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BERICHT/123: Klima und Finanzen - den Teufel mit dem Beelzebub ... (2) (SB)


Deutlich unter 2 Grad - Konkrete Umsetzung nach Paris

Briefing vor der 22. UNFCCC-Klimakonferenz im Auswärtigen Amt am 27. September 2016

Teil 2: Grün gewandete globale Finanzströme zur Ausdehnung der Verfügungsgewalt in bislang nicht ökonomisierte Bereiche


Die Geschwindigkeit, mit der sich zur Zeit eine ganze Reihe von Erdsystemen wandelt, wird von der Wissenschaft als erdgeschichtlich beispiellos bezeichnet. Wenn in der Geologie "plötzliche" Klimaumschwünge aus den Proxydaten von Eisbohrkernen, Baumringen, Seesedimenten und anderen erdgeschichtlichen Hinterlassenschaften herausgelesen werden, dann sind damit Zeitspannen von Tausenden oder Zehntausenden von Jahren gemeint. Wenn hingegen heute von einer "plötzlichen" Klimaveränderung aufgrund der globalen Erwärmung durch anthropogene Treibhausgasemissionen gesprochen wird, ist damit eine viel kürzere Zeitspanne gemeint. Diese Veränderung wird bereits die gegenwärtig heranwachsende Generation von Kindern und Jugendlichen mit großer Wucht zu spüren bekommen.

Hätte sie daher nicht allen Grund und jede Berechtigung auf ihrer Seite, die Versprechungen und unausgegorenen Lösungsvorschläge seitens jener Generation, die durch ihren Konsumstil den beschleunigten Klimawandel ausgelöst hat und wider besseren Wissens aufrechterhält, in Frage zu stellen? Und wäre es nicht die folgerichtige Konsequenz aus solch einer Hinterfragung, daß das Heft in die Hand genommen wird, was bedeutete, es denjenigen zu entwinden, die bislang ihren Griff darauf haben und an dem Gewohnten festhalten?


Publikum von hinten, Schwarzelühr-Sutter am Rednerpult - Foto: © 2016 by Schattenblick

Staatsekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter (BMUB) hofft auf Treibhausgasneutralität ab 2050.
Foto: © 2016 by Schattenblick

Auch wenn so radikale Schnitte und Schritte augenscheinlich kaum anzutreffen sind, gibt es sehr wohl vielfältige Bemühungen, der abzeichnenden Entwicklung entgegenzutreten, sie in andere Bahnen zu lenken oder sich den Angeboten und Anforderungen zu verweigern. Beispielsweise leben im und am Hambacher Forst einige junge Menschen sommers wie winters in Behelfsunterkünften und Baumhäusern, um mit ihrer Besetzung zu verhindern, daß auch noch der Restwald der Braunkohleförderung zum Opfer fällt. [1] Einen anderen Ansatz verfolgt ein Gruppe von 21 Kindern und Jugendlichen in den USA. Sie haben im vergangenen Jahr Klage gegen die Bundesregierung in Washington eingereicht, der vorgeworfen wird, sie tue bei weitem nicht genug gegen die globale Erwärmung. [2]

Die Klägerinnen und Kläger nutzen etablierte Strukturen, um das Establishment zum Handeln zu bewegen. Wiederum andere nehmen aus Gründen des Klimaschutzes an Demonstrationen gegen das Wegsprengen von Bergkuppen (Mountaintop Removal) zur Kohlegewinnung, Fracking, die Verlegung neuer Erdölpipelines, umweltstandardsgefährdende Freihandelsabkommen wie CETA und TTIP, den Bau von Ställen für die Massentierhaltung, etc. teil. Andere verzichten auf den Verzehr von Tieren und tierischen Produkten, unter anderem weil auch das die Kohlenstoffdioxidemissionen verringert und zugleich dazu beiträgt, sogenannte Kohlenstoffsenken wie den Amazonas-Regenwald zu schützen.

