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BERICHT/082: Kohle, Gifte, Emissionen - Wie Wasser und Luft, so der Wald (SB)


Sozialer und ökologischer Widerstand im Hambacher Forst

Wald- und Wiesenbesetzung am 25. Mai 2014


Transparent im Baum: 'Ihr könnt räumen! Den Wald abholzen! Die Erde zerstören! Doch wir haben nur diesen Planeten!' - Foto: © 2014 by Schattenblick

Foto: © 2014 by Schattenblick

"Ihr dachtet wohl, daß ich von Rheinbraun bin." Der ältere Herr im sonntäglichen Freizeitdreß freut sich, daß er unsere skeptischen Blicke richtig gedeutet hat. Wer hier die Barrikaden des Braunkohlewiderstands fotografiert, gerät fast automatisch ins Visier der Sicherheitsdienste, die im Auftrag von RWE oder als hauseigene Abteilung am Rande des Tagebaus Hambach observieren, was um das gigantische Loch herum geschieht. Gerade hier, am Südrand, wo die Harvester in der winterlichen Rodungssaison die letzten Reste des Hambacher Forstes fällen, um die Erde den Schaufeln der ihnen auf dem Fuß folgenden Bagger preiszugeben, haben die Angestellten des Energiekonzerns ein besonders wachsames Auge auf alles, was sich der Zerstörung des Waldes entgegenstellen könnte.

Ihre vordringliche Aufmerksamkeit richtet sich auf die Aktivistinnen und Aktivisten der Waldbesetzung, die ihren Lebensmittelpunkt in eine Naturlandschaft verlegt haben, welche allen regierungsamtlichen Bekundungen, die Umwelt zu schützen und den Klimawandel aufzuhalten, zum Trotz im wortwörtlichen Sinne verheizt wird. Was er denn von der Waldbesetzung halte, wollen wir von dem Mann wissen, der sich als Bürger aus dem nahegelegenen Buir zu erkennen gibt. "Das bringt doch alles nichts mehr, das ist doch zu spät", meint er mit einer wegwerfenden Handbewegung. Obwohl kein Freund der Tatsache, daß der Grubenrand inzwischen fast bis an die Autobahn A 4 herangerückt ist und die vielbefahrene Straße noch in diesem Sommer stillgelegt wird, um dem Hunger nach Brennstoff zusammen mit den sie säumenden Bäumen zu weichen, will er den Menschen, die dem RWE-Konzern die Stirn bieten, nicht die Unterstützung gewähren, mit Hilfe derer dem vermeintlich Unausweichlichen vielleicht doch noch Einhalt geboten werden könnte.

Barrikade und Baumstämme mit Aufschrift 'Resistance' und 'Widerstand' - Fotos: © 2014 by Schattenblick Barrikade und Baumstämme mit Aufschrift 'Resistance' und 'Widerstand' - Fotos: © 2014 by Schattenblick Barrikade und Baumstämme mit Aufschrift 'Resistance' und 'Widerstand' - Fotos: © 2014 by Schattenblick

Noch nicht verstummt ... bei der Räumung gefällte Bäume
Fotos: © 2014 by Schattenblick

Lokaler Widerstand gegen weltweit wirksame Zerstörung

Warum ist Widerstand gegen die Zerstörung eines Waldes, der eines der letzten in der Region verbliebenen Gebiete mit urtümlichem, nicht in forstwirtschaftlicher Monokultur plantagenmäßig bewachsenen Baumbestand darstellt und zum Teil mehrere hundert Jahre alte Laubbäume aufweist, in der Region und darüber hinaus so schwach? Warum unterwerfen sich die angeblich so naturromantisch veranlagten Deutschen fast klaglos der Verwüstung ihrer Landschaft, wenn ihnen erklärt wird, daß dies ein Erfordernis der Energiesicherheit und damit der Sicherung von Arbeitsplätzen sei? Nun war es noch nie die Stärke der Bevölkerung dieses Landes, gegen Staat und Kapital aufzustehen. Mit diesem Interessenkartell muß der Mensch es schon aufnehmen, wenn er etwas in dessen Nutzungserwägungen nicht Vorkommendes und diesen daher im Weg Stehendes durchsetzen will. Dies zeigt die Situation im Rheinischen Braunkohlerevier, wo Kommunalbehörden, Polizei und RWE eine Art informelle Handlungsgemeinschaft zu bilden scheinen, auf geradezu klassische, an feudalgesellschaftliche Zustände gemahnende Weise.

