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BERICHT/130: Die Säge und der eigene Ast - eine verschenkte Gelegenheit ... (SB)


Wenngleich die Landlebewesen bereits vor Urzeiten aufgebrochen waren, ihre wässrige Welt zu verlassen, haben sie sich noch nicht vollständig von ihrem Ursprung abgeschnitten. Selbst der Mensch besteht überwiegend aus Wasser, er trägt gewissermaßen den Ozean in sich. Dessen Verlust wäre auch des Menschen Untergang. Wenn die Meere nicht geschützt werden, verlieren nicht nur über eine Milliarde Menschen ihre unmittelbare Nahrungsgrundlage, was verheerend genug wäre, es steht noch viel mehr auf dem Spiel. Über den Weg der Verbrennung von Kohle, Erdöl und Erdgas und der ständigen Produktion von Verbrennungsgasen heizt sich der Planet auf, absorbieren die Ozeane einen Großteil der Wärme und werden darüber hinaus auch immer saurer. Mag es erdgeschichtlich schon erheblich wärmere Perioden gegeben haben und auch Perioden, in denen die Ozeane noch viel saurer waren als heute - aber die Menschen, die gab es in jenen Zeiten nicht. Die hohe Geschwindigkeit, mit der sich gegenwärtig die verschiedenen Natursysteme aufgrund anthropogener Aktivitäten ändern, werden von der Wissenschaft als erdgeschichtlich einzigartig beschrieben.


Auf dem Podium sitzend - Foto: © 2017 by Schattenblick

Von links: Dr. Gesche Krause, Dr. Gerd Kraus, Angela Grosse, Prof. Dr. Marian Paschke
Foto: © 2017 by Schattenblick

Beispielsweise besaß die Erde nicht von Anfang an eine Sauerstoffatmosphäre, es dauerte sehr, sehr lange, bis sie entstand. Zudem mußte sich der Gehalt an lebenswichtigem Sauerstoff in der Luft erst auf den heutigen Wert von knapp 21 Prozent einpendeln und war dabei starken Schwankungen unterworfen. Nun tippt der Mensch gerade jenes Pendel an, was zur Folge hat, daß der atmosphärische Sauerstoffgehalt geringfügig sinkt. Dieses leichte Anstupsen könnte sich in einen kräftigen Stoß verwandeln, sollte der Mensch weiterhin so ignorant gegenüber seinen eigenen Lebensvoraussetzungen, dem Meer, handeln. Denn aus den Weltmeeren wird rund die Hälfte an Sauerstoff freigesetzt.

Mit der Abholzung der tropischen Regenwälder zur profitträchtigen Gewinnung von Treibstoff (Ethanol), Viehfutter (Soja), Nahrungsmitteln (Palmöl) und Edelholz sowie der Erwärmung der Ozeane (Verlust an Phytoplankton; stärkere Schichtung des Wasserkörpers und dadurch geringerer Sauerstoffaustausch; Erwärmung und Versauerung und dadurch weniger Sauerstoffbindung) werden zeitgleich mehrere Quellen der Verfügbarmachung von Sauerstoff stark beeinträchtigt. Wenn also der Mensch den eingeschlagenen Kurs beibehält, geht zuerst den Meeresbewohnern die Luft aus, dann den Nachfahren ihrer vor rund 500 Millionen Jahren exilierten Verwandten, also uns.

Die Veranstaltung "Nahrungsquelle Meer - Entwicklungen, Gefährdungen, Prognosen", zu der die Union der Akademie der Wissenschaften am 5. Oktober nach Hamburg geladen hatte, bot eigentlich viele Einstiegsmöglichkeiten, um trotz des unverbindlichen, da öffentlichen Rahmens drängende Fragen rund um die Nahrungs- und damit Existenzsicherung und ihre Gefährdung vertiefen zu können. Vielleicht lag es daran, daß zwei Referenten kurzfristig absagen mußten, da ihnen das Sturmtief "Xavier" in die Parade gefahren war, vielleicht lag es an der Komplexität des Themas, jedenfalls wurde die Chance, nicht nur thematisch ins Meer abzutauchen, sondern dabei auch noch inhaltliche Tiefe zu erlangen, nicht ergriffen.

