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INTERVIEW/019: Stark in der Not - Gespräch mit Edgar Göll, Teil 1 (SB)


"400 US-Botschaftsmitarbeiter in Havanna - stricken die Stümpfe oder basteln die irgendwie Weihnachtssterne?"

Interview mit Dr. Edgar Göll vom Netzwerk Cuba e.V. am 29. Mai 2012 in Berlin - 1. Teil

Edgar Göll vom Netzwerk Cuba e.V. - Foto: © 2012 by Schattenblick

Edgar Göll vom Netzwerk Cuba e.V.
Foto: © 2012 by Schattenblick

Rio+20, Nachhaltigkeit, Green Economy - diese Stichworte weisen derzeit eine relative hohe Medienpräsenz auf, wiewohl das zugrundeliegende Ereignis, die UN-Nachhaltigkeitskonferenz in Rio, mit einer Ergebnislosigkeit, die nicht anders zu erwarten gewesen war, bereits wieder vorbei ist. Doch welche oder vielmehr wessen Interessen trafen in Rio wie andernorts und jederzeit auf- bzw. gegeneinander? Von "der Menschheit" als einer wie auch immer gearteten Interessengemeinschaft zu sprechen, so als würde die Zugehörigkeit zu einer biologischen Spezies, die noch dazu das mit Abstand größte Zerstörungspotential aller irdischen Lebensformen bis an die Schwelle der Selbstvernichtung entwickelt, wenn nicht überschritten hat, ist allen "Wir"-Gefühlen zum Trotz nur unter der Voraussetzung möglich, die Herrschaft des Menschen über den Menschen und den Raubzug zu Lasten der eigenen Art komplett zu ignorieren.

Im Bereich der Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik, auf den diesem Thema gewidmeten UN-Gipfeln wie auch im gesamten Troß regierungsamtlicher und suprastaatlicher, aber auch nichtregierungsorganisatorisch etablierter Aktivitäten wird gern und häufig ausgeblendet, daß die privilegierte Elite der Menschheit es stets verstanden hat, ihren Vorteil und ihr Überleben zu Lasten marginalisierter Massen zu organisieren. Wenn dann Staaten der sogenannten Peripherie in punkto Umweltschutz und Nachhaltigskeitspolitik Ergebnisse und Erfahrungen aufzuweisen haben und ihre weiteren Forschungsaktivitäten und Entwicklungsbemühungen mit anderen Ländern und Völkern zu teilen bereit sind, läuft die führende Staatenelite Gefahr, sich in ihrer Haltung selbst zu demaskieren, da sich die Diskrepanz zwischen vorgeblichen und tatsächlichen Absichten kaum noch brücken läßt.

Aus diesem Grunde ist die Veranstaltung, die am 29. Mai 2012 im Saal der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) in Berlin vom Netzwerk Cuba e.V. mit Unterstützung weiterer Organisationen zum Thema "Umwelt und Nachhaltigkeit in Cuba - Erfahrungen, Perspektiven und Rio+20" [1] stattgefunden hat, ungeachtet der Gipfelereignisse im fernen Rio von gleichbleibend "nachhaltiger" Relevanz. Dr. Edgar Göll vom Netzwerk Cuba e.V., einer Vereinigung von über 40 Kuba-Solidaritätsgruppen in Deutschland, hat an diesem Abend die Podiumsdiskussion mit Prof. Dr. María Cristina Muñoz Pérez von der Umweltagentur des kubanischen Ministeriums für Wissenschaft, Technologie und Umwelt (CITMA) [2], S.E. Jorge Jurado, dem Botschafter Ecuadors in Deutschland [3], und Reinhard Baier vom Naturschutzbund Deutschland e.V. (Landesverband Brandenburg, AG Kubakrabbenschutz) [4] als Referenten geleitet. Im Anschluß daran ergab sich für den Schattenblick die Gelegenheit zu einem Gespräch mit Dr. Göll zu Fragen rund um Kuba, das wir in zwei Teilen veröffentlichen.

