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BERICHT/095: Welt ohne Hunger - Keine Gewinne ohne Verluste (SB)


Internationale Abschlußkonferenz der Welthungerhilfe am 4. Februar 2015 in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in Berlin

Kurs setzen auf eine Welt ohne Hunger


Ungeachtet von Klimawandel und Ressourcenknappheit - Hunger ist kein Naturgesetz. Die führenden Industriestaaten müßten ihr Budget für die Entwicklungszusammenarbeit aufstocken, Programme zur Förderung des Kleinbauerntums auflegen und einige weitere Maßnahmen ergreifen, dann könnten Hunger und versteckter Hunger in Form von Mangelernährung bis zum Jahr 2030 aus der Welt geschafft sein. Zu dieser Einschätzung gelangt die Welthungerhilfe, die mit dem "Berlin Memorandum" einen dringenden Appell an die deutsche Regierung richtet, daß sie das Thema Hunger auf die Agenda des nächsten G7-Gipfels setzt, der unter ihrem Vorsitz am 7./8. Juni auf Schloss Elmau stattfindet. Auch sollte Deutschland die anderen Wirtschaftsmächte dazu bewegen, bei der Hungerbekämpfung mitzumachen.


Gruppenbild - Foto: © 2015 by Schattenblick

Bärbel Dieckmann (links), Präsidentin der Welthungerhilfe, begrüßt die Gäste Dr. Gerd Müller (ganz rechts) und Gerda Verburg (mit dem Rücken zur Kamera), ehemalige niederländische Landwirtschaftsministerin und heutige Vorsitzende des Committee on World Food Security (CFS) in Rom.
Foto: © 2015 by Schattenblick

Das "Berlin Memorandum" war im Rahmen der POWA-Initiative [1] in zwei Regionalkonferenzen, eine im Mai 2014 in Neu Delhi, die andere im November 2014 in Addis Abeba, unter Beteiligung internationaler Expertinnen und Experten aus Zivilgesellschaft, Privatwirtschaft und Wissenschaft vorbereitet worden und wurde am 4. Februar auf einer Konferenz in Berlin verabschiedet.

"Setting the Course for a World without Hunger" - Kurs setzen für eine Welt ohne Hunger - titelte die Welthungerhilfe das ganztägige Treffen, zu dem rund 200 Gäste aus dem In- und Ausland angereist waren, um über die Hungerproblematik zu diskutieren und dem "Berlin Memorandum on Sustainable Livelihoods for Smallholders" (Berliner Memorandum zur nachhaltigen Lebenshaltung von Kleinbauern) [2], so der vollständige Titel, den letzten Schliff und vor allem Schub zu verleihen, so daß das Dokument bei den politischen Entscheidungsträgern Gehör findet. "Smallholders", das sei hier ergänzt, schließt nicht nur Kleinbauern, sondern auch Hirten, Fischer, Kleinhändler und andere Berufsgruppen ein.

Kleinbauern produzieren rund 70 Prozent der Grundnahrungsmittel in den Entwicklungsländern und spielen damit die "bedeutendste Rolle" bei der Gewährleistung der Ernährungssicherheit, heißt es im Memorandum. Während industrielle Monokulturen auf Produktionssteigerungen ausgerichtet seien und mehr Kapital, Energie, politische Unterstützung und Subventionen erforderten, benötige das Produktionssystem von Kleinbauern viel weniger fossile Energien. Außerdem förderten Kleinbauern die Biodiversität und Saatgutvielfalt. Diese Diversität stärke die Resilienz aller.