Weder das von der Hamburger Wissenschaftsjournalistin Angela Grosse moderierte Podiumsgespräch mit Dr. Gesche Krause (AWI - Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, Bremerhaven), Dr. Gerd Kraus (Thünen-Institut für Seefischerei, Hamburg) und Prof. Dr. Marian Paschke (Institut für Seerecht und Seehandelsrecht der Universität Hamburg) noch die Antworten auf Fragen aus dem Publikum gingen wesentlich über den Austausch von Informationen und den Abgleich dessen hinaus, was man sowieso schon immer gesagt und gedacht hat. Nicht einmal auf den nach wie vor offenen Widerspruch zwischen der industriellen und artisanalen (handwerklichen) Fischerei beispielsweise in Westafrika und seine sozioökonomischen Schadensfolgen für die lokale Fischerei wurde näher eingegangen, geschweige denn daß der bereits bestehende und in Zukunft möglicherweise wachsende globale Nahrungsmangel thematisch über die bloße Erwähnung hinaus weitergeführt worden wäre.

Eher wie ein abzuarbeitender Programmpunkt wirkte daher auch die zwischenzeitliche Meinungserhebung unter dem Publikum mit der Bitte um Handsignal, wer glaube, daß "wir es schaffen", die Fischerei nachhaltig zu gestalten, daß "wir es nicht schaffen" oder ob man sich in der Mitte von beiden verorte. Bis zu dem Zeitpunkt hatte noch kein nennenswerter Meinungsbildungsprozeß stattgefunden, der irgend jemanden dazu hätte verleiten können, seine bereits in diese Veranstaltung mitgebrachten Ansichten zu revidieren. Das ist insofern bedauerlich, als man sich fragen muß, ob denn nicht genau das den Reiz einer Podiumsdiskussion mit Zuschauerbeteiligung ausmacht, daß im Unterschied beispielsweise zu vorgefertigter Fernsehformatunterhaltung die Chance besteht, vom bloßen Infotainment zum Gespräch und vom Gespräch zu einer Art des Sprechens zu kommen, die nicht darauf abzielt, sattsam Bekanntes zu wiederholen.

Die drei Begrüßungs- und Einführungsvorträge von Prof. Dr. Edwin Kreuzer, Präsident der Akademie der Wissenschaften in Hamburg und Vizepräsident der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften, Prof. Dr. Ole Petersen, Vizepräsident der Academia Europaea und Mitglied des Vorstandes von SAPEA (Science Advice for Policy by European Academies) und Prof. Dr. Rolf-Dieter Heuer, Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Hamburg und Mitglied der High Level Group of Scientific Advisors (HLG) des Scientific Advice Mechanism der Europäischen Kommission, besaßen im wesentlichen die Funktion, Institutionen aus dem Bereich der wissenschaftlichen Akademien zu Wort kommen zu lassen. Die Redebeiträge blieben ansonsten nahezu unverknüpft mit dem eigentlichen Thema des Abends und schienen diesem aufgrund institutioneller Verpflichtungen vorgelagert.

Einig waren sich die Diskutanten darin, die Daten der FAO (Food and Agriculture Organization) zugrunde zu legen, wonach 30 Prozent der Weltmeere überfischt sind. Doch Überfischung ist nicht gleich Überfischung, erfuhr man an diesem Abend. Die EU-Kommission erhebe eigene Daten, berichtete Kraus, und man wisse nicht, inwiefern sich diese mit den FAO-Angaben deckten. Ihm zufolge hat sich in Europa in den letzten zehn Jahren vieles im Kampf gegen Überfischung getan. Heute seien nur noch zehn Prozent der Biomasse überfischt, und der Wert sinke weiter.

So unklar, wie es Kraus dargestellt hat, ist das Verhältnis zwischen der Bewertung der Überfischung durch die FAO einerseits und die EU-Kommission andererseits allerdings nicht. Die Vorgaben der in Rom ansässigen UN-Institution gelten als weniger streng.

Dankbar konnte man dem Direktor des Thünen-Instituts für Seefischerei sein, daß er die Irrtumsvorstellung über "nachhaltige" Fischerei ausgeräumt hat. Die Fischbestände, "die bis an ihre Grenze genutzt werden", so Kraus, werden genau nicht der Überfischung zugerechnet. Denn es sei ja das Ziel, "die Fischbestände nachhaltig auf einem hohen Niveau zu nutzen, so daß ihre maximale Produktivität entfaltet wird".

Somit bildet nachhaltiger Fischfang nicht das Gegenmodell zum industriellen Fischfang, sondern stellt dessen Fortsetzung dar. Der Verbrauch an Fisch nimmt in der nachhaltigen Fischerei sogar insgesamt zu, da diese fast immer am Limit stattfindet. Würde man diese Grenze überschreiten, bekäme man immer weniger ins Netz, da könne man noch so lange mit dem Fangboot aufs Meer fahren, erklärte Kraus.

