Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → REPORT

INTERVIEW/057: Lebensraum Boden - Geimpfte Erde, Prof. Peter Leinweber im Gespräch (SB)


Interview mit Prof. Dr. Peter Leinweber am 10. September 2013 an der Universität Rostock



Bodenkundler mahnen einen nachhaltigeren Umgang mit den Böden an. Allein in Deutschland gehen jedes Jahr schätzungsweise 35.000 Hektar Bodenfläche verloren, insbesondere weil sie durch den Straßenbau und andere Baumaßnahmen versiegelt werden. Aber auch die Fruchtbarkeit der Böden schwindet, und sie dienen als eine Art ungeregeltes Endlager für umwelttoxische Substanzen aus Industrie, Landwirtschaft und Haushalten. Darüber hinaus sinkt in vielen Weltregionen der Grundwasserspiegel, was sich negativ auf die Bödenqualität auswirkt. Sollte im Laufe dieses Jahrhunderts, wie von Klimaforschern prognostiziert, der Meeresspiegel ansteigen, drohen für die Landwirtschaft wichtige, küstennahe Böden zu versalzen.

Die drei Referenten des Pressegesprächs, am Tisch sitzend - Foto: © 2013 by Schattenblick

Prof. Peter Leinweber (links im Bild) beantwortet Fragen der Presse
Mitte: Prof. Wolfgang Schareck, Rektor der Universität Rostock.
Rechts: Prof. Thomas Scholten, Präsident der Deutschen Bodenkundlichen Gesellschaft
Foto: © 2013 by Schattenblick

Auf der alle zwei Jahre stattfindenden Jahrestagung der Deutschen Bodenkundlichen Gesellschaft, zu der vom 7. - 12. September die Universität Rostock eingeladen hatte, erhielt der Schattenblick die Gelegenheit, dem Leiter der Tagung, Prof. Dr. Peter Leinweber, Lehrstuhl für Bodenkunde an der Agrar- und Umweltwissenschaftlichen Fakultät der Universität Rostock, einige ergänzende Fragen zum Thema zu stellen. [1]


Schattenblick (SB): Sie sprachen heute von einer Veränderung des Bodens aufgrund des Klimawandels, die kaum erforscht ist. Worin zeigt sich diese?

Prof. Peter Leinweber (PL): Sie zeigt sich in einem schleichenden Verlust an Humus, dessen statistischer Nachweis erstmals auf der vorigen Jahrestagung der Deutschen Bodenkundlichen Gesellschaft vor zwei Jahren vorgestellt wurde. Man hat in Dauerdüngungsversuchen, die lange Meßreihen enthalten, festgestellt, daß die Humusgehalte in den letzten Jahren abnehmen - und zwar in allen Düngungsvarianten - und daß die Abnahme positiv korreliert ist mit der Anzahl der Tage, die über sechs Grad Bodentemperatur haben. Das heißt, die milden Winter verlängern die Periode, in der mikrobieller Umsatz im Boden stattfindet.

SB: Ist das Phänomen weltweit zu beobachten, allein abhängig von der Temperatur und nicht vom Bodentyp?

PL: Natürlich manifestiert sich das in unterschiedlichen Bodenqualitäten jeweils anders. Aber daß das Phänomen weltweit vorkommt, kann man sehr gut erkennen, wenn man von den subarktischen Regionen immer weiter nach Süden, letztlich bis in die Wüstengebiete, geht. Entlang dieser geographischen Gradienten verändert sich unter den gegebenen Klimabedingungen mit zunehmender Temperatur der Humusgehalt in der beschriebenen Art und Weise. Neu daran ist, daß die Erderwärmung in Deutschland bereits diese Effekte auslöst, und etwas bedrohlich ist es deshalb, weil man noch nicht so richtig abzuschätzen vermag, ob man überhaupt etwas gegen diesen Trend machen kann.

SB: Ist die Veränderung möglicherweise auf den Einfluß einer veränderten Sonnenaktivität zurückführen?

PL: Nein.

SB: Wurden schon Abschätzungen oder Prognosen vorgenommen, wie sich der schwindende Humusgehalt auf die Erntemengen in der Landwirtschaft auswirkt?

PL: Nein, solche Prognosen gibt es nicht. Aber der allgemeine Zusammenhang zwischen dem Gehalt des Bodens an Humus und der Produktivität ist natürlich bekannt. Niedrige Humusgehalte lassen sich durch höhere Aufwendungen an Düngergaben, Bewässerung und Pflanzenschutzmittel ausgleichen. Insofern können direkte Auswirkungen der Humusabnahme auf die Erträge eine Zeitlang abgepuffert werden. Aber wie wir vorhin in dem Festvortrag [1] gehört haben, ist auch das keine Option.