Schattenblick: Sie haben vorhin in der Diskussion [2] gesagt, daß Sie uns aus 20, 30 Jahren Solidaritätsarbeit zu Kuba viel erzählen könnten über die Diffamierungskampagnen der Medien hier gegen Kuba. Da würden wir Sie jetzt gern beim Wort nehmen.

Edgar Göll: Ja, klar. In den hiesigen Medien, die hauptsächlich profitorientiert und im Besitz großer Kommanditgesellschaften oder Unternehmen sind, läßt sich eigentlich ein ganz bestimmtes Muster erkennen in der Art, wie über Kuba berichtet wird. Das bedeutet beispielsweise, daß nur ganz bestimmte Themen angesprochen werden, hauptsächlich das Thema Menschenrechte. Dieses Thema wird dann nicht in seiner Fülle und Komplexität präsentiert, sondern anhand speziell ausgewählter Beispiele, die noch dazu verzerrt dargestellt werden. Ein Beispiel: Im März 2003 kam es für kubanische Verhältnisse zu einer Massenverhaftung, wie ich fast sagen würde. 75 Kubaner wurden in Haft genommen, angeklagt und in normalen Gerichtsverfahren verurteilt. Einige von ihnen haben mehr oder weniger lange Haftstrafen bekommen. Diese Leute wurden hier im Westen und in den westlichen Mainstream-Medien als Freiheitskämpfer, Dissidenten, Demokratiefreunde und ähnliches dargestellt.

Das mag zum Teil auch zutreffen. Die vorgelegten Beweise der kubanischen Sicherheitsbehörden liefen darauf hinaus zu sagen - und das läßt sich belegen -, daß fast alle diese 75 Leute unmittelbaren Kontakt zur US-Interessenvertretung gehabt und von ihr HighTech-Geräte wie Kommunikations-, Funk- und Kopiergeräte bekommen hatten und zum Teil in die Residenz des Chefs der US-Interessenvertretung eingeladen worden waren. Der hieß damals James Cason. Dort war dann diskutiert worden, wie das kubanische System kaputtgemacht und verändert werden könnte. Diese Kubaner und Kubanerinnen hatten für ihre Tätigkeit Geld bekommen. Sie hatten Texte geschrieben, die in ausgewählten kubafeindlichen US-Medien im Netz und anderswo untergebracht worden waren. Wir hatten den Verdacht bzw. die Einschätzung, daß durch diese subversiven Aktivitäten der USA gegen Kuba gewissermaßen eine Art "Opposition" - in Anführungszeichen - erst fabriziert wurde.

Ich will jetzt nicht kleinreden, daß es in Sachen bürgerlicher Freiheitsrechte in Kuba Probleme gibt. Die Freiheiten dort sind nicht vergleichbar mit unseren. Andererseits haben die Menschen in Kuba andere Freiheiten. Aber das Problem ist dann einfach, daß in den bürgerlichen Medien einzelne Fälle herausgegriffen, aufgebauscht und so dargestellt werden, als wäre Kuba ein Unrechtsstaat. Wenn man die Menschenrechte ernstnimmt, muß man sich meiner Meinung nach auch überlegen, welche Definition und welchen Kontext man ihnen zugrundelegt. Wenn von Kuba und Menschenrechten die Rede ist, wird von den hiesigen Mainstream-Medien fast immer vergessen, daß Kuba nicht irgendein Land ist, das an der Ostsee oder vielleicht an der Adria liegt. Es geht dann immer auch um die Definition der Menschenrechte.