Nachhaltigkeit hat beispielsweise nicht das geringste mit Schutz der Tiere, Sicherung der Bestände um der Fische willen oder ähnlich harmonistischen Vorstellungen zu tun, sondern damit, dauerhaft möglichst viele Fische fangen und verwerten zu können. Es handelt sich damit um eine Bewirtschaftungsform, die nur deshalb nicht die maximale Menge an Fisch aus dem Meer zieht, weil sich solch ein Wirtschaftsverhalten mittel- und langfristig als untauglich herausstellen würde.


Becken, gefüllt mit Krill - Foto: Richard McBride, NEFSC/NOAA

Krill satt - doch das Abschöpfen am unteren Ende der Nahrungskette hat Folgen für die Meeresfauna auf höheren trophischen Stufen
Foto: Richard McBride, NEFSC/NOAA



Was tun gegen die Überfischung?

Die Fischereiwirtschaft denkt über Alternativen nach, um den wachsenden Proteinbedarf der Menschheit zu decken. Beispielsweise könnten untere Ebenen (Trophiestufen) der Nahrungskette stärker abgeerntet werden, berichtete Kraus. Dabei bestehe aber das Problem, daß das weiter oben sitzende Ökosystem eine bestimmte Menge an Beute benötige.

Einen Teil der Lösung, um Überfischung zu vermeiden, sieht er in der selektiven Fischerei. So werden Fangnetze und Fangmethoden aufgrund verhaltensbiologischer Erkenntnisse modifiziert. Darüber hinaus herrscht in der Europäischen Union das Anlandegebot. Es besagt, daß die Fischer ihre Beute nicht einfach über Bord werfen dürfen, wenn sie beispielsweise die Aussicht haben, einen sehr viel wertvolleren Fisch zu fangen (Highgrading). Wenn die Fische gefangen sind, sind die Fischer verpflichtet, diese nach Hause zu bringen. In dem Moment, wo sie keine Quote mehr für eine bestimmte Art haben, müssen sie aufhören zu fischen. Da sie das nicht wollen, ist das laut Kraus ein guter Anreiz, daß die Fischer möglichst selektiv arbeiten.

70 Prozent der Erdoberfläche sind von Wasser bedeckt. Da wundert es nicht, daß von der globalen Erwärmung nicht nur der Hauptlebensraum des Menschen, die Landoberfläche, sondern auch die Meere betroffen sind. Abgesehen von Überfischung, Versauerung, Schadstoffeinleitungen und Plastikmüll machte die Sozialwissenschaftlerin Dr. Gesche Krause auf einen in der Berichterstattung meist vernachlässigten Aspekt aufmerksam, nämlich daß auf dem Meer mehr Todesfälle verzeichnet werden als früher, weil die Fischer das Wetter nicht mehr richtig einschätzen können. Das Gefährdungspotential wachse. Das habe man bei Interviews mit "Stakeholdern" (Beteiligten) in Indonesien, Brasilien und Nordnorwegen erfahren. Die Fischer bräuchten bessere Boote. Außerdem wanderten die Fische, wodurch sich neue sozioökonomische Verhältnisse einstellten.

Im übrigen sei "Mehr aus dem Meer" vielleicht gar nicht mal der richtige Ansatz, denn es komme auch auf die Qualität an, meinte Krause. Sie machte auf das vom AWI betriebene Datenportal "Litterbase" (http://litterbase.awi.de/) aufmerksam. Darin werden Daten zum Müll im Meer gesammelt, genauer gesagt, zu den Mengen und der Zusammensetzung des Mülls "sowie zu den vielfältigen Auswirkungen auf Umwelt, Tier und Mensch", wie es auf der Website heißt.

Der Seerechts- und Seehandelsrechtsexperte Prof. Dr. Marian Paschke betonte, daß hinsichtlich der Nutzung der Meere enorme Konkurrenz besteht. Als Beispiel nannte er die Nordseepipeline, die durch zwei oder drei Schutzgebiete allein in Deutschland führe. Mit solchen ausgewiesenen Schutzgebieten bewahre man Flora und Fauna, aber es entstünden Nutzungskonflikte mit der Fischerei und Infrastruktureinrichtungen wie Erdöl- und Erdgaspipelines oder auch Kommunikationsverbindungen. Eine Diskussion darüber sei noch nicht geführt worden, es fehle eine "Komplexdiskussion". Das werde in Holland besser gemacht, erklärte Paschke. Allerdings sieht er einen durchaus gelungenen Ansatz darin, daß seit einigen Jahren das Bundesamt für Naturschutz (BfN) seewärts der 12-Meilen-Zone (Küstenmeer) für die Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) zuständig ist. Bis dahin oblag die Befugnis den Bundesländern, woraus ein uneinheitliches Regelwerk entstanden war.

