Entscheidungsträgern an die Hand geben zu können.

Im letzten Vortrag des öffentlichen Teils der zweitägigen Tagung referierte der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Erik Gawel vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ der Universität Leipzig über "Regionale Herausforderungen der Energiewende". Die Bundesregierung habe eine klare Antwort auf den Klimawandel: die Energiewende. Bis zum Jahr 2050 soll eine weitgehende Dekarbonisierung der Gesellschaft erreicht werden, sowohl durch Energieeffizienz als auch durch Energieeinsparung (um 25 Prozent bis 2050). Diese Ziele müßten nun auf regionaler Ebene umgesetzt werden. Wobei der Energiesektor im Mittelpunkt der Klimaschutzpolitik stehe, da 80 Prozent der deutschen Treibhausgase auf energiebedingte Emissionen zurückgingen.

Da die Regierung einen kompletten Ausstieg aus der Atomenergie bis 2022 geplant hat, gehe es hier nicht nur um die Substitution der Energieträger, also um einen bloßen Ersatz, sondern um einen "kompletten Systemumbau". Bei der Umsetzung bewege man sich im Spannungsfeld zwischen Klimaschutz und Wertschöpfung auf der einen Seite sowie Selbstversorgung und verschiedenen Gesichtspunkten des Natur- und Artenschutzes auf der anderen.

Beim Vortrag - Foto: © 2012 by Schattenblick

Prof. Erik Gawel
Foto: © 2012 by Schattenblick

Gawel beschrieb die zu erwartenden Probleme der Energiewende, die sich aus Anforderungen an das Stromnetz, das Bereitstellen von Speichern und das Vorhalten von Backup-Kraftwerkskapazitäten - wenn der Wind nicht wehe und die Sonne nicht scheine - ergeben. Für diese Phasen müßten dann zum Beispiel Biomasse oder Geothermie einspringen. Desweiteren machte der Referent auf Konflikte aufmerksam, die daraus erwachsen, daß viele Bürgerinnen und Bürger zwar allgemein die Energiewende begrüßten, aber sobald es darum ginge, in ihrer Nachbarschaft zum Beispiel eine Windkraftanlage oder eine Überlandleitung zu bauen, doch davor zurückschreckten. Hier greife das NIMBY-Prinzip: Not In My Back Yard (z. Dt.: Nicht in meinem Hinterhof).

Der Forscher warnte etwas kryptisch, man sollte sich für eine Gesamtbewertung der Energiewende vor "ausschnitthafter Partialbetrachtung" hüten. Denn die reiche sicherlich nicht aus. Für eine sinnvolle regionale Ordnung müsse "der Gesamtweg" beschritten werden. Ob er damit die Verankerung der Energiewende in der Raumordnung meinte, ließ Gawel offen. Wesentlich an seinem Vortrag war, zu verdeutlichen, daß die auf Bundesebene beschlossene Richtungsentscheidung (hinter der allerdings, das sei hier ergänzend angefügt, oftmals Forderungen seitens der EU-Ebene stehen) konkrete und konfliktträchtige Klimaschutzmaßnahmen auf regionaler Ebene nach sich ziehen.

Im Anschluß an den Vortrag blieb noch Zeit zum Nachfassen. Der Schattenblick fragte Prof. Gawel nach seiner Einschätzung der "Energiestrategie 2030" des Bundeslands Brandenburg. Darin werde Braunkohle als Brückentechnologie bezeichnet. Brandenburg ließe gegen den Widerstand der Bevölkerung ganze Dörfer abbaggern, wobei die aus der Braunkohleverstromung gewonnene Energie über die Landesgrenzen hinaus exportiert werde. Der Referent ordnete dies dem Bereich der Landnutzungskonflikte zu. Das Problem müsse politisch gelöst werden, wissenschaftlich ginge das nicht. Die Frage sei, wie hier die Vor- und Nachteile gewichtet würden. Natürlich verspreche man sich von der Weiternutzung der Kohle Beiträge zur regionalen Wertschöpfung. Und wenn man die Erneuerbaren hochführe und auf die Kohle verzichtete, müsse man auch strukturell Angebote unterbreiten. Er habe großes Verständnis dafür, daß es dafür keine leichten politischen Antworten gebe - leichte wissenschaftliche Antworten gebe es leider noch weniger. Die Wissenschaft könne jedoch unter anderem dazu beitragen, die Kosten und Nutzen transparent zu machen und beispielsweise zu berechnen, in welchen Zeiträumen ein Ausstieg denkbar wäre.

Beitrag aus dem Publikum - Foto: © 2012 by Schattenblick

Rege Diskussion im Anschluß an die Vorträge
Foto: © 2012 by Schattenblick

Ob die Absicht verfolgt werde, Pumpspeicherkraftwerke in den Tagebauseen zu errichten, wollte jemand wissen. Solche Vorhaben seien ihm nicht bekannt, erwiderte Gawel. Eine weitere Frage aus dem Publikum zielte auf die Kosten der Energiewende. Könnten diese quantifiziert werden, auch mit Blick auf die Verteilung zwischen Verbrauchern und Energieerzeugern? Zahlen dazu lägen nicht vor, erklärte der Referent, das hänge ganz davon, welche Weichenstellungen hier getroffen würden. Manchmal würden stark übertriebene Kosten wie 300 Milliarden Euro kolportiert. Er würde dann immer fordern, daß zumindest auch die Einsparungen durch die Energiewende für die Gesellschaft genannt werden müßten.

Summa summarum handelte es sich bei der REKLIM-Tagung um eine ergiebige wissenschaftliche Veranstaltung, die eigentlich eine größere Medienaufmerksamkeit verdient hätte angesichts sowohl der zu erwartenden negativen Klimawandelfolgen nicht nur für Deutschland als auch des Aufgebots an Vertretern führender deutscher Forschungseinrichtungen. Der Wissenschaftspark "Albert Einstein" auf dem 94 Meter hohen Telegrafenberg im Südwesten Potsdams bildete ein würdiges Ambiente für einen so jungen Forschungsverbund wie REKLIM. Dabei zeigt die Ansammlung von teils über 130 Jahre alten Observatorien, daß die Idee, einen Forschungscluster zu bilden, keine Erfindung der Neuzeit ist. Eingebettet in einen englischen Landschaftsgarten überragen noch heute die aufwendig restaurierten Klinkerbauten die randlich angesiedelten modernen Gebäude, die heute Sitz wissenschaftlicher Einrichtungen wie das Deutsche GeoForschungsZentrum, das Astrophysikalische Institut Potsdam, das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung und das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung sind.

Großes Backstein-Observatorium - Foto: © 2012 by Schattenblick

Impressionen vom Wissenschaftspark 'Albert Einstein' - Der Große Refraktor Foto: © 2012 by Schattenblick

Heller, futuristisch anmutender Turm - Foto: © 2012 by Schattenblick

Einsteinturm
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Kleines Fachwerkhaus versteckt im Wald - Foto: © 2012 by Schattenblick

Waldhaus Paläomagnetik
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Nachgebildete Köpfe der Kosmonauten auf mannshoher Stele - Foto: © 2012 by Schattenblick

Stele mit den Kosmonauten Sigmund Jähn und Waleri Fjodorowitsch Bykowski Foto: © 2012 by Schattenblick

18. September 2012