SB: Stichwort Peak Soil.

PL: Ja, und das betrifft eben auch die Inkulturnahme, also die Kultivierung von bisher noch nicht landwirtschaftlich genutzten Böden.

Traktor zieht Furchen in ein Feld - Foto: Dwight Sipler, freigegeben als CC-BY-2.0 Generic via Wikimedia Commons

Bodenverdichtung durch Pflügen auf einer Farm in Massachusetts, USA, 18. April 2009
Foto: Dwight Sipler, freigegeben als CC-BY-2.0 Generic via Wikimedia Commons

SB: Anhänger der grünen Gentechnik behaupten, daß der Anbau von gentechnisch verändertem Saatgut besonders klimaschonend ist, weil dabei das Unterpflügen alter Pflanzenreste und damit die Freisetzung von Treibhausgasen eingespart wird. Muß ein Ackerboden nicht durch Pflügen aufgelockert werden, da er sich ansonsten durch die dauerhafte Bewirtschaftung immer mehr verfestigt?

PL: Nein, eigentlich nicht. Ein Teil der schädlichen Bodenverdichtung entsteht ja erst durch das Pflügen, indem nämlich der Traktor mit einem Vorder- und einem Hinterrad in der Pflugfurche fährt. Bei einer konservierenden Bodenbearbeitung wird das Pflügen sogar vermieden. Es ist generell so, daß ein Verbleib der Ernterückstände und Beikräuter auf dem Boden grundsätzlich positiv ist.

SB: Was bewirkt der Einsatz chemischer Mittel in der grünen Gentechnik und der übrigen konventionellen Landwirtschaft bei den Mikroorganismen im Boden? Führt das zu einer Veränderung der Bodenfauna?

PL: Das kann man per se so nicht sagen. Der Einsatz von Mineraldüngern ist ebenso notwendig wie der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln.

SB: Könnte man vom Standpunkt des Bodenkundlers aus sagen, daß der starke chemische Einsatz nicht unbedingt die optimale Option der Bodenbearbeitung darstellt?

PL: Das mit dem "starken chemischen Einsatz" ist eine Generalisierung, die nicht wissenschaftlich ist. Das kann ich so nicht unterschreiben. Denn Chemie ist letztlich alles, auch ein Stallmist ist eine Ansammlung von chemischen Verbindungen. Wenn Sie künstlich hergestellte, naturfremde Chemikalien meinen, wie zum Beispiel ein klassisches Pflanzenschutzmittel, dann hat das schon Auswirkungen auch auf die Bodenorganismen. Allerdings muß man sagen, daß die Pflanzenschutzmittel in ihrem Zulassungsverfahren auch Tests durchlaufen müssen, um allzu schädliche Auswirkungen auszuschließen. Trotzdem kommt es immer wieder zu, sagen wir mal, Erscheinungen, die uns vor Augen führen, daß solche Tests unvollkommen sind. So werden zum Beispiel Pflanzenschutzmittel nur an einer geringen Anzahl von Böden getestet. Vorgeschrieben ist, glaube ich, der Test an drei unterschiedlichen Böden. Diese Sicherheitsforschung wird eigentlich der Vielfalt der Böden nicht gerecht.

SB: Ist das nicht auch ein grundsätzliches Problem der Laborbedingungen, daß man praktisch einen gesunden Boden im Labor testet und anschließend in der Praxis die Pflanzenschutzmittel und den Dünger auf Böden ausbringt, die ganz verschiedene Biotope enthalten können, auch wenn es sich um den gleichen Bodentyp handelt?

PL: Es gibt immer Unterschiede zwischen Labor- und Freilandbedingungen. Aber wenn wirklich gravierende Bodenschädigungen, auch des Bodenlebens, im Freiland eintreten sollten, dann ist die wissenschaftliche Community der Bodenforscher wachsam genug, so etwas dann auch publik zu machen.

Forscher in gelbem Ölzeug kauern am Rand eines etwa zwei mal zwei Meter großen, mit Boden gefüllten Beckens, das von künstlichem Regen benäßt wird. Grüner Schleim fließt der 'Hangneigung' folgend in die tiefste Ecke - Foto: Scott Bauer/USDA

Agraringenieur Dennis Flanagan (links) und Bodenkundler Stanley Livingston untersuchen für das Water Erosion Prediction Project (WEPP) im Labor mit Hilfe eines grünen Schleims Fließgeschwindigkeit und Bodenerosion auf einer leicht geneigten Fläche.
Foto: Scott Bauer/USDA

SB: Trifft es zu, daß für die Humusbildung mindestens 10.000 Mikroorganismen als Biodiversität notwendig sind?