Laut dem Seerechtsübereinkommen von 1982 ist jeder, der auf Hoher See fischt, zur Nachhaltigkeit verpflichtet. Wie diese allgemeine Bestimmung umgesetzt wird, bleibt einem breiten Interpretationsspielraum überlassen. Paschke hält es für das falsche Regime, Fischerei den regionalen Fischereistaaten zu überlassen. Bei der Abfassung des Seerechtsübereinkommens sei es nicht verhandelbar gewesen, eine Kontrolle in diesem Bereich einer neutralen Instanz zu überantworten. Das hatte zur Folge, daß Dutzende regionaler Organisationen entstanden, die eigene Fangquotenregimes bildeten. Es wäre schön, einen internationalen Vertrag ähnlich dem Antarktisvertrag abzuschließen, meinte Paschke, der zugesteht, daß so ein Vertrag eine "völlige Illusion" ist.


Großes Becken mit Fischen, dicht an dicht, die mit einer grünen Flüssigkeit gefüttert werden - Foto: Frédéric BISSON, CC BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de]

Zuchtforellen in der Aquakultur. Calonne, 12. August 2015.
Foto: Frédéric BISSON, CC BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de]

Wenn von zukünftiger Fischerei die Rede ist, darf das Stichwort Aquakultur nicht fehlen. Sie ist sozusagen die räumlich aufs engste kultivierte Form der Massentierhaltung. Man könnte auch sagen, daß dabei die Nachhaltigkeit auf die Spitze getrieben wird, denn in den künstlichen Becken kann die Produktivität noch präziser an ihr Maximum herangeführt werden als in der räumlich offeneren Form der Massentierhaltung in den Weltmeeren.

Der hohe Preis der Effizienzsteigerung bei der Verwertung von Fischen aus Aquakulturen, die sozusagen als Proteinbeutel mit zusätzlich wertvollen Omega-3-Fettsäuren betrachtet werden, besteht unter anderem in der Notwendigkeit, im größeren Umfang pharmazeutische Mittel gegen Fischparasiten und -krankheiten sowie Herbizide gegen Algen einsetzen zu müssen. Außerdem entweichen aus den Fischfarmen nicht-einheimische Arten, was angesichts der Züchtung gentechnisch veränderter Lachse besonders prekär ist.

"Wie kann man Aquakultur so gestalten, daß all die negativen Effekte nicht auftreten?", fragte Grosse in die Runde. Der Fischereiexperte Kraus antwortete darauf, daß es keine perfekte Lösung gibt. Jedoch hält er es für ungünstig, wenn Lachse oder Wolfsbarsche in Aquakultur gehalten werden. Kraus übte dezente Kritik an der westlichen Lebenskultur mit ihrem hohen Lachskonsum. Zwar könne man Lachs beinahe schon vegan ernähren, aber dann bildeten die Fische nicht die bei den Menschen so beliebten, hochwertigen Omega-3-Fettsäuren. Es seien dann andere Lachse. Statt dessen favorisiert er die sogenannte multitrophisch integrierte Aquakultur. Dabei werden beispielsweise die Nebenprodukte, einschließlich des Abfalls, der einen aquatischen Spezies als sogenannter Input (Dünger, Nahrung) für eine andere Spezies verwendet.

Der Jurist in der Runde zeigte sich dagegen pessimistisch hinsichtlich der Frage, ob es gelingen wird, die Fischerei global nachhaltig zu gestalten. Bei vielen Maßnahmen werde auf Freiwilligkeit gesetzt. Das genügt Paschke nicht. Zwar sei das MSC-Umweltsiegel für Fisch aus nachhaltiger Fischerei entwickelt worden, aber damit werde nur ein Teil der Fischbestände abgedeckt. Zudem gingen noch immer Subventionen an Fischflotten, die keine modernen, das heißt State-of-the-art-Techniken einsetzen. Paschke: "Wir haben 50 Jahre gebraucht, um 30 Prozent der Bestände wegzufischen. Wir brauchen nicht nochmal 50 Jahre, um den Rest auch noch wegzufischen."