Offensichtlich ist das Gros der Bürgerinnen und Bürger bereit, das im globalen Vergleich hohe Ausmaß an materieller Sicherheit nicht nur gegen die unters Rad der Arbeitsverwaltung nach Hartz IV geratenen Erwerbslosen, gegen Migrantinnen und Migranten zu verteidigen, sondern auch zu Lasten der von den Folgen des Klimawandels betroffenen Menschen in den Ländern des Südens durchsetzen zu wollen. Mit dem Eigentumsvorbehalt ist immer zu rechnen. Sowohl in einem auf den individuellen Besitz wortwörtlich angewendeten Sinn, wenn der Rest dessen, was einem noch nicht genommen wurde, vermeintlich durch die Armutskonkurrenz von unten und außen bedroht ist, wie in einem auf gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse übertragenen Sinne, wenn der Staat als Garant eines Reichtums verstanden wird, an dem nur geringfügig teilzuhaben voraussetzt, sich seiner nationalen Bestimmung und seinem exekutiven Vollzug zu unterwerfen.

Tagebau, Rodungszone und Waldsaum - Foto: © 2014 by Schattenblick

Rückzug des Waldes
Foto: © 2014 by Schattenblick

Die Bindekräfte dieser Zugehörigkeit beziehen ihre Stärke aus ihrer vermeintlichen Undurchschaubarkeit. Ohne Feindbilder kann zweckdienliches Konsensmanagement nicht funktionieren, so daß Menschen, die aus gründsätzlichen, allen Lebewesen ungeteilt zukommenden Gründen gegen herrschende Interessen ankämpfen, leicht mit ihnen in Deckung gebracht werden. Dies gilt auch für radikalökologische Aktivistinnen und Aktivisten, die das von der Politik lediglich im Mund geführte Menschheitsinteresse an der Abwendung der Erderwärmung so ernst nehmen, daß sie fast unausweichlich auf Konfrontationskurs mit den nationalen Wachstumszielen geraten. Diesen verpflichtet ist nicht nur der Kapitalinteressen hörige Staat auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene, sondern auch eine Arbeiterschaft, deren für Bergbauunternehmen zuständige Industriegewerkschaft Sozialpartnerschaft zu Lasten aller von der Braunkohleverstromung geschädigten Menschen praktiziert.

Blick auf den Hambacher Forst vom Tagebau aus - Fotos: © 2014 by Schattenblick Blick auf den Hambacher Forst vom Tagebau aus - Fotos: © 2014 by Schattenblick Blick auf den Hambacher Forst vom Tagebau aus - Fotos: © 2014 by Schattenblick

Vormarsch auf breiter Front ... wie das Loch den Wald verschlingt
Fotos: © 2014 by Schattenblick

Räumung und Wiederbesetzung

Seit der Rest des Hambacher Forstes im April 2012 besetzt wurde, werden die Aktivistinnen und Aktivisten des Kohlewiderstands immer wieder von der Staatsgewalt bedrängt. Deren Einsatzkräfte machen, wie aus der Anwesenheit des für den Betreiber des Tagebaus Hambach, RWE, tätigen Sicherheitspersonals an ihrer Seite hervorgeht, keinen Hehl daraus, daß ihnen das Wohl des Energiekonzerns über das Interesse der Bevölkerung am Schutz der Natur geht. Mal werden Teile ihrer Infrastruktur unter fadenscheinigen Vorwänden zerstört, mal schauen sich die Beamtinnen und Beamten nur um und ziehen unverrichteter Dinge wieder ab, mal wird umfassend geräumt, wobei nicht nur Hütten und Baumhäuser zerstört, sondern die dazugehörigen Bäume gleich mit umgelegt werden. Als ob man diese Bioorganismen, die das Alter jedes Anwesenden um ein Mehrfaches überschreiten, dafür bestrafen wollte, daß sie den menschlichen wie tierischen Bewohnern des Waldes Zuflucht bieten, werden sie von den Arbeitern des Eigentümers RWE unter dem Schutz der Polizei abgesägt.