Hier soll nicht in Abrede gestellt werden, daß Erwachsene ebenso besorgt über die globale Klimaentwicklung sein können wie Kinder und Jugendliche. Es fiel allerdings auf, daß beim Briefing vor der 22. UNFCCC-Klimakonferenz am 27. September 2016 im Auswärtigen Amt, zu dem das Deutsche Klima-Konsortium e.V., das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) und das Auswärtige Amt geladen hatten, um die Leitlinien der deutschen Klimapolitik vor der nächsten großen UN-Klimakonferenz (COP 22) im November in Marrakesch vorzustellen, keine Vertreterinnen oder Vertreter jener jungen Generation zu sehen waren. Dabei sollte diese doch wohl eine der ersten Adressen sein, der mitgeteilt wird, welche klimapolitischen Ziele sich die Bundesregierung setzt und welcher Mittel sie sich dabei zu bedienen gedenkt. Zumal diese nicht einmal widerspruchsfrei sind.


Luftbildaufnahme des teils mit mehrgeschossigen Gebäuden, dicht an dicht bebauten Atolls - Foto: Shahee Ilyas, freigegeben als CC BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en] via Wikimedia Commons

Der jungen Generation aufgenötigte Erbschaft der fossilen Denkweise und Lösungskonzepte: Flache Inseln wie Malé, Hauptstadt der Malediven, nur ein Meter über dem Meeresspiegel gelegen, könnten noch in diesem Jahrhundert untergehen.
Foto: Shahee Ilyas, freigegeben als CC BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en] via Wikimedia Commons

Es grenzt an Täuschung zu behaupten, die globalen Finanzströme ließen sich ohne weiteres umlenken, so daß mit ihnen nicht wie bisher weltweit die Lebensvoraussetzungen von Millionen Menschen zerstört werden (Siehe Teil 1), sondern statt dessen Konstruktives im Sinne des Überlebens- und Lebensinteresses des ärmeren und hinsichtlich der Klimawandelfolgen verletzlicheren Teils der Menschheit geschaffen wird. Es trifft zwar zu, daß sich mit den globalen Finanzströmen einiges in Bewegung setzen läßt, aber es ist sehr die Frage, ob das immer wünschenswert ist ...

Beispielsweise kann man mit ihnen den Bau eines Staudamms in Kolumbien finanzieren, wodurch wertvolle Ökosysteme zerstört und Menschen vertrieben werden [3]; oder man kann andere Länder dabei unterstützen, Atomkraftwerke zu bauen [4]; wahlweise lassen sich damit auch Megamastställe für die Tierverbrauchsindustrie ermöglichen [5]; oder man kann mit ihnen Waffengeschäfte beispielsweise an Saudi-Arabien finanziell absichern [6].

Diese vier Beispiele betreffen Hermes-Bürgschaften, mit denen die Bundesregierung, die sich ja als Vorbild in Sachen Klimaschutz und Menschenrechte sieht, solche "globalen Finanzströme" abgesichert hat. Im Zweifelsfall würden solche Bürgschaften eingelöst und entsprechende Projekte direkt finanziert. Der Begriff "globale Finanzströme", der in mehreren Reden auf dem Briefing betont wurde und auch im allgemeinen Klimaschutzdiskurs eine herausragende Bedeutung attestiert wird, ist selbstverständlich breiter gefaßt als er hier exemplarisch beschrieben wird, aber vieles davon weist einen gemeinsamen Nenner auf. Die Interessenpriorität liegt auf dem Wirtschaften.

Ein Wirtschaftssystem, in dem die Akteure auf dem Markt gut daran tun, Profite zu erringen und darin besser zu sein als ihre Konkurrenten, wird auf der Schattenseite unvermeidlich Verluste und Verlierer produzieren, ob mit oder ohne staatliche Absicherung. Das gilt genauso für Investitionen in den Klimaschutz. Dabei werden die fossilen durch sogenannte regenerative Energiesysteme ausgetauscht, aber Verluste und Verlierer werden weiterhin geschaffen.

Sicherlich ist nicht das gesamte Wirtschaften über einen Kamm zu scheren. Wenn in einem Atomkraftwerk wie Fukushima-Daiichi drei Kernschmelzen eintreten und weite Gebiete Japans aufgrund der Verstrahlung unbewohnbar werden, die Regierung den Leuten aber finanziell die Pistole auf die Brust setzt, damit sie in die radioaktiv kontaminierte Evakuierungszone zurückkehren, ist das nicht das gleiche, als wenn sich so eine Katastrophe in einem nicht-nuklearen Kraftwerk gleicher Größenordnung ereignet hätte. Dennoch kann grundsätzlich festgestellt werden, daß ohne jene "Signale", von denen auf dem Briefing sehr viel die Rede war, kein Unternehmen irgendeine Investition tätigen wird. Ohne entsprechende Lockangebote setzt sich das Kapital nirgendwohin in Bewegung.

