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INTERVIEW/080: Atommüll ohne Ende - Stimme der Straße, Uwe Hiksch im Gespräch (SB)


Atommüll ohne Ende - Auf der Suche nach einem besseren Umgang

Eine Tagung von Umweltverbänden und Bürgerinitiativen unter der Federführung des Deutschen Naturschutzrings (DNR) am 28./29. März 2014 in Berlin

Interview mit Uwe Hiksch vom Bundesvorstand der Naturfreunde



Setzen wir uns mit der Regierung an einen Tisch und suchen gemeinsam nach einer Lösung für den radioaktiven Abfall aus jahrzehntelanger Atomenergieproduktion? Sollen wir von der ausgestreckten Hand der Großen Koalition, die für die Umweltverbände zwei Plätze in einer Expertenkommission zur Erarbeitung von Kriterien für die Suche nach einem atomaren Endlager freigehalten hat, über den Tisch gezogen werden? Oder ist die Einladung freundlich gemeint und Ausdruck eines ehrlich gemeinten Neustarts?

Diese und ähnliche Fragen standen im Mittelpunkt einer Tagung von Umweltverbänden, Bürgerinitiativen und vielen weiteren Interessierten Ende März in der Auferstehungskirche in Berlin. Der Atomausstieg hat das seit Einführung der Atomtechnologie immer weiter aufgeschobene, ungelöste Problem der Endlagerung radioaktiver Abfälle erneut in den Vordergrund gerückt.

Am 14. Mai 2013 hatten die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den "Entwurf eines Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und zur Änderung anderer Gesetze (Standortauswahlgesetz - StandAG)" verabschiedet. [1]

Bestandteil des Gesetzentwurfs ist die Einrichtung einer 24-köpfigen Bund-Länder-Kommission zur Lagerung hochradioaktiver Abfallstoffe, welche bis zum 31. Dezember 2015 das Standortauswahlverfahren vorbereiten soll. In der Kommission sind der Bundestag und die Landesregierungen auf jeweils sechs Plätzen vertreten, die Wissenschaft erhält vier und Umweltverbände, Religionsgemeinschaften, Wirtschaft und Gewerkschaften jeweils zwei Plätze. Der Bericht zum Standortauswahlverfahren soll möglichst im Konsens, mindestens aber mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Kommissionsmitglieder verabschiedet werden. Der Termin für die Einsetzung der Kommission ist auf die zweite Aprilwoche angesetzt.

Porträt - Foto: © 2014 by Schattenblick

Uwe Hiksch
Foto: © 2014 by Schattenblick

Zu den zahlreichen Organisationen, die an der Tagung teilgenommen haben, gehörte auch der Verband der Naturfreunde, vertreten unter anderem durch dessen Bundesvorstandsmitglied Uwe Hiksch. Der heutige Mitarbeiter der Bundestagsabgeordneten Annette Groth von der Partei Die Linke saß zwischen 1994 und 2002 selber im Bundestag, zunächst für die bayerischen Sozialdemokraten, 1999 für wenige Tage als fraktionsloser Abgeordneter, dann für die PDS.

Am zweiten Tag der Tagung "Atommüll ohne Ende" war Uwe Hiksch bereit, dem Schattenblick einige Fragen zu den Naturfreunden, zur Atompolitik und zur aktuellen Debatte um Beteiligung an der Standortsuchkommission zu beantworten.

Schattenblick (SB): Was machen die Naturfreunde Deutschlands und wie ist die Organisation entstanden?

Uwe Hiksch (UH): Die Naturfreunde sind 1895 als Gegenbewegung zu den bürgerlichen Wander- und Bergsteigerverbänden gegründet worden. Sie haben sich von einem Historismusverein sehr schnell weiterentwickelt zu einem linken Freizeitverband, in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts zu einem Umweltverband und sind heute ein moderner Freizeit-, Umwelt- und vor allem politischer Verband.

SB: Welche politische Ausrichtung haben die Naturfreunde heute?

UH: Sie sind vor allem aktiv in der Friedensbewegung, in der Antifa - der antifaschistischen Bewegung -, in der Umwelt- und Anti-Atombewegung und bemühen sich darum, als Scharnierfunktion beispielsweise zwischen Gewerkschaften oder auch zwischen den Initiativen, aber auch zwischen Bewegungen und Parlament dazu beizutragen, daß sich diese Gesellschaft grundlegend verändert.

SB: Welchen Hintergrund haben die Naturfreunde?

UH: Die Naturfreunde haben einen europäischen Hintergrund, sie wurden in Wien gegründet. Bis 1928 gab es keine Landesverbände, sondern nur einen Europaverband, der 1933 aufgrund des herannahenden Faschismus aufgelöst wurde, um zu verhindern, daß der Gesamtverband unter die Räder kommt. In der Zeit des Faschismus saßen Tausende Naturfreunde im Konzentrationslager, Hunderte wurden hingerichtet. Deswegen hat unser Verband einen antifaschistischen Hintergrund und deswegen waren die Naturfreunde aus ihrer Tradition heraus europaweit ausgerichtet. Heute unterhalten sie faktisch in allen Ländern eigene Organisationen.

SB: Wie bewerten Sie die Bemühungen der Bundesregierung um einen Neustart hinsichtlich der Endlagerfrage?

UH: Ich habe gestern sehr genau zugehört, als die Bundesregierung dafür geworben hat, daß wir ihr doch Vertrauen entgegenbringen sollen. In einer Zeit, in der die Bundesregierung alles dafür tut, daß großindustrialisierte Energieerzeugungsstrukturen weiterbestehen und die Braunkohle faktisch bis zum St. Nimmerleinstag festschreibt, in einer Zeit, in der neue Tagebaue - Welzow II beispielsweise in Brandenburg - aufgeschlossen werden sollen, in einer Zeit, in der die Energiewende abgewürgt wird, indem das Erneuerbare-Energien-Gesetz zerstört und verhindert wird, daß Windenergie und Sonnenkollektoren schnell ausgebaut werden, fällt es mir und unserem Verband sehr schwer, dieser Bundesregierung zu vertrauen.