Als der Schattenblick die Waldbesetzung im Juni 2012 besuchte [1], lag das Camp noch mehrere hundert Meter vom Grubenrand entfernt. Heute erstreckt sich die Zone, in der lediglich Baumstümpfe davon künden, daß hier einmal ein Wald stand, fast bis zur Autobahn. Nur noch ein dünner Streifen die A 4 säumender Bäume erweckt dort den Eindruck, als sei die Landschaft auf beiden Seiten der Fahrbahn unverändert intakt. Der damalige Standort des Camps ist heute etwa auf der Abbruchkante zu verorten, wo die Bagger die Zähne der gigantischen Schaufeln in die Erde schlagen, um ihr einen Schatz zu entringen, dessen Aschepartikel und Klimagifte in Sichtweite der Hambacher Grube in die Atmosphäre entlassen werden.

Stümpfe der bei der Räumung gefällten Bäume - Foto: © 2014 by Schattenblick

Mit deutscher Gründlichkeit auch die Erinnerung an das Aufbegehren tilgen
Foto: © 2014 by Schattenblick

Zur dritten und bislang letzten Räumung rückte am 27. März 2014 ein Großaufgebot der Polizei an. Mehrere Hundertschaften, Spezialeinheiten, die die Bäume erklommen, Hundestaffeln, Feuerwehr, Rettungskräfte und Vertreter der für diesen Teil des Waldes zuständigen Stadt Kerpen rückten mit schwerem Gerät an, um im wortwörtlichen Sinne tabula rasa zu machen. Wenige Tage zuvor war es bereits zu Hausdurchsuchungen im Unterstützernetzwerk der Waldbesetzung und zu einer polizeilichen Beschlagnahmeaktion auf der Wiese am Waldesrand gekommen. Das dort eingerichtete Lager kann nicht ohne weiteres geräumt werden, da es den Aktivistinnen und Aktivisten von dem Besitzer des Grundstücks trotz aller Schwierigkeiten, die ihm seitens der Behörden bereitet wurden, zur Verfügung gestellt wird. So bildet es praktisch die logistische Basis zur Verteidigung des Waldes. Die Polizei, die das Eigentumsrecht auch außerhalb richterlich legitimierter Beschlagnahmeaktionen an diesem Ort nur bedingt respektiert, nahm insbesondere Computer und Zubehör mit, was den Schluß nahelegt, daß sie Informationen über Struktur und Aktivitäten des Widerstands erlangen und seine Handlungsmöglichkeiten unterbinden wollte.

Offizieller Anlaß war eine Ordnungsverfügung der Stadt Kerpen, die eine angebliche Selbst- und Fremdgefährdung durch in den Bäumen installierte Plattformen der Waldbesetzung zu erkennen meinte. Daß die Zerstörung der hoch in den Wipfeln mit Tauen verankerten Bauten, der zwischen ihnen ausgespannten Verbindungsseile und der dazugehörigen Versorgungsinfrastrutktur am Boden weit mehr zur Gefährdung der betroffenen Aktivistinnen und Aktivisten beitrug, als diese sich durch die eigene Kletterei je aussetzten, ist nur ein Beleg dafür, daß hier mit legalistischen Vorwänden zugunsten des Energiekonzerns in einem Waldstück Tatsachen geschaffen werden sollten, dessen Rodung frühestens für 2018 vorgesehen ist.