Die Verluste sind vielleicht nicht in jedem Fall sofort erkennbar, aber sie lassen sich identifizieren. Ob fossile oder regenerative Energieunternehmen, wenn sie investieren, weil die Regierung ihnen das durch Anreize (direkte oder indirekte Subventionen) schmackhaft gemacht hat, dann werden andernorts Verluste erzeugt, beispielsweise in den Bergbauregionen für die Ressourcengewinnung der "grünen" Technologien. Oder die Verluste werden umgewälzt und verteilt auf diejenigen, die dem Staat dafür die Gelder zur Verfügung stellen, indem sie Abgaben entrichten und Steuern zahlen. Um diese Gelder zahlen zu können, mußte gearbeitet, also Lebenszeit verbraucht werden. Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen: Hier soll nicht jenen Kritikern der Energiewende das Wort geredet werden, die mit den hohen Kosten des Umbaus der Energiesysteme argumentieren, denn auch sie üben keine tiefergehende Kritik am vorherrschenden Wirtschaftssystem.

Ökonomisierung - eine weitere Dimension der Klimaschutzpolitik

Sollte der Klimawandel wider Erwarten doch nicht so schnell vonstatten gehen, wie es zur Zeit den Anschein hat, wäre es eventuell möglich, die fossile Wirtschaft rechtzeitig in eine grüne Wirtschaft zu transformieren. Wer darauf hofft, muß jedoch ausblenden, daß auch hierfür enorme Mengen an unterschiedlichen Ressourcen benötigt werden, schließlich erfordert das Wirtschaftssystem Wachstum, und mit Wachstum ist im Kern Umwandlung gemeint. Es kommt nichts Neues hinzu, sondern Altes wird zerstört und in vermeintlich Neues transformiert.

Obgleich schon seit vielen Jahren von einer Steigerung der Materialeffizienz gesprochen wird, nimmt diese nach Angaben des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) seit ungefähr dem Jahr 2000 ab. Das heißt, gemessen an der Wirtschaftsleistung wird heute mehr Material verbraucht als noch vor 16 Jahren. [7]

Aber bei der Entwicklung geht es von Anfang an um viel mehr als "nur" um die Fortschreibung des kapitalistischen Wirtschaftssystems als grüne Variante. Vielmehr geht es um seine Expansion in Bereiche, die bislang nicht der Ökonomisierung unterworfen sind. Beispielsweise wurde im Kyoto-Klimaschutzprotokoll den Unternehmen das Recht eingeräumt, die Luft zu verschmutzen, wenn sie andere dafür bezahlen, daß sie ihre Wälder nicht mehr auf gewohnte Weise nutzen, sofern diese als "Kohlenstoffsenken" zertifiziert sind. Im Zuge dieses grünen Ablaßhandels, der unter dem Stichwort REDD+ [8] firmiert, wurden und werden beispielsweise indigene Völker aus ihren angestammten Lebensräumen vertrieben, Wälder abgeholzt, um sie anschließend gewinnträchtig aufzuforsten, und "Offsets" geschaffen, durch die eine per se zerstörerische Technologie legitimiert werden soll.

Ein aktuelles Beispiel dazu ist die Einigung der Internationalen Luftfahrtorganisation ICAO (International Civil Aviation Organization) auf die Verringerung des Treibstoffverbrauchs und CO2-Ausstoßes durch den zivilen Flugverkehr. Der Flugverkehr ist sowohl vom Kyoto-Protokoll als auch vom Pariser Abkommen ausgeschlossen. Der ICAO wurde lediglich auferlegt, auf freiwilliger Basis Klimaschutzmaßnahmen zu erarbeiten. Die Pläne liegen nun vor. Bis 2021 sollen die CO2-Emissionen weiter steigen, dann wird eine Kappungsgrenze eingeführt. Danach dürfen die CO2-Emissionen immer noch steigen, aber alles, was darüber hinausgeht, muß durch "Offsets" - Kohlenstoffzertifikate - ausgeglichen werden. [9] Zur Erinnerung: Die Kohlenstoffzertifikate des Europäischen Emissionshandelssystems sind derzeit so billig, daß die beteiligten Unternehmen gar nicht in Klimaschutzmaßnahmen zu investieren brauchen, da sie der Erwerb der Zertifikate viel billiger kommt.