Die herrschenden Medien hier machen es einfach so, daß sie lediglich die bürgerlichen Freiheitsrechte, also das Versammlungsrecht und andere, ins Visier nehmen und Kuba dafür kritisieren, daß sie diese Menschenrechte ihren Bürgern gegenüber nicht ausreichend schützen. Sie versäumen aber zu sagen, daß Kuba von den USA bedroht wird. Diese Bedrohung ist keine Fiktion, sondern das ist real. Jeden Tag werden gegen Kuba von seiten der USA subversive Aktionen durchgeführt. Die US-Vertretung in Kuba befindet sich in Havanna, es ist ein großes Gebäude. Normalerweise sind die Auslandsvertretungen nicht so groß. Die deutsche Botschaft zum Beispiel hat vielleicht 12, 14 Mitarbeiter, die dort verschiedene wirtschaftliche oder kulturelle Aufgaben erledigen und mit dem befaßt sind, was zwischen den beiden Staaten eben so läuft.

Zwischen den USA und Kuba läuft eigentlich gar nichts, da gibt es keinen Austausch. Aber die USA beschäftigen über 400 Menschen dort. Da kann man sich nur fragen: Stricken die Stümpfe oder basteln die irgendwie Weihnachtssterne? Das glaube ich natürlich nicht, ich halte das für subversive Aktivitäten, die dort laufen. Der damalige Leiter der US-Interessenvertretung, James Cason, den ich eben erwähnte, war im Jahr 2003 Amtsinhaber dort in Havanna. Er hatte bei seiner Anhörung im US-Senat - wo alle Botschafter und hohen diplomatischen Beamten von den Senatoren angehört und befragt werden, bis die dann sagen: "Okay, er darf das Amt übernehmen" - ganz deutlich zu verstehen gegeben, daß er es als das größte Problem in Kuba ansieht, daß die Opposition dort so zerstritten und klein ist und daß sie nicht zusammenarbeitet. Er würde es als seine Hauptaufgabe ansehen, die Opposition in Kuba zu stärken und zu vereinen. Das ist aber keine diplomatische Aufgabe, oder? Ich meine, das können Politiker des jeweiligen Landes machen, aber doch nicht Politiker oder Diplomaten eines anderen, sogar noch eines gegnerischen Landes! Das ist der Kontext, in dem Kuba existiert und der in den hiesigen Medien völlig außer acht gelassen wird. Das ist eines dieser Muster, das man erkennen kann, wenn über Kuba gesprochen wird - dieser Hintergrund wird fast immer verschwiegen.

SB: Das klingt schon so ein bißchen nach dem Modell der sogenannten "bunten Revolutionen". Würden Sie das auch so einschätzen?

EG: Absolut. Die USA oder andere westliche Mächte maßen sich das Recht an, so möchte ich das einmal formulieren, in Ländern, die ihnen nicht genehm sind und in denen es vielleicht auch reale Probleme gibt, das will ich gar nicht in Abrede stellen, in einer Art und Weise zu intervenieren, die sie in ihren eigenen Ländern nie tolerieren würden. Dabei geht es um die Manipulation von Wahlkämpfen und die Unterstützung Oppositioneller oder auch systemoppositioneller Gruppen, die ein ganz anderes System wollen. Im Prinzip ist das dasselbe, was hier zum Beispiel in der BRD lange Zeit Moskau und Ost-Berlin vorgeworfen wurde, wenn gesagt wurde, die DKP und andere Organisationen würden vom Osten unterstützt werden. Ich will jetzt nicht in Abrede stellen, daß dieser Vorwurf damals zutreffend gewesen sein könnte. Aber einmal angenommen, er hätte gestimmt, dann wäre das Verhalten der westlichen kapitalistischen Mächte - der EU-Staaten, allen voran Deutschland mit der Adenauer-Stiftung und ähnlichen Gruppen, aber natürlich auch der USA mit all ihren Möglichkeiten der Spionage und ähnlichem - genau das, was dieselben Staaten damals dem Osten vorgeworfen haben.