In der Folge dieser Räumung fand vier Wochen später eine bereits im Vorfeld angekündigte Wiederbesetzung statt. Dieses Mal wurden an mehreren Stellen Baumhäuser errichtet, was eine weitere Räumung nicht eben einfacher machen dürfte. Der 40minütige Film über die Wald- und Wiesenbesetzung [2], den das Hambacher Forst Film-Kollektiv am Tag der Räumung fertigstellte, vermittelt einen Eindruck von dieser für hiesige Verhältnisse langen und kontinuierlichen Widerstandsaktion. Vielleicht macht ihr Beispiel auch den Aktivistinnen und Aktivisten Mut, das Aktionscamp im Treburer Wald, der einem Autobahnzubringer zum dritten Terminal des Frankfurter Flughafens weichen soll, in eine dauerhafte Waldbesetzung münden zu lassen. Die seit über 30 Jahren um dieses Drehkreuz des internationalen Flugverkehrs geführten Kämpfe sind allemal dazu angetan, den Blick auf diese besonders privilegierte wie klimazerstörende Form des Reisens zu lenken.

Plattform mit Rotbuche - Foto: © 2014 by Schattenblick

Baumhaus der jüngsten Besetzung im lichten Dach der Buchen
Foto: © 2014 by Schattenblick

Recht hat, wer es durchsetzen kann

Verrechtlichung geht Hand in Hand mit Entrechtlichung, sind die jeweiligen gesellschaftlichen Machtverhältnisse doch in jede noch so neutral erscheinende Rechtsordnung eingeschrieben. Wer Paragraphenreiterei und Winkeladvokatentum nichts entgegenzustellen hat, weil gute Anwälte zu teuer sind oder verbriefte Grundrechte durch ein angebliches Gemeinwohlinteresse ausgehebelt werden, den schützt der gute Glauben an den Rechtsstaat nicht davor, ihm zu unterliegen. Wenn Lebensgrundlagen, auf die alle Menschen angewiesen sind, zugunsten partikulärer Interessen zerstört werden, ist dagegen gerichteter Widerstand nicht nur moralisch legitim. Er ergibt sich aus der schlichten Einsicht, daß die Diskrepanzen zwischen Rechtsansprüchen und Eigentumsinteressen auf der einen und Lebens- wie Naturschutz auf der anderen Seite nicht hinnehmbar sind. Zwischen Legalität und Legitimität aufklaffende Gewaltverhältnisse waren stets Gegenstand gesellschaftlicher Kämpfe und sind es auch im Hambacher Forst, wo meist jüngere Menschen die Frage nicht nur ihrer Zukunft, sondern der aller Lebewesen so ernst nehmen, daß es ihnen dabei um mehr geht als das Erreichen des Ziels, den Rest dieses Waldes zu erhalten.

Das zeigt sich zum Beispiel darin, daß die Verhinderung von Tierausbeutung für die meisten Aktivistinnen und Aktivisten nicht minder bedeutsam ist als der Schutz der pflanzlichen Natur. Eine ohne Tierprodukte auskommende Küche ist ebenso selbstverständlich wie etwa das Markieren von Wegen in den Waldlagern, um die unnötige Zerstörung der Vegetation zu vermeiden. Erfordernissen der Ernährung wird nicht nur durch Spenden aus dem Kreis der die Waldbesetzung unterstützenden Bevölkerung, sondern auch durch eigenen Anbau wie dem Sammeln der Früchte des Waldes Rechnung getragen. Auf dem Klimacamp 2013 im nahegelegenen, 2022 in der Hambacher Grube verschwindenden Manheim wurde die Frage der Ernährungssouveränität durch die Initiative Reclaim the Fields thematisiert [3]. Sie widmet sich neben Methoden des den Boden schonenden Anbaus von Feldfrüchten auch der Analyse und Kritik des Verhältnisses von industrieller Raumforderung etwa durch die Braunkohletagebaue, des globalen Landraubes, des Verbrauchs von Nahrungsmitteln für Mobilitätszwecke und der Bedeutung des Klimawandels für die Ernährungssicherheit.