Wie sich ein globales Zertifikatsystem für die Luftfahrt entwickeln wird, weiß niemand. Aber unter Umständen werden ausgerechnet die ICOP-Bestimmungen zum Schutz des Klimas sogar Auslöser dafür sein, daß der Flugverkehr in den nächsten fünf Jahren mehr CO2 emittiert als nötig. Denn es liegt in der Logik des Marktes, daß die Fluggesellschaften die auf das Jahr 2021 festgelegte Kappungsgrenze möglichst hoch ansetzen wollen, damit sie anschließend weniger Offsets kaufen müssen, da die spritsparendere Technologie bereits existiert, aber die nächsten fünf Jahre nicht zum Einsatz kommt. Wenn also die Luftfahrt in den nächsten fünf Jahren kräftig CO2 emittiert, ist das für sie bares Geld und sie kann ungehindert von lästigen Klimaschutzauflagen ihre Erwartungen erfüllen, das Flugverkehrsaufkommen bis zum Jahr 2050 um bis zu 700 Prozent zu steigern. [10]

Vergleichbare Effekte sind aus dem Kyoto-Protokoll bekannt. Ein Geschäftsmodell konnte folgendermaßen aussehen: Ein Entwicklungsland sagt, es wolle wirtschaftlich wachsen und würde dafür Kohlekraftwerke bauen, die jedoch sehr viel CO2 ausstoßen. Wenn mir aber ein Industriestaat ein modernes Kohlekraftwerk mit höherem Wirkungsgrad und besserer Filtertechnologie hinstellt, könnte es dafür CO2-Gutschriften kassieren, und ich würde die Umwelt weniger verschmutzen. Je dramatischer die Drohung mit dem Bau von Dreckschleudern vorgebracht wird, desto größer womöglich die Spanne, die dann als "eingesparte" CO2-Emissionen zertifiziert wird. Ein richtiges Win-Win-Geschäft? Nicht ganz, denn es gibt Verlierer. Beispielsweise die Kinder und Jugendlichen, denen das globale Klima aufgrund solcher windigen Geschäfte um die Ohren fliegt. Unhinterfragt bleibt dabei die Idee des Wachstums. Solche Beispiele nähren den Zweifel, daß das primäre Anliegen solcher Geschäftsmodelle Klimaschutz ist.

Durch den Ablaßhandel mit Offsets können sich auch die Verfügungsrechte über eine Landschaft verschieben. Es kommt beispielsweise zur Konkurrenz zwischen dem Aufforsten von artenarmen, plantagenförmigen Monokultur-Wäldern aus Klimaschutzgründen und biodiversen Wald- und Nutzungsflächen, von denen die örtliche Bevölkerung bis dahin einen Teil ihrer Nahrung bezogen hat. Oder die ihnen als Quelle für Feuerholz oder als Weidefläche für ihr Vieh diente. Ein Beispiel dafür ist Uganda, wo das norwegische Unternehmen Green Resources Kiefernplantagen angelegt hat, die den traditionellen Lebensraum von Dorfbewohnern immer mehr einschränken, wie Susanne Götze für Klimaretter.info berichtete. [11]

Die Biologin Jutta Kill, eine Expertin für den Emissionshandel, übt daran schon seit Jahren eine fundierte Kritik. Gegenüber dem Schattenblick erklärte sie:

"Bei unserer verbrauchsintensiven Form des Wirtschaftens wird immer Verschmutzung produziert, unter anderem Verschmutzung der Atmosphäre mit CO2, dessen Konzentration ständig anwächst. Wir kommen zu Beginn des 21. Jahrhunderts immer klarer an Grenzen heran, an denen die Natur diese Verschmutzung nicht mehr kompensieren kann, und es wird immer schwieriger, dies nicht zu erkennen. Gleichzeitig leben wir in einem Wirtschaftssystem, das zentral auf die weitere Zerstörung von Natur und die Produktion von Verschmutzung angewiesen ist.