"Daß noch heute mehr als 800 Millionen Menschen Hunger leiden ist ein Skandal. Wir müssen diesem Skandal ein Ende setzen. Dann können wir auch zur Lösung anderer Probleme beitragen und etwa stabile Verhältnisse in kriegsgebeutelten Ländern schaffen", sagte Bärbel Dieckmann, die Präsidentin der Welthungerhilfe, wohl auch unter dem Eindruck der aktuellen Konflikte im Nahen und Mittleren Osten und der Ukraine. Darüber hinaus übte sie unter Bezug auf einen jüngeren Bericht der Organisation Oxfam [3] leise Kritik an der gesellschaftlichen Eigentumsordnung: Wenn 80 der reichsten Familien so viel besitzen wie 3,5 Milliarden Menschen, so Dieckmann, "dann müßten Fragen gestellt werden". Einkommensgerechtigkeit sei eine der Voraussetzungen für Fortschritt in der Entwicklungszusammenarbeit. "Die Zusammenhänge zwischen Krisen in der Welt und Einkommensungerechtigkeit und Hunger sind ganz eng, sie sind vielleicht viel enger, als wir manchmal früher wahrhaben wollten oder wußten."

Die Welthungerhilfe fordert nicht nur eine stärkere finanzielle Unterstützung der Kleinbauern, von denen 80 Prozent unter der Armutsgrenze leben, wovon wiederum besonders Frauen betroffen sind, sondern auch eine Sicherung ihrer Landrechte, mehr Mitsprache und eine frühzeitige Einbindung in Entscheidungsprozesse, von denen sie unmittelbar betroffen sind. Auch sollten Wertschöpfungsketten aufgebaut werden, von denen die Kleinbauern profitierten.


Am Rednerpult - Foto: © 2015 by Schattenblick

Bärbel Dieckmann bei der Eröffnungsansprache
Foto: © 2015 by Schattenblick


Laufende Zielkorrektur bei der globalen Hungerbekämpfung

Bereits zur Zeit der sogenannten Grünen Revolution in den sechziger, siebziger Jahren waren Stimmen laut geworden, die behaupteten, daß der Hunger bis Ende des Jahrhunderts aus der Welt geschafft werde. Ein Irrtum, wie sich herausstellte. Dann, im Jahr 2000, verabschiedete die internationale Gemeinschaft eine Reihe von Millenniumszielen. Dabei war nicht mehr von einer Abschaffung des Hungers die Rede, sondern nur noch von einer Halbierung der Zahl der Hungernden bis zum Jahr 2015. Dieses Ziel wurde weit verfehlt, trotz des Versuchs, durch eine recht freizügige Interpretation und einiger Rechentricks sowohl das ausgewiesene Ziel als auch die Zahl der Hungernden zu reduzieren. Darüber berichtete der Professor für Philosophie und Internationale Angelegenheiten Thomas Pogge von der Yale-Universität kürzlich in der "Süddeutschen Zeitung". [4]

Fast könnte man den Eindruck gewinnen, daß die Verheißungen um so größer werden, je weniger die Aussicht auf eine Beendigung des Hungers besteht. So haben im Januar dieses Jahres die Staats- und Regierungschefs auf einem Gipfeltreffen der Afrikanischen Union (AU) laut einer IPS-Meldung "erneut ihren Willen bekräftigt", die Gefahr des Hungers bis 2025 zu bannen. [5]

Durchschnittlich jeder dritte Subsaharabewohner hungert. In den letzten 15 Jahren wurde nicht einmal eine Halbierung der Zahl der Hungernden erreicht, jetzt will man binnen zehn Jahren in Afrika den gesamten Hunger beseitigen. Aber wer seinen "Willen" bekräftigt, und das auch noch "erneut" tut, hat sich mit solchen Formulierungen weniger ein Hintertürchen, denn ein breites Tor offengehalten, daß "es" (wer auch immer damit gemeint ist) nicht geklappt hat mit der Hungerabschaffung.

Welche Kehrseite allein schon das Millenniumsziel hat, wird sofort klar, wenn man es aus Sicht derjenigen betrachtet, die auf der Strecke bleiben: Es sollten nicht alle, sondern nur die Hälfte der Hungernden ausreichend mit Nahrung versorgt werden. Vereinbart wurde somit, daß bis zum Jahr 2015 weiterhin Hunderte Millionen Menschen Hunger leiden oder gar hungers sterben. Das müssen sie nicht aufgrund irgendeiner Naturgesetzlichkeit, sondern weil Menschen, die selber nicht hungern müssen, Entscheidungen getroffen haben.