Selbstgebaute, mit Lehm verfugte Waldhütte - Foto: © 2014 by Schattenblick

Treffpunkt für ungestörte Gespräche
Foto: © 2014 by Schattenblick

In Gesprächen mit einzelnen Aktivistinnen und Aktivisten wird häufig die Erweiterung des persönlichen Erfahrungshorizontes durch das Leben im Wald betont. Meist aufgewachsen in einer urbanen Umgebung, entdecken sie Qualitäten im direkten Kontakt mit der Natur, die einen anderen Umgang mit der eigenen Lebenswelt bewirken. War die zwar offenkundig zerstörerische, in der Übersetzung auf den globalen Klimawandel aber auch abstrakte Bedrohung durch Abbau und Verstromung der Braunkohle häufig der erste Anlaß, sich gegen die Zerstörung des Waldes zu engagieren, so besitzt das Leben ohne den üblichen Komfort moderner Wohnungen und Einkaufsmöglichkeiten ein eigenes Erkenntnispotential. Mit grundlegenden körperlichen Erfordernissen ohne vertraute Versorgungsinfrastruktur umzugehen, fördert nicht nur die Rückbesinnung auf elementare Formen der Lebenssicherung, sondern schafft auch Bewußtsein über die komplexen Abhängigkeitsverhältnisse des auf Reproduktion in der arbeitsteiligen Gesellschaft zugerichteten Menschen.

Von daher ist es nicht erstaunlich, daß die Aktivistinnen und Aktivisten des Hambacher Waldes antikonsumistische und antikapitalistische Positionen vertreten. Von den Resten einer Produktivität zu leben, die bei aller Überproduktion für das Gros der Menschen unbezahlbarer Güter nicht in der Lage ist, deren materielle Grundbedürfnisse zu befriedigen, bietet sich allein schon deshalb an, weil das Ausmaß der Zerstörung nicht dadurch geringer wird, daß hier und dort ein nicht über Geld vermittelter Gebrauchswert abfällt. Dennoch bleiben bei der bloßen Verkehrung herrschender Verwertungsverhältnisse in eine Zurück-zur-Natur-Idylle all diejenigen Menschen unbedacht, die bereits jetzt auf niedrigstem materiellen Niveau überleben, weil das kapitalistische Weltsystem Zonen der sozialen Verelendung und materiellen Armut schon aus Gründen systematischer Kostensenkung erzeugt.

Willkommenszelt mit Zeitschriftenständer und Plakatwand - Fotos: © 2014 by Schattenblick Willkommenszelt mit Zeitschriftenständer und Plakatwand - Fotos: © 2014 by Schattenblick Willkommenszelt mit Zeitschriftenständer und Plakatwand - Fotos: © 2014 by Schattenblick

Ein herzliches Willkommen für die ganze Breite sozialer Kämpfe
Fotos: © 2014 by Schattenblick

Gesellschaftliche Naturverhältnisse nicht dem ökologischen Antwortschema überlassen

Mit der Naturromantik früherer Lebensreformer sind die gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse ebensowenig aus ihrer entfremdenden und zerstörerischen Gewalt zu lösen wie durch ein Gebot ökologischer Nachhaltigkeit, das diese Verhältnisse lediglich grün einkleidet, um am Vorteil der hohen Stellung im globalen Produktivitätsgefälle nicht rühren zu müssen. Gesellschaftlich sind Naturverhältnisse sozial bestimmt, denn sie manifestieren sich innerhalb eines spezifisch menschlichen Horizonts, den zu öffnen für das Interesse anderer Lebewesen zu Fragen führt, deren Antworten mit den Mitteln positivistischer, den Primat des Nutzens, der sie hervorgebracht hat, nicht transzendierender Wissenschaften nur bedingt zu erwirtschaften sind.

Außerhalb der Kategorien dieses Nutzens darüber nachzudenken, warum der Wald schützenswert ist, führt zwangsläufig zu der Einsicht, daß er des Menschen nicht bedarf. Dessen Zugriff auf die Bäume als Produzenten einer Naturressource ist von dementsprechend einseitiger Art, sprich ignoriert das Eigenleben dieses Bioorganismus vollständig. Die Widersprüchlichkeit eines Mensch-Natur-Verhältnisses, das die Trennung der eigenen Existenz von den sie bedingenden Agenzien nur über die Abstraktion wiederum aus eigener Anschauung entstandener Kategorien vornehmen kann und somit im selbstreferentiellen Zirkelschluß befangen bleibt, produziert Antworten, die in den ihnen vorausgehenden Fragen bereits enthalten sind. Von "Umweltproblemen" zu sprechen, kann denn auch nur eine anthropozentrische Sicht reflektieren, die nichtmenschliches Leben auf eine Quantität eigenen Bedarfs reduziert, über die zu verfügen alles ausschließt, was diesem Interesse als unverfügbare Qualität entgegentritt.