In dieser Konstellation fließt natürlich auch sehr viel Kreativität in die Entwicklung von Instrumenten, die den Konflikt, auf den wir als Gesellschaft immer schneller zulaufen, nochmal ein bißchen weiter hinausschieben. Dabei spielt der Emissionshandel und das Instrument des sogenannten Ausgleichs eine wichtige Rolle.

Indem man sagt, wir können weiterhin Emissionen ausstoßen, auch mehr als die, die uns beispielsweise in Nordrhein-Westfalen zugeschrieben werden, und behauptet, daß wir das Klimaschutzziel einhalten, weil wir jemand anderen bezahlen, damit er für uns sozusagen die Reduktionen übernimmt, erlaubt man die Fortsetzung der industriellen Produktion und Verschmutzung da, wo sie am lukrativsten ist." [12]

Kill bringt noch einen weiteren, wichtigen Aspekt in die Diskussion ein und spricht von einem Paradigmenwechsel, der mit dem Kyoto-Protokoll eingeleitet wurde:

"Ein noch grundsätzlicheres Problem als die Idee des Ausgleichs besteht darin, daß wir einige Prinzipien unserer Umweltgesetzgebung, vielleicht sogar unseres demokratischen Verständnisses, umbauen. Bis heute sind wir zumindest in der Theorie vor dem Gesetz alle gleich. Ein Grenzwert gilt für alle gleichermaßen. (...) Im Rahmen der Umweltgesetzgebung werden klare Grenzwerte festgelegt. Wer darüber hinaus verschmutzt oder zerstört, läuft Gefahr, dafür bestraft zu werden. Denn das wäre ein Bruch des Gesetzes.

Im Kyoto-Protokoll, dem internationalen Klimaschutzabkommen, wurde der Grundstein für einen sehr, sehr weitreichenden Umbau dieses Prinzips gelegt, denn man hat gesagt: Ja, es gibt bestimmte Grenzwerte der Verschmutzung, aber Deutschland zum Beispiel könnte auch sagen, daß es sein Reduktionsziel - also den Grenzwert der Emissionen, die ihm zugestanden werden - selbst dann erreicht, wenn es darüber hinaus Emissionen produziert, so lange es zum Beispiel den Aufbau eines Windparks in Kenia bezahlt, der dort Elektrizität, die sonst aus Kohle produziert worden wäre, ersetzt.

Damit würden in Kenia Emissionen vermieden, die sonst produziert worden wären. Und damit sind auf einmal vor dem Gesetz nicht mehr alle gleich. Es gibt nämlich diejenigen, die das Geld haben und es sich leisten können, jemand anderen zu bezahlen, daß er seine Verpflichtungen übernimmt. Man erkauft sich das Recht, gesetzliche Grenzwerte zu umgehen. Das halte ich für einen ganz zentralen Umbau unserer demokratischen Prinzipien."


Schaubild zum Meeresspiegelanstieg zwischen 1970 und 2010 und den Projektionen des IPCC ab 1990: CCRC, freigegeben als CC-BY-SA-3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en] via Wikimedia Commons

Der zeitlich beobachtete Meeresspiegelanstieg bewegt sich am oberen Rand der Projektionen des Weltklimarats IPCC. (Die jüngste Beschleunigung des Trends ist in dem Schaubild noch nicht abgebildet.)
Grafik: CCRC, freigegeben als CC-BY-SA-3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en] via Wikimedia Commons

Die Wirtschaft ähnelt einem Schneeballsystem, das nur solange nicht auffliegt, wie es expandieren, neue Kapitalverwertungsformen schaffen und den Anschein aufrechterhalten kann, dadurch würde etwas anderes erzeugt als Mangel. Wasser, Land, Boden, Wald, Verschmutzung der Luft, Nutzung des Funkwellenraums und vieles, vieles mehr sind bereits auf diese Weise in Besitz genommen, ökonomisiert worden. Einst waren sie frei zugänglich, es gab auf ihre Nutzung nicht einmal irgendwelche Rechte. Erst mit dem Verhängen von Recht auf Besitz kam die Einschränkung in die Welt, jemand anderen die Nutzung von Wasser, Boden, Wald, etc. vorzuenthalten. Diese Ausdehnung von Verfügungsrechten auf bislang nicht-ökonomisierte Bereiche stellt sich als wesentliche Folge der Klimaschutzpolitik heraus. Ökonomie zielt somit nicht auf eine Beseitigung des Mangels, sondern auf seine Produktion, nämlich Entzug der Verfügbarkeit, und globale Finanzströme sind eine sehr schlagkräftige Waffe im Arsenal der Ökonomie.