Sogar der Bundesminister für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Dr. Gerd Müller, sagte auf dem Kongreß: "Hunger ist nicht Schicksal, sondern er ist das Ergebnis von menschlichem Versäumnis. Deshalb müssen wir die Weichen für eine Welt ohne Hunger neu stellen."

Ein Versäumnis, das sei hier angefügt, das nicht aufgrund von Unkenntnis geschah, sondern aufgrund absichtsvoller Handlungen oder eben Unterlassungen. Jean Ziegler, der von 2002 bis 2008 UN-Sonderbeauftragter für das Recht auf Nahrung war und einen vertieften Einblick in das Ausmaß und Zustandekommen von Hunger gewinnen konnte, sagte konsequent: "Die Weltlandwirtschaft könnte problemlos 12 Milliarden Menschen ernähren. Das heißt, ein Kind, das heute an Hunger stirbt, wird ermordet." [6]


Wie Armut und Hunger gemacht werden - Beispiel Philippinen

Wie Ziegler würde vermutlich auch der philippinische Soziologieprofessor und Träger des Alternativen Nobelpreises (2003) Walden Bello die Formulierung "Versäumnis" als "zu diplomatisch" ablehnen und statt dessen von "Absicht" sprechen. In seinem Buch "Politik des Hungers" [7] übt Bello scharfe Kritik an den Industriestaaten und ihren verlängerten Armen IWF und Weltbank, die mit Hilfe sogenannter Strukturanpassungsmaßnahmen, denen über einen Zeitraum von 20 Jahren mehr als 90 Länder unterworfen wurden, ganz gezielt beispielsweise aus dem Mais-Exporteur Mexiko einen Mais-Importeur und aus den Philippinen, die von jeher Selbstversorger bei der Produktion von Reis waren, ein bedürftiges Land, das Reis importieren muß, gemacht haben. Ein Mangel, der ausländischen Agrounternehmen in Kooperation mit der Regierung als Vorwand diente, ihr lizenziertes, gentechnisch verändertes Saatgut in dem Land einzuführen.

Diesem Bestreben trotzt seit vielen Jahren mit beachtlichen Erfolgen MASIPAG, ein Netzwerk von Bauernorganisationen und Wissenschaftlern, durch die Förderung des traditionellen, organischen Reisanbaus mit anpassungsfähigen Sorten, die hohe Erträge liefern und eine weitgehend selbstbestimmte Produktionsweise ermöglichen. Wie die MASIPAG-Koordinatorin Elizabeth Cruzada im vergangenen Jahr in Berlin berichtete, waren 20 Jahre nach Einführung der Grünen Revolution auf den Philippinen von rund 4000 traditionellen Reissorten nur noch fünf übriggeblieben, die auf über 90 Prozent der Reisfelder angebaut wurden. Da anfangs die Erntemenge durch die importierten Hochertragssorten von durchschnittlich 1,7 auf 2,5 Tonnen pro Hektar gesteigert werden konnte, weckte das bei vielen Kleinbauern die Hoffnung, daß ihnen der Fortschritt endlich zu mehr Wohlstand verhilft.

Dennoch verarmten die Bauern, da die Inputs bzw. "Neben"kosten (Saatgut, Pestizide, etc.) die Mehreinnahmen verzehrten. Die Grüne Revolution, mit der auch eine stärkere Weltmarktteilnahme der Erzeugerinnen und Erzeuger propagiert wird, erwies sich - nicht nur auf den Philippinen - als Armutsfalle. Und Armut bedeutet Hunger.