Die westlichen Staaten betreiben solche Aktivitäten und Aggressionen in anderen Ländern und speziell auch in Kuba. Ich glaube, daß Kuba auch deshalb ins Visier genommen wurde, weil es, wie wir gerade gehört haben, als der ecuadorianische Botschafter Kuba noch einmal besonders gelobt und hervorgehoben hat [3], für viele lateinamerikanische Länder trotz aller Probleme eine Vorbildfunktion hat. Damit wird deutlich, daß insbesondere Kuba von den USA unter Druck gesetzt wird, damit dieses alternative, nicht-kapitalistische Modell zerbröselt. Das wurde mit Nicaragua so ähnlich gemacht. Da kam es dann zu Wahlen, zu "freien" Wahlen angeblich, die natürlich hochgradig durch die USA manipuliert worden waren. Etwas Ähnliches wurde natürlich auch gegenüber Kuba versucht, das aber eine Hartnäckigkeit und ein Selbstbewußtsein an den Tag gelegt hat, die den USA und der EU ebenfalls nicht passen.

Edgar Göll während des Interviews - Foto: © 2012 by Schattenblick

Kuba-Solidarität - ein solches Wort lebt vom persönlichen Engagement und Bekenntnis
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Wie schätzen Sie denn die Politik der kubanischen Regierung ein? Gibt es da eine vorsichtige Öffnung gegenüber dem Westen und den kapitalistischen Staaten? Wie würden Sie das bewerten und können Sie das konkreter beschreiben?

EG: Nun ja, eine "Öffnung" gegenüber den EU-Staaten oder den USA wäre vielleicht zuviel gesagt. Aber es gibt schon seit Jahrzehnten die Bereitschaft Kubas, ganz offiziell und auch formal vorliegend, auf gleicher Augenhöhe mit allen anderen Ländern, also auch mit den USA, über alles zu reden. Das Problem ist nur, daß die USA das nicht akzeptieren. Ähnlich wie die EU-Staaten haben die USA echte und faire Verhandlungen mit Kuba an Voraussetzungen geknüpft. Dazu gehören ein Mehrparteiensystem und ein westliches Wahlsystem, die Freilassung aller vermeintlichen Dissidenten und Oppositionellen usw. Das wäre genauso, würde man das jetzt einmal umkehren, als wenn Kuba zum Beispiel sagen würde: Jawohl, wir verhandeln gerne mit den USA, wir verhandeln auch gerne mit der BRD, aber nur, wenn die Arbeitslosenquote dort, sagen wir einmal, bei drei Prozent liegt oder wenn Hartz-IV-Empfänger nicht nur ein Minimum bekommen, sondern deutlich mehr. Ihr seid schließlich ein reiches Land, bitte verteilt euren Reichtum anders!

Oder, um bei den USA zu bleiben: In den USA wurden bis vor kurzem noch pro Jahr fast 100 Menschen exekutiert. Die Todesstrafe wird dort in einem Ausmaß praktiziert, das in zivilisierten Ländern so nicht mehr vorkommt. Oder wenn man an Guantanamo denkt: Da sitzen jetzt noch über 200 Menschen aus allen Ländern der Welt und werden ohne rechtlichen Beistand, ohne Beweisaufnahme und so weiter gefangengehalten, nur weil die US-Sicherheitskräfte, die CIA oder andere Kräfte vermuten, sie könnten Terroristen sein oder terroristische Aktivitäten gegen die USA geplant haben. Man muß sich das einmal vorstellen: 200 Gefangene - ursprünglich waren es fast 700 - sitzen schon seit zehn Jahren dort, ohne Kontakt zu ihren Familien, ohne Besuchsrecht, ohne irgendetwas, und die USA maßen sich an, andere Länder auf deren Menschenrechtsverletzungen hinzuweisen. Das heißt also: Kuba ist natürlich bereit, mit dem Westen zu reden, aber insbesonders die USA und auch Teile der EU lehnen das aus bestimmten Gründen ab.

SB: Apropos EU. Es gibt einen Beschluß der EU-Kommission, der eine Politik festlegt, die auf einen Umsturz bzw. Systemwechsel in Kuba abstellt. Inzwischen soll die EU, so habe ich vor kurzem gelesen, selber nicht mehr so ganz glücklich mit dieser Festlegung sein. Worum geht es dabei und was steckt Ihrer Meinung nach dahinter?