Klimaschutz - Aufschub für den Kollaps des krisenimmanenten Wirtschaftssystems

Es ist bekannt, daß global sehr viel mehr Geld im Umlauf ist, als durch materielle Entsprechungen gedeckt werden könnte. Würden alle Menschen, die Geld (materiell oder elektronisch) in ihrem Besitz haben, gleichzeitig versuchen, es einzulösen, würde das deutlich werden. Die globale Blase würde platzen, und die Explosion hätte eine Wucht, die das Platzen der Tulpenzwiebelblase in den Niederlanden (Februar 1637), der weltweiten Dotcom-Blase (März 2000), der Immobilienblase in den USA (2007) - was wiederum eine Bankenkrise in den USA und anschließend eine Finanzkrise unter anderem in der EU auslöste, die nach wie vor virulent ist -, an Zerstörungskraft so weit hinter sich zurückließe wie die Atombombe den Silvesterkracher. Hier offenbart sich unverhohlen der Charakter des Schneeballsystems des Wirtschaftens, und daß nun auch die verschiedenen Natursysteme des gesamten Planeten in einer erdgeschichtlich beispiellosen Geschwindigkeit äquivalent zur globalen Wirtschafts- und Finanzkrise vernichtet werden, ist natürlich kein Zufall.

Da muß die Aussicht, bislang mit keinem Geldwert belegte Dinge auf dem breiten Feld des Klimaschutzes monetarisieren zu können, also zur Ware zu machen, dem krisenimmanenten Wirtschaftssystem geradezu als Rettungsanker erscheinen. Und hier kommen wieder die "globalen Finanzströme" ins Spiel. Es werden Handelsobjekte geschaffen, in die zumindest ein Teil des global viel zu vielen Geldes gesteckt werden kann. Insofern könnte man ein wenig zynisch argumentieren, daß Investitionen in Klimaschutz friedenserhaltende Maßnahmen sind: Sie zögern die notwendige Entwertung, den Kollaps des Schneeballsystems in Form eines massiven Währungsschnitts oder eines Krieges ein klein wenig hinaus.

Zum propagierten Umlenken der "globalen Finanzströme" ist zu sagen, daß dies logischerweise eine Trennung impliziert zwischen denen, die die Verfügungsgewalt über die Finanzströme innehaben, und jenen, denen gewisse Vorteile in Aussicht gestellt werden oder die vielleicht sogar davon profitieren, solange sie nicht nach einem größeren Stück vom Kuchen verlangen oder gar danach, das Messer der Zuteilung führen zu dürfen. Denn diese Funktion im globalen Wirtschaftsgeschehen wird von den führenden Wirtschaftsnationen selbstverständlich nicht aus der Hand gegeben. Die Funktionshierarchie bleibt gewahrt, die Verfügungsgewalt wird nicht wie ein Staffelstab weitergereicht. Klimaschutz bleibt eine Domäne der Industriestaaten, die Entwicklungsländer bleiben ausführende Organe oder dienen einerseits als Ressourcenlieferant und andererseits als Absatzmarkt für Umwelttechnologien.

Ein erheblicher Teil der Finanzmittel in Höhe von 100 Milliarden Dollar, die ab 2020 jährlich seitens der entwickelten Länder gemeinsam mit den Entwicklungsländern in den Klimaschutz für die ärmeren Länder gesteckt werden sollen, werden über den Green Climate Fund gelotst. Bis jetzt steht noch nicht fest, woraus sich diese Summe zusammensetzt. Inwiefern kann ausgeschlossen werden, daß mit dem "grünen" Geld ähnliches passiert wie mit der Entwicklungshilfe, die teilweise der westlichen Pharmaindustrie zufließt, da sie ihre teuren Medikamente an die Länder des Südens verkauft?