Die Reiszüchterinnen und -züchter von MASIPAG jedenfalls produzieren nicht primär für den Weltmarkt, behalten die Verfügungsgewalt über ihr Saatgut, und wenn mal wieder ein Taifun die Felder verwüstet, was in dem südostasiatischen Inselstaat regelmäßig geschieht, werden die Betroffenen dank der kooperativen Struktur von MASIPAG von jenen, die von dem Unwetter verschont geblieben sind, in der Gewißheit unterstützt, daß es ihnen im nächsten Jahr genauso ergehen könnte und dann sie auf Unterstützung angewiesen wären. [8]

Eine sichere Unterstützung kann selbst die größte humanitäre Organisation der Welt, das Welternährungsprogramm (UN World Food Programme, WFP), nicht unter allen Umständen gewährleisten. Es hat zwar im Jahr 2013 mehr als 80 Millionen Hungernde in 75 Ländern mit Ernährungshilfe unterstützt, aber damit nur etwa jeden zehnten Hungernden erreicht. Über 90 Prozent der Hungernden gingen leer aus.

Das ist noch beschönigend. Bis heute statten die Geberländer das WFP mit keinem festen Budget aus, so daß es regelmäßig um Spenden bitten muß, und das oftmals nicht nur einmal pro Kampagne, sondern wiederholt, weil bis dahin nur ein Bruchteil der dringend erforderlichen Gelder eingegangen ist. In der Konsequenz kann das bedeuten, daß das WFP die Kalorienzahl für Flüchtlinge herabsetzen oder die Nahrungsversorgung gänzlich einstellen muß. Das kommt häufiger vor. [9] Allzu oft sind diejenigen, die sich auf das WFP, bzw. die Geberländer im Hintergrund verlassen, tatsächlich verlassen.


Bei seiner Rede - Foto: © 2015 by Schattenblick

Dr. Gerd Müller
Foto: © 2015 by Schattenblick

Chronischer Hunger - unter marktwirtschaftlichen Produktionsbedingungen "Programm"

Zwischen 2006 und 2008/2009 stieg zeitgleich mit der Preisexplosion für Grundnahrungsmittel die Zahl der Hungernden weltweit an und überschritt erstmals in der Menschheitsgeschichte die Marke von einer Milliarde. In mehreren Dutzend Ländern brachen wegen der hohen Lebensmittelpreise Unruhen aus, Regierungen gerieten ins Wanken oder wurden gestürzt. Von der Preisexplosion waren im allgemeinen jene Länder besonders betroffen, die eng mit dem Weltmarkt verknüpft waren.

Die Unruhen fanden in den Städten statt. Viele Einwohner nahmen nur noch eine statt zwei oder drei Mahlzeiten pro Tag zu sich und bekamen auf einmal zu spüren, was die Landbevölkerung regelmäßig erfährt, beispielsweise wenn sie die Ernte vom letzten Jahr aufgezehrt hat, aber die neue Saison noch keine Erträge abwirft. "Lean season", magere Saison, wird diese Jahreszeit genannt.

"In den ländlichen Räumen lebt die weit überwiegende Zahl der Armen und Hungernden. Das ist eigentlich grotesk. Denn die Menschen hungern dort, wo die Nahrungsmittel wachsen und produziert werden. Und das müssen wir ändern."

Mit dieser Erkenntnis hat der Bundesminister für Wirtschaftliche Zusammenarbeit Gerd Müller (CSU) einen Grundwiderspruch der globalen Gesellschaft angesprochen, auch wenn er vielleicht nicht die folgenden Schlußfolgerungen ziehen würde: Wenn ausgerechnet diejenigen, die am meisten Nahrungsmittel produzieren, am wenigsten zu essen haben, dann bedeutet das, daß ihnen die existentiell wichtige Nahrung in irgendeiner Form weggenommen oder vorenthalten wird. Die dabei eingesetzten Mittel sind mannigfaltig und reichen von direkter Gewaltanwendung bis zu ökonomischer und struktureller Gewalt, also zum Beispiel von direkter Vertreibung vom Land ("land grabbing") bis zum Einbrechen des Weltmarktpreises für Getreide und in der Folge der Einnahmen der Kleinbauern. Auch die Subventionierung von Pflanzen für die Treibstoffproduktion statt für Nahrungszwecke, also die Konkurrenz auf dem Acker, ist ein wesentlicher Faktor, der Hunger auslösen kann. Vor allem aber wird die Arbeit ausgerechnet derjenigen, von denen alle anderen existentiell abhängig sind, am geringsten entlohnt. Bauern und andere Smallholders stehen nicht am oberen, sondern unteren Ende der Wertschöpfungskette.