Etwas optimistischer hingegen zeigte sich Kraus. Er verwies darauf, daß ein Großteil der Fischerei sowieso in küstennahen Gewässern stattfindet und im Kampf gegen Überfischung Erfolge in der Europäischen Union, Kanada und USA sowie Australien und Neuseeland zu beobachten sind. Weniger optimistisch zeigte er sich hinsichtlich des Bevölkerungswachstums und damit - unausgesprochen - der Steigerung der Nahrungsmenge und fragte: Wann geht das "Hauen und Stechen" wieder los, um die letzten Ressourcen zu verteilen? Wie lange werden die westlichen Praktiken durchgehalten?

Den richtig optimistischen Part des Abends übernahm Gesche Krause. Sie sieht durchaus Chancen, daß Menschen durch die Veränderung ihrer Eßgewohnheiten Einfluß darauf nehmen, was angelandet wird. Der Mensch könne seine Nahrung sehr schnell umstellen, wie sie am Beispiel des japanischen Fischgerichts Sushi veranschaulichte. Noch vor zehn Jahren hätte man in Hamburg lange suchen müssen, um Sushi zu bekommen, heute werde es an vielen Orten angeboten. Auf die Frage, was Sie als nächstes für eine nachhaltige Fischerei tun wolle, antwortete sie, daß sie sich mit den Einkäufern von Supermarktketten, die Lachse, Heringshappen und andere Fischprodukte im Regal haben, zusammensetzen wolle, um herauszufinden, auf welcher Entscheidungsbasis sie einkaufen.



Vielversprechen Nachhaltigkeit

Ergänzend zum oben erwähnten MSC-Zertifikat sei hier noch angemerkt, daß es sich bei seinem Namensgeber, dem Marine Stewardship Council, um eine gemeinnützige Organisation handelt, die mit ihrem Umweltsiegel für nachhaltigen Fisch daran beteiligt ist, daß einige zuvor überfischte Bestände inzwischen weniger befischt werden (aber, wie oben erwähnt, nur zu dem Zweck, das Maximum der Produktivität zu verstetigen). Doch die Organisation mußte auch schon reichlich Kritik einstecken. Mal erhielt eine Fischerei das MSC-Zertifikat, die Highgrading betrieben hat, mal wurden Schwertfische zertifiziert, obgleich hierbei typischerweise eine hohe Beifangquote besteht - unter anderem werden bei der Schwertfischfischerei regelmäßig gefährdete Haie sowie Schildkröten mitgefangen. Auch die MSC-Zertifizierung für Seelachs aus Alaska war umstritten, und so weiter und so fort.

"Ohne intakte Meere weltweit werden wir Menschen auf diesem blauen Planeten nicht überleben", stellte die Moderatorin zu Beginn der Veranstaltung fest. Es gab niemanden, der ihr widersprochen hätte. Doch es gab auch niemanden, der sich erkennbar bemühte, das Podiumsgespräch in eine Richtung zu lenken, in der man sich dieser unbequemen Feststellung angenähert hätte.

Auch wenn die Überfischung unter anderem in Europa zurückgeht, bleibt sie weltweit seit langem auf hohem Niveau. Doch selbst wenn keine Bestände mehr überfischt würden und der globale Fischfang seine maximale Produktivität entfaltete, also im ursprünglichen und nach wie vor gültigen Sinne nachhaltig gestaltet wird, stellt sich die Frage, ob die Meere dann "intakt" wären, wie es Grosse formuliert, und ob die dauerhafte Bewirtschaftung am Maximum irgendeine Relevanz hinsichtlich des Überlebens von uns Menschen "auf diesem blauen Planeten" hätte.

Könnte es nicht sein, daß ausgerechnet das Konzept der Nachhaltigkeit, das einerseits mit weltanschaulich diffusen, andererseits mit konkreten Erwartungen und Lösungsverheißungen seitens Politik, Wissenschaft, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und nicht zuletzt auch Religionen befrachtet als Antwort auf multiple Menschheitsprobleme gehandelt wird, sich als ein Verhängnis erweist, durch das die Menschen nicht weniger wirksam und final gefesselt werden als die Schildkröten durch den überbordenden Makromüll in den Ozeanen?


Tote Meeresschildkröte im zerfetzten Fischernetz unter Wasser - Foto: Salvatore Barbera, CC BY-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/]

Kein Entrinnen
Foto: Salvatore Barbera, CC BY-SA 2.0
[https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/]


9. Oktober 2017


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