EG: Diese Diskussion in der Europäischen Kommission bezieht sich auf die sogenannte gemeinsame Plattform oder den "Gemeinsamen Standpunkt" gegenüber Kuba, wie der offizielle Titel lautet. Dieser "Gemeinsame Standpunkt" legt gleich im ersten Absatz fest, daß Verhandlungen oder Beziehungen mit Kuba erst dann aufgenommen werden, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind, wenn zum Beispiel eine freie Marktwirtschaft und solche Dinge dort eingeführt worden sind. Der historische Hintergrund dieses Beschlusses ist sehr interessant. Er wurde auf Betreiben des damaligen spanischen Ministerpräsidenten Aznar [5] durchgesetzt. Das war ein sehr rechtskonservativer und auch politisch umstrittener Mensch, der seinen Wahlkampf damals mit Manipulation geführt hatte und danach auch verurteilt wurde. Dieser Aznar war gewissermaßen der Frontmann für die USA, um diesen Beschluß innerhalb der EU durchzusetzen. Der Grund war, daß Kuba im Laufe der 90er Jahre ganz enorme ökonomische Probleme hatte wegen des Wegfalls der osteuropäischen Staatengruppe, also des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe.

SB: Da fielen dann die Handelsbeziehungen weg.

EG: Ganz genau. Da fielen von heute auf morgen - das muß man sich einmal vorstellen - 85 Prozent der Außenhandelsmärkte für Kuba weg. Das ist unvorstellbar, kein anderes Land hätte das überlebt. Ich erinnere nur daran: Wenn hier in Deutschland die Exportquote mal nicht mehr steigt, sondern stagniert oder leicht nach unten geht, wird gleich "Katastrophe" geschrien. Kuba hat 85 Prozent der Außenmärkte verloren, dadurch ist seine Wirtschaft um ein Drittel gesunken. Vor diesem Hintergrund haben wichtige Kreise, meistens exilkubanische, rechtskonservative Kreise in den USA, gesagt: "Jetzt haben wir eine Chance, jetzt können wir Kuba kaputtmachen. Ökonomisch sind sie jetzt schon ziemlich weit in der Krise, und da setzen wir jetzt noch einen drauf." Im Laufe mehrerer Jahre, das war Mitte der 90er Jahre, wurden dann große Gesetze verabschiedet, die maßgeblich von Exilkubanern geschrieben wurden, von einer bestimmten Vereinigung da drüben, angeführt von Mas Canosa, einem rechtskonservativen Exilkubaner.

In diesen Gesetzen wurde zum Beispiel verboten, daß ausländische Schiffe, die Kuba ansteuern wollen, drei Monate vorher die USA anlaufen. Technische Ausrüstungen, die von ausländischen Unternehmen an Kuba geliefert werden, dürfen nur einen ganz minimalen Bestandteil US-amerikanische Technik haben usw. Es gibt also eine Unmenge an Restriktionen, mit denen die seit über 50 Jahren bestehende US-Blockade gegen Kuba noch weiter verschärft wurde, um das Land niederzuzwingen. Die europäischen Staaten aber hatten Mitte der 90er Jahre ein eher entspanntes oder gleichgültiges Verhältnis zu Kuba. Kuba war damals, als es um die deutsche Vereinigung und die Ost-West-Entwicklung ging, überhaupt nicht auf ihrer Prioritätenliste. Die USA fanden es natürlich überhaupt nicht gut, daß die europäischen Staaten ein relativ entspanntes Verhältnis zu Kuba hatten und wollten sie auf ihre Seite ziehen. Sie konnten aber nicht durchsetzen, daß die EU-Staaten sagten: Okay, wir machen eine Blockade wie die USA. Spanien zum Beispiel, als ehemalige Kolonialmacht, hat lange Zeit sehr gute Kontakte zu Kuba gehabt und hätte das nie gesagt.