Angeblich werden weltweit genügend Nahrungsmittel produziert, damit alle Menschen ausreichend zu essen haben und auch nicht vom versteckten Hunger (Mangelernährung) betroffen sind. Unter Beibehaltung marktwirtschaftlicher Produktionsbedingungen ist es jedoch fraglich, ob jemals genügend Nahrung für alle Menschen zur Verfügung stehen. Denn wenn es "nur" eine Frage der Verteilung wäre, so müßte darauf geantwortet werden: Aber es wird ja verteilt, nämlich im wesentlichen durch die beinahe als "heilig" gehandelten Marktgesetze.

Solange die Marktgesetze nicht als primäre Verteilungsdoktrin in Frage gestellt werden, solange werden Menschen hungern, weil sie zwar einen Bedarf an Nahrung haben, dieser aber von den Ökonomen gar nicht als "Nachfrage" gerechnet wird! Eine Welt ohne Hunger als Folge einer "gerechteren Verteilung" würde somit bedeuten, daß nicht mehr marktwirtschaftliche Kriterien wie Steigerung des Profits oder Wachstum ausschlaggebende Anreize der Nahrungsmittelproduktion sein dürften.

Wenn beispielsweise Agrokonzerne und ihre Lobbyisten behaupten, daß der Hunger in der Welt nur mit Hilfe gentechnisch veränderter Pflanzen behoben werden kann, und sie die Gegner der Gentechnik bezichtigen, sie handelten unverantwortlich gegenüber den Hungernden, dann wird bei diesem Argument übersehen, daß die Hungernden aus Sicht der Unternehmen vollkommen uninteressant sind, solange sie keine Produkte "nachfragen" können. Nach der Marktlogik würde und wird den Hungernden nicht geholfen.

Erst wenn zum Beispiel der Staat interveniert, indem er Ernten aufkauft und verteilt oder auf andere Weise die Produktion und Verteilung von Nahrungsmitteln regelt, besteht die Chance, daß auch diejenigen Mitglieder der Gesellschaft etwas erhalten, die nicht dafür bezahlen können, da sie nicht am Wirtschaftsgeschehen teilhaben. In diesem Fall stellt sich natürlich die Frage, wozu dann überhaupt so große, privatwirtschaftliche Unternehmen gebraucht werden. Theoretisch könnte man den erwirtschafteten Mehrwert anderweitig einsetzen, als daß damit die Taschen von wenigen Profiteuren der vorherrschenden Gesellschaftsordnung gefüllt werden. Wie gesagt, wenn 80 Familien über das gleiche Vermögen verfügen wie 3,5 Mrd. Menschen, müssen Fragen gestellt werden.

Warum beharren Industriestaaten wie die USA bei den WTO-Verhandlungen darauf, daß Indien unbedingt seine staatlichen Subventionen für Hunderte von Millionen Kleinbauern einstellen muß, wo doch die riesige Versorgungslücke gar nicht durch die vielbeschworenen Kräfte des Marktes geschlossen werden könnte und absehbar wäre, daß Hunger und Mangelernährung in Indien weiter zunähmen?

Was sollte die G7-Staaten veranlassen, von ihrer bisherigen Politik der Entwicklungszusammenarbeit, bei der erklärtermaßen die Produktionssteigerung und die Teilnahme der Bauern am Weltmarkt, nicht aber ihre Fähigkeit zur Subsistenz gefördert wird, Abstand zu nehmen und sich auf die Vorstellungen der POWA-Initiative einlassen?