Kleines Beet mit verschiedenen Gemüsesorten - Foto: © 2014 by Schattenblick

Feldwirtschaft im Wiesenformat
Foto: © 2014 by Schattenblick

Dies betrifft nicht nur menschliche, sondern alle Lebewesen, ziehen sich die gesellschaftlichen Gewaltverhältnisse doch quer durch alle sogenannten Arten und Spezies. Sich der Frage ihrer Überwindung zu stellen, wie es die radikalökologische Bewegung und die Aktivistinnen und Aktivisten im Hambacher Wald, wissentlich oder nicht, tun, bringt sie an die vorderste Front eines nicht nur theoretischen, sondern ganz lebenspraktischen Erkenntnishorizontes. Sich in exponierter Stellung mit der Staatsgewalt anzulegen und dabei Kriminalisierung und körperliche Schäden nicht zu scheuen, ist Ausdruck eines Grenzgangs, an dem sich die Geister der gesellschaftlichen Integration von der subjektiven Wirklichkeit selbstbestimmter Existenz scheiden. Die kategoriale Sozialisation nach Geschlecht, Hautfarbe, sozialer Herkunft und religiös-ideologischer Zugehörigkeit der Behauptung zu überantworten, die Irrealität der von Herrschaft und Raub freien Utopie ergebe sich folgerichtig daraus, daß sie in nämlichen Kategorien nicht anzutreffen ist, setzt mehr aufs Spiel, als die sogenannte Risikogesellschaft selbst bei denkbar größter Gewinnaussicht zu wagen imstande wäre.

Die Wiese mit Bauten und Wohnwagen - Foto: © 2014 by Schattenblick

Wurzeln schlagen zwischen den Welten
Foto: © 2014 by Schattenblick

Aus der - nach handelsüblichen Vorteilserwägungen zweifellos gegebenen - Unvernunft, einen angesichts vorherrschender Machtverhältnisse fast aussichtslosen Kampf zu führen, resultiert eine für soziale Bewegungen ganz praktische Konsequenz. Indem die Verteidigung natürlichen Lebens mit Formen kollektiver Organisation einhergeht, in denen Fragen der Verläßlichkeit und Solidarität, des Eigentums und Gebrauchs nicht vertraglich fixiert werden müssen, um dennoch tragfähige Strukturen und wirksames Handlungsvermögen hervorzubringen, dementieren sie die Notwendigkeit einer Professionalisierung, mit der über die Hintertür Einzug hält, was am Hauptportal angeblich abgewiesen wird. Die Auseinandersetzung um die Frage, inwiefern radikalökologischer Basisaktivismus eines Bewegungsmanagements bedarf, um seine Ziele besser vermitteln und erreichen zu können, oder ob die Verwendung PR-technisch aufgerüsteter Kommunikationsformen und die Beteiligung an Gremien, in denen sich Staat, Industrie, Wissenschaft und Zivilgesellschaft gegenübersitzen, nicht vor allem dazu dient, dem kapitalistischen Normalbetrieb unverträgliche Positionen unter Kontrolle zu bringen, wird mit der Verschärfung sozialer und ökologischer Widersprüche eher zu- als abnehmen.