Aber dann gab es einen Kompromiß. Es kam damals extra ein Gesandter, gewissermaßen ein Sonderbotschafter von Clinton, hier nach Europa, der hieß Stuart Eizenstat. Er ist hier in verschiedene Länder gereist und hat dafür gesorgt, daß der "Gemeinsame Standpunkt" der EU gegen Kuba durchkommt, was auch gelang. Aznar, wie gesagt, war einer der führenden Europäer, die das durchgesetzt hatten. Die Tschechische Republik, Polen usw. waren dann auch führend bei der Durchsetzung. Sie sagten: "Freiheit für Kuba" und daß das jetzt nur mit diesem Druck von uns aus ginge. Der "Gemeinsame Standpunkt" der EU hat diesen Hintergrund und ist auch noch immer die formale Basis für die Beziehungen der EU-Staaten zu Kuba. Es ist allerdings so, daß es einzelne Länder gibt - Spanien beispielsweise, Frankreich, Norwegen, mittlerweile auch Großbritannien -, die bilaterale Verträge mit Kuba abgeschlossen haben im Bereich der Kultur, teilweise sogar der Wirtschaft. Das bedeutet, daß diese Staaten mittlerweile schon ausgeschert sind aus dem "Gemeinsamen Standpunkt" der EU.

SB: Hätte sich Spanien unter einer anderen Regierung schon damals anders positioniert?

EG: Mit Sicherheit, denn das war damals schon unter Aznar umstritten, weil es nicht der Position der spanischen Bevölkerung entsprach. Die Spanier sahen nicht ein, warum sie gegen Kuba agieren sollten. Warum nicht mit ihnen Handel treiben und keinen Tourismus? Warum nicht dort hinfahren und warum sollte es keinen Schüler- oder Kulturaustausch mit Kuba geben? Das machte auch noch einmal deutlich, wie isoliert eigentlich die USA in dieser Hinsicht sind. Die Kubapolitik der USA wird weltweit verurteilt, jedes Jahr aufs Neue. Jedes Jahr im Herbst gibt es eine Sitzung der UN-Generalversammlung. Da kommen Vertreterinnen und Vertreter aller Staaten zusammen, um mehrere Monate über alle möglichen Themen zu sprechen. Seit 1992 bringt Kuba dort jedes Jahr eine Resolution gegen die US-Blockade ein, und jedes Jahr wird die Blockade gegen Kuba verurteilt. Da werden Zahlen und Fakten genannt, die belegen, welche negativen Konsequenzen diese Blockade tatsächlich für Kuba hat.

Mehrere Milliarden US-Dollar gehen Kuba verloren aufgrund der verschiedenen Kosten, die infolge der Blockade entstehen. Und jedesmal, in den letzten Jahren sogar in steigendem Maße, ist es so, daß die absolute Mehrheit der Regierungen der Welt für diese Resolution stimmen. Zum Beispiel waren es im letzten Jahr nur die USA und Israel, die gegen diese Resolution Kubas gestimmt haben. Dann gibt es noch ein, zwei Länder, die sich enthalten, weil sie es sich mit den USA nicht verderben dürfen und irgendwie abhängig von ihnen sind. Alle anderen, selbst kleine Staaten, die auch von den USA abhängig sind, haben dafür gestimmt.

SB: Das zeigt dann auch die Grenzen der Wirksamkeit solcher Resolutionen auf. An den realen Verhältnissen ändert sich nichts.

EG: Das wollte ich gerade sagen. Obwohl diese Weltmeinung existiert gegen diese imperiale, unmögliche und völkerrechtswidrige Politik der USA, gibt es einfach keine reale Kraft oder Macht, die bisher wirklich etwas dagegen unternommen hätte. Aber die Handelsbeziehungen entwickeln sich. China, Südafrika, die ganzen ALBA-Länder, auch Kanada müssen teilweise zwar immer wieder Kämpfe ausfechten gegen die USA, aber sie treiben Handel mit Kuba. Das heißt, daß diese US-Blockade lange nicht mehr so effizient ist, wie es von den USA gewünscht wird.