Wenn es ein "Recht auf Nahrung" gibt, stellt sich die Frage, was dieses Recht wert ist, wenn es von denen, die es dringend nötig hätten, nicht eingeklagt werden kann?

An der von Dieckmann und Oxfam in Frage gestellten Eigentumsverteilung zeigt sich, daß grundsätzlich keine Gewinne ohne Verluste gemacht werden können. Wenn Nahrungsmittel vollkommen frei verfügbar wären, besäßen sie keinen ökonomischen Wert, denn niemand bräuchte dafür bezahlen. Daraus läßt sich umgekehrt ableiten, daß Wirtschaften den Mangel braucht, ihn geradezu produziert. Der Hunger von vielen entspricht den Profiten von wenigen.


Die Akademie noch im morgendlichen Winterkleid - Foto: © 2015 by Schattenblick

Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften am Gendarmenmarkt in Berlin
Foto: © 2015 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] POWA steht für "Building Public and Political Will for Agriculture ODA in Germany" - Öffentliche und politische Willensbildung in Deutschland für ODA im landwirtschaftlichen Sektor. ODA (Official Development Assistance) bezeichnet das Bereitstellen finanzieller Mittel des öffentlichen Sektors für die Entwicklungszusammenarbeit. Laut der POWA-Website besteht das Ziel der Initiative darin, "die G7-Nationen (USA, Japan, Deutschland, England, Frankreich, Italien, Kanada und ehemals als achtes Mitglied Russland) dazu zu bringen, sich mit aller Kraft und entsprechenden Mitteln für die Überwindung von Hunger einzusetzen."
http://www.welthungerhilfe.de/powa.html

[2] http://www.welthungerhilfe.de/fileadmin/user_upload/Themen/POWA/Termine/5_Berlin_Memorandum_on_sustainable_livelihoods_for_smallholders_2015.pdf

[3] http://www.oxfam.de/informieren/soziale-ungleichheit#nachricht-21937

[4] http://www.sueddeutsche.de/politik/philosoph-ueber-globale-gerechtigkeit-wie-die-vereinten-nationen-den-hunger-kleinrechnen-1.2315642

[5] http://schattenblick.com/infopool/politik/ernaehr/perhu325.html

[6] We Feed the World, 2005; Artikel: "Das tägliche Massaker des Hungers - Wo ist Hoffnung?", metall Nr. 5/2006.

[7] Walden Bello: "Politik des Hungers", Berlin, Hamburg 2010.
Eine Rezension zu diesem Buch im Schattenblick unter:
http://schattenblick.com/infopool/buch/sachbuch/busar531.html

[8] Die MASIPAG-Koordinatorin Elizabeth Cruzada hielt am 7./8. März 2014 auf dem von der Zukunftsstiftung Landwirtschaft organisierten Symposium "Die Farbe der Forschung II - Das Innovationspotenzial von Beziehungsnetzen" in Berlin den Vortrag: "Von der partizipativen Züchtung zur Ernährungssouveränität".
Näheres dazu im Schattenblick unter:
INFOPOOL → UMWELT → REPORT
BERICHT/086: Treffen der Wege - Zorn und Fleiß wird eigener Reis (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0086.html

[9] Im Dezember vergangenen Jahres mußte das WFP die Nahrungshilfe für 1,7 Millionen syrische Flüchtlinge einstellen. Nur einem privaten Spender war es zu verdanken, daß die Flüchtlinge in jenem Monat etwas zu essen bekamen.
http://dtj-online.de/un-streicht-nahrungshilfe-fur-17-millionen-syrer-43101

Aktuellen Meldungen zufolge erhalten die Bewohner des Deleig-Lagers in der sudanesischen Provinz Darfur schon seit drei Monaten nichts zu essen. Das UN-Büro zur Koordinierung von humanitären Angelegenheiten OCHA (UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs) berichtete, daß seit fünf Jahren die Geberländer immer weniger für den Ernährungssektor spendeten.
http://allafrica.com/stories/201502110448.html

11. Februar 2015


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