Die hochgradige Adaptionsfähigkeit der warenproduzierenden Marktwirtschaft hat es bislang noch stets verstanden, antagonistische Bewegungen einzubinden und für ihre Zwecke nutzbar zu machen. Der grünkapitalistische Widerschein ihrer zerstörerischen Wirkungen vermeintlich entledigter Produktionszwänge überblendet die Aufrechterhaltung sozialer Hierarchien und globaler Ausbeutungsverhältnisse durch eine marktwirtschaftliche Regulationsweise, die die Zerstörung der Natur angeblich dadurch verhindert, daß sie ihren Preis hochsetzt. Der dafür zu erwirtschaftende Wert läßt sich allerdings nur über wachstumsfördernde Produktivitätskonkurrenz steigern, was die Verluste der Menschen, die die dabei angeeignete Arbeit erbringen, keineswegs durch erneuerbares Leben kompensiert. Recycelt wird der Anspruch auf Mehrwertabschöpfung, nicht eine Natur, die in den idealisierten Konzepten geschlossener Kreisläufe unvergänglich erscheint und dennoch die Ohnmacht schmerzerfüllter Finalität erleidet. Wer sich der Scharade einer in der Zirkulationssphäre verbleibenden Schadensminimierung am besten zu bedienen und die gesellschaftlichen Naturverhältnisse grün genug zu waschen weiß, bewegt sich ganz vorne in einer Freßkette, die sich längst in tödlicher Umarmung um den Hals derjenigen gelegt hat, die noch nicht begriffen haben, daß Nachhaltigkeit ein Über-Leben meint, das den Frieden der Paläste auf den Trümmern eben nicht nachhaltig genug gebauter Hütten errichtet.

Baumhaus hinter Blättern am Abend - Foto: © 2014 by Schattenblick

Fast unsichtbar in der Kuppel des Waldes
Foto: © 2014 by Schattenblick

Über den Tellerrand eigener Bedürftigkeit hinaus ...

Daß ein Baum sich in der Luft wiegt und von Wasser durchströmt wird, in der Erde Wurzeln schlägt und dem Himmel entgegenstrebt, ohne dafür außer ihm liegender Zwecke und Ziele zu bedürfen, sollte genügen, den eigenen Anspruch auf Unverletzlichkeit und Schmerzfreiheit jedem Bioorganismus zuzugestehen, von dem der Mensch bestenfalls den hölzernen Brennwert kennt und diesem Unverständnis abzugewinnen weiß. Wie sonst sollte das sinnliche und empathische Empfinden, das der Verwertbarkeit und Kontrollierbarkeit menschlicher Subjektivität im Kern entgegensteht, die Grenzen der Individuation und die Fesseln der Bedürftigkeit sprengen, als durch die Befreiung des anderen Lebewesens?

Fragen dieser Art entspringen nicht Religion oder Esoterik, sondern liegen auf der Linie einer menschlichen Geschichte, die das Anliegen der Emanzipation von Zwang und Gewalt bereits seiner streitbaren Wirkung im Kampf gegen diese Anmaßung schuldete. Das Subjekt der Beendigung der Herrschaft des Menschen über den Menschen nicht auf die selbstgezogene Grenze der Art oder Spezies zu reduzieren, bedeutet nicht, die soziale Frage zu biologisieren, wie es im Spätkapitalismus üblich ist, um vom materialistischen Kern seiner Widersprüche abzulenken. Teilen und Zählen, Vergleichen und Bewerten als Operationen, die dem Leben die Fessel einer Ware aufherrschen, zu bestreiten, stellt auch die Klassifizierungen einer Wissenschaft in Frage, die die religiöse These von der Auserwähltheit des Menschen in der anthropologischen und geschichtspositivistischen Zwangsläufigkeit seiner Höherentwicklung säkularisiert. Was das alles mit sozialem und ökologischem Widerstand zu tun hat? Mehr auf jeden Fall als die Angst davor ahnen läßt, mit der Negation herrschender Verhältnisse zu scheitern.

Abendlicht zwischen Bäumen - Foto: © 2014 by Schattenblick

Foto: © 2014 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] BERICHT/022: Bagger fressen Erde auf - Erkundungen in RWE-Land (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0022.html

[2] http://hambacherforst.blogsport.de/media/hambacher-forst-film/

[3] http://www.ausgeco2hlt.de/klimacamp/hintergrund/braunkohle-und-reclaim-the-fields/


Aktuelle Beiträge zu den Tagebauen im Rheinischen Braunkohlerevier und den dagegen gerichteten Widerstand im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → UMWELT → REPORT:

BERICHT/075: Kohle, Gifte, Emissionen - Kontroversen, Bündnisse, Teil 1 (SB)
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26. Juni 2014