SB: Sie wird untergraben.

EG: Genau. Im Prinzip wird sie umgangen. Es gibt sogar Gesetze, die das verlangen. In Kanada, ich glaube auch in Großbritannien und eigentlich auch in der EU [6], ist es gesetzlich vorgeschrieben, daß sich die Unternehmer dieser Länder, aber auch die Politik nicht an die Vorgaben der US-Blockade halten dürfen. Ein aktuelles Beispiel ist PayPal [7], das mehrheitlich in der Hand US-amerikanischer Firmen ist. Die haben sich im letzten Jahr erdreistet, Schreiben an deutsche Handelsunternehmen zu schicken, die auch kubanische Produkte in ihrem Sortiment haben wie kubanischen Rum, Zigarren und andere Utensilien, Kleinigkeiten eigentlich.

PayPal hat diesen Unternehmen ein Junktim gestellt und gesagt: Entweder ihr nehmt eure Produkte aus dem Programm oder PayPal steht euch nicht mehr als Finanzdienstleister zur Verfügung. Es gab dann zehn oder zwölf Unternehmen, die sich zusammengetan und gesagt haben: Das lassen wir nicht mit uns machen. Sie haben einen Rechtsanwalt bezahlt, der hat jetzt einen Vergleich mit PayPal erreicht. Und es gibt das Unternehmen Rossmann, das sich daran nicht beteiligt, aber PayPal total abgelehnt hat. Die Kunden von Rossmann können nicht mehr mit PayPal bezahlen. Aber auch das zeigt, daß dieses arrogante, unglaubliche Vorgehen natürlich auch Widerstände hervorruft.

SB: Vielen Dank, Herr Göll, für dieses Gespräch.

(Fortsetzung folgt)

Edgar Göll mit SB-Redakteurin während des Interviews - Foto: © 2012 by Schattenblick

Im Gespräch - Edgar Göll mit SB-Redakteurin

Foto: © 2012 by Schattenblick

Fußnoten:
[1] Der UN-Umwelt- und Nachhaltigkeitsgipfel "Rio+20 - United Nations Conference on Sustainable Development" fand vom 20. bis 22. Juni 2012 in Rio de Janeiro statt.

[2] Siehe im Schattenblick in INFOPOOL → UMWELT → REPORT:
BERICHT/015: Stark in der Not - Inselsozialismus kreativ - Kubas Ergebnisse (SB)
www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0015.html
INTERVIEW/016: Stark in der Not - Gespräch mit María Cristina Muñoz Pérez (SB)
www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0016.html

[3] Siehe im Schattenblick in INFOPOOL → UMWELT → REPORT:
BERICHT/017: Stark in der Not - Rio+20 angeregt - Ecuador als Beispiel für Nachhaltigkeit (SB)
www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0017.html

[4] Siehe im Schattenblick in INFOPOOL → UMWELT → REPORT:
BERICHT/018: Stark in der Not - Inselsozialismus kreativ - Mit vereinten Kräften kubanische Landkrabben schützen (SB)
www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0018.html

[5] José María Aznar, geb. 1953, von der spanischen Volkspartei (Partido Popular, PP), war von 1996 bis 2004 Ministerpräsident Spaniens. Er gilt als postfranquistisch. Sein politischer Ziehvater war Manuel Fraga, ein ehemaliger Minister des Franco-Regimes.

[6] In Reaktion auf das US-Handelsembargo gegen Kuba wurde eine EU-Richtlinie erlassen, die es europäischen Unternehmen verbietet, das US-Embargo zu befolgen. Die "EU Blocking Regulation" sieht bei Zuwiderhandlungen empfindliche Strafen vor.

[7] PayPal ist ein Online-Abrechnungsservice. Das 1998 gegründete Unternehmen wurde 2002 vom US-Online-Auktionsunternehmen eBay erworben.

26. Juni 2012