Der Green Climate Fund arbeitet unter anderem mit der Weltbank, der Deutschen Bank und der KfW - Kreditanstalt für Wiederaufbau zusammen, die bislang kein Problem damit hatten, den Bau von Kohlekraftwerken zu finanzieren. Wird von der jungen Generation ernsthaft erwartet, sie vertraue ihre Zukunft Institutionen an, die wie die Deutsche Bank hochriskante Spekulationsgeschäfte in Billionenhöhe (sic) tätigen? Wie glaubwürdig ist das denn? Das Briefing im Auswärtigen Amt hat Menschen gezeigt, die sehr von der Wirksamkeit dessen überzeugt scheinen, was Deutschland und andere Länder in den nächsten Jahren an klimaschutzpolitischen Maßnahmen vorhaben. Es hat aber auch verdeutlicht, daß für den Klimaschutz auf keinen Fall jene Voraussetzungen geopfert werden sollen, die maßgeblich an der allgemeinen Erderwärmung mitgewirkt haben. Die globalen Finanzströme werden grün bemäntelt erneut ins Rennen um die beste Ausgangsposition an den knapper werdenden Fleischtöpfen einer ressourcenerodierten Klimawandelwelt mit voraussichtlich fast zehn Milliarden Menschen im Jahr 2050 geschickt.


Tote Ziegen und Schafe verteilt über spärlich bewachsenen Wüstenboden - Foto: Oxfam East Africa, freigegeben als CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]

Der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Prof. Hans Joachim Schellnhuber, beschreibt in seinem Buch "Selbstverbrennung" die "fatale Dreiecksbeziehung zwischen Klima, Mensch und Kohlenstoff" [13]. Doch bevor der Mensch sich selbst verbrennt, verbrennt er andere: Die Armen, Ausgegrenzten und Besitzlosen, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben, sind als erstes und am schwerwiegendsten davon betroffen.
Tote Tiere im dürregeplagten Somaliland, 17. März 2012
Foto: Oxfam East Africa, freigegeben als CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]


Fußnoten:

[1] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0194.html

[2] tinyurl.com/hfaukeh

[3] https://www.misereor.de/presse/pressemeldungen/hermesbuergschaft-fuer-kolumbianischen-staudamm-in-der-kritik/

[4] http://www.tagesspiegel.de/politik/spiegel-bericht-bundesregierung-will-auch-weiter-fuer-auslaendische-akws-buergen/7660128.html

[5] http://www.agrarheute.com/news/mega-mastanlage-ukraine-bund-zahlt-millionen-investoren

[6] http://www.aufschrei-waffenhandel.de/Saudi-Arabien.177.0.html#c4289

[7] http://unep.org/documents/irp/16-00271_LW_GlobalMaterialFlowsUNE_SUMMARY_FINAL_160701.pdf

[8] REDD+ - Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation and the role of conservation, sustainable management of forests and enhancement of forest carbon stocks in developing countries ("Reduzierung von Emissionen aus Entwaldung und Waldschädigung sowie die Rolle des Waldschutzes, der nachhaltigen Waldbewirtschaftung und des Ausbaus des Kohlenstoffspeichers Wald in Entwicklungsländern")

[9] http://www.icao.int/Newsroom/Pages/Historic-agreement-reached-to-mitigate-international-aviation-emissions.aspx

[10] http://ec.europa.eu/clima/policies/transport/aviation/index_en.htm

[11] http://www.klimaretter.info/umwelt/hintergrund/20378-land-grabbing-als-klimaschutz

[12] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0192.html

[13] Eine Rezension des Buchs "Selbstverbrennung" finden Sie unter: http://schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar653.html


Bisher im Schattenblick unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT zum Briefing im Auswärtigen Amt erschienen:

BERICHT/122: Klima und Finanzen - den Teufel mit dem Beelzebub ... (1) (SB)
INTERVIEW/250: Klima und Finanzen - Was wachsen muß, das schwindet nicht ...   Thomas Hermann Meister im Gespräch (SB)
INTERVIEW/251: Klima und Finanzen - Biß in den sauren Apfel ...    Prof. Gernot Klepper im Gespräch (SB)


11. Oktober 2016


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