PL: Ja, das würde ich sagen, vielleicht sind es sogar zehn Millionen. Die mikrobielle Besiedlung des Bodens ist noch weitgehend unerforscht. Man kennt erst einen Bruchteil der Mikroorganismen, die dort vorkommen. Dazu werden verschiedene Zahlen veröffentlicht, vielleicht sind es weniger als fünf Prozent. Von den anderen 95% weiß man vielleicht, daß sie da sein müssen, weil man die DNA extrahieren kann, aber man weiß die Organismen nicht zu beschreiben. Ein wesentlicher Grund dafür ist, daß es für die Mehrheit der Organismen ausgeschlossen ist, sie außerhalb des Bodens zu kultivieren und dann detailliert zu untersuchen. Sie kommen eben nur in diesem System Boden vor.

SB: Die Weltbevölkerung steigt, bis 2050 wird mit über neun Milliarden Menschen auf der Erde gerechnet. Doch eine Ausdehnung der globalen Ackerfläche ist nur begrenzt möglich. Gibt es von der Bodenkunde her Empfehlungen, was zu tun ist, damit die Welternährung gesichert werden kann, oder was nicht gemacht werden darf?

PL: Ja. Auf jeden Fall muß die Fruchtbarkeit der Böden erhalten werden. Wenn möglich, sollte man sie sogar verbessern. Wir müssen die schleichende Verschlechterung von Böden frühzeitig detektieren und öffentlich machen, und wir müssen vor allen Tendenzen der Verschlechterung warnen. Dabei besteht ein Problem darin, daß die Veränderung der Böden sehr langsam vonstatten geht und es sein kann, daß kritische Grenzen überschritten werden, hinter denen es keine Umkehr mehr gibt.

SB: Haben sie dafür schon konkrete Beispiele, vielleicht vergleichbar mit den Tipping-points in der Klimaforschung?

PL: Wenn Sie Ende Mai, Anfang Juni durch die wellige Grundmoränenlandschaft Norddeutschlands fahren, der Raps abgeblüht ist, und Sie sehen in Rapsfeldern Mohnflächen, dann ist an dieser Stelle, wo der Mohn wächst, bereits der ganze Boden verloren. Für diese Feldanteile ist der 'Point of No Return' überschritten, wo es dann wieder 8000 Jahre Bodenentwicklung bedürfte, bis dort erneut ein Boden entsteht.

SB: Was für den Spaziergänger ein schöner Anblick ist, ist für Sie als Bodenkundler ein Warnhinweis ...

PL: ... ist für mich der Horror. An den Stellen ist ein oder eineinhalb Meter Boden verloren und die Landwirte bewirtschaften eigentlich den geologischen Untergrund.

SB: Herr Professor Leinweber, vielen Dank für das Gespräch.

Leuchtend rote Mohnpflanzen am Feldrand nahe eines Kreisverkehrs - Foto: Colin Smith, freigegeben als CC-BY-SA-2.0 Unported via Wikimedia Commons

Mohn (Papaver) ist eine anspruchslose Pflanze und wächst auch auf Sand. Roadside Verge, Merrow, nahe Guildford, 9. Juni 2007
Foto: Colin Smith, freigegeben als CC-BY-SA-2.0 Unported via Wikimedia Commons


[1] Weitere Berichte und Interviews der Schattenblick-Redaktion von der Jahrestagung der Deutschen Bodenkundlichen Gesellschaft finden Sie unter:

INFOPOOL → UMWELT → REPORT → BERICHT:

BERICHT/056: Lebensraum Boden - Verschieben, verdrängen, ersetzen ... (SB)
Bericht zum gemeinsamen Pressegespräch der Deutschen Bodenkundlichen Gesellschaft und der Universität Rostock
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrb0056.html

BERICHT/057: Lebensraum Boden - Schritt für Schritt geht jeder mit? (SB)
Öffentlicher Vortrag von Prof. Felix Ekardt
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrb0057.html



INFOPOOL → UMWELT → REPORT → INTERVIEW:

INTERVIEW/055: Lebensraum Boden - Mahnen, planen und erziehen, Prof. Felix Ekardt im Gespräch (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0055.html

INTERVIEW/056: Lebensraum Boden - Regeneration unabsehbar, Linderung vielleicht, Prof. Jean Charles Munch im Gespräch (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0056.html

INTERVIEW/058: Lebensraum Boden - Die verletzte Ökosphäre, Prof. Thomas Scholten im Gespräch (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0058.html


27. September 2013