Ich bin hier, um Argumente anzuhören, aber ich selbst gehöre, wie mein Verband, zu denen, die dafür werben, nicht in die Endlagerkommission hineinzugehen. Wir glauben, daß diese eher den Zweck hat, die außerparlamentarische Bewegung zu befrieden als dazu beizutragen, daß diese so viel Druck ausübt, daß Atomkraftwerke sofort abgeschaltet werden.

SB: Was würden Sie auf den heutigen Vortragstitel "Ist das unser Müll?" des BUND-Vorsitzenden Hubert Weiger antworten?

UH: Leider gehört der Atommüll uns allen. Davon können wir uns auch als Anti-Atombewegung nicht abwenden. Der Atommüll ist produziert, und alle Menschen, die in diesem Land leben, haben gemeinsam die Aufgabe, Verantwortung dafür zu übernehmen. Das Problem ist nur, daß die Politik keine Verantwortung dafür übernimmt. Sie läßt jeden Tag neuen Atommüll produzieren, indem sie Atomkraftwerke bis zum Jahr 2022 weiterbetreiben läßt. Die beiden von den Sozialdemokraten und Grünen, die gestern auf dem Podium saßen [2], haben ausdrücklich im Bundestag dafür gestimmt, daß Atomkraftwerke bis 2022 weiterlaufen; sie tun nichts dafür, daß die Urananreicherungsanlagen geschlossen werden; sie tun nichts dafür, daß der Atomkreislauf unterbrochen wird; sie haben bisher nicht durchgesetzt, daß beispielsweise die Hermes-Bürgschaften, die für den Bau des Atomkraftwerks Angra 3 in Brasilien gegeben werden sollen, gekippt werden. Und wenn die jetzt für Vertrauen werben, habe ich zumindest große Zweifel. Ich vertraue auf die Kraft der außerparlamentarischen Opposition. Dafür setze ich mich ein.

Redner am Stehpult, Podiumsteilnehmer sitzend an langer Tischreihe - Foto: © 2014 by Schattenblick

Podiumsteilnehmer (von links nach rechts) Thomas Breuer (Greenpeace), Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD, Staatssekretärin im Bundesumweltministerium), Jörg Sommer (Vorstandsvorsitzender der Deutschen Umweltstiftung), Jochen Stay (.ausgestrahlt), Dr. Simone Peter (Vorsitzende BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Martin Donat (Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg) beim Vortrag von Prof. Dr. Hartmut Vogtmann, Präsident des Deutschen Naturschutzrings (DNR)
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Halten Sie den Atomausstieg für unumkehrbar?

UH: Herr Ramsauer hat deutlich gemacht, daß er nicht unumkehrbar ist. [3] In der Politik ist nichts unumkehrbar. Nur das, was man erkämpft und wo man die Stärke entwickelt hat, daß die Politik, genauer gesagt, die Partei- und Parlamentspolitik nicht mehr daran vorbeikann, das ist nicht umkehrbar. Aber wenn wir unseren Druck nachlassen würden, dann wäre wieder alles möglich. Ich sehe weder den Ausstieg aus der Kohle noch sehe ich den Ausstieg aus der Atomenergie, sondern den müssen wir jährlich neu erkämpfen. Deswegen gehen wir ja zum Fukushima- und zum Hiroshima-Jahrestag auf die Straße und deswegen organisieren wir die Energiewende-Demonstrationen. Nur die Kraft der Straße kann die Damen und Herren im Parlament zwingen, so zu handeln, wie wir das erwarten.

SB: Die Linkspartei ist zur Zeit Oppositionsführerin im Bundestag. Wie bewerten Sie ihre Politik mit Blick auf Atomenergie und Braunkohleverstromung?

UH: Wenn man die aktuellen Beschlußlagen im Deutschen Bundestag anschaut, muß man feststellen: Die Partei, die unsere Positionen am weitgehendsten aufgreift, ist zur Zeit die Fraktion Die Linke. Sie hat als einzige gegen den Atomkompromiß und für den schnellstmöglichen Ausstieg aus der Atomenergie gestimmt, hat im Rahmen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes eine klare Position und gegen die Streichung der Förderzusagen für die Wind- und Solarkraftwerke gekämpft und hat in der letzten Legislaturperiode ein Kohleausstiegsgesetz vorgelegt. Wir sehen durchaus, daß die Partei Die Linke eine wichtige Rolle spielt.

Wir würden uns wünschen, daß sie auch in der Bewegung eine etwas größere Rolle spielt. Das war zwar in Gorleben der Fall, wo sie - im Rahmen dessen, was eine Partei darf - ganz offensiv mit uns gemeinsam blockiert und mit uns gemeinsam gekämpft hat. Doch wenn Sie die Energiewendedemos anschauen, ist die Partei Die Linke nicht so präsent gewesen, wie man sich das als Bewegung manchmal wünschen würde.

Ich selbst komme aus einer Tradition, die Parteien viel zutraut, aber auch viel nicht zutraut. Die Partei Die Linke braucht ebenfalls Druck, dann wird sie politisch gut handeln. Gibt es keinen Druck, kann es gefährlich werden. Nehmen Sie beispielsweise die rot-rote Landesregierung in Brandenburg, die einen Braunkohlekompromiß bis zum Jahre 2040 festgeschrieben hat. Die brandenburgische Partei Die Linke hat, als wir in Potsdam auf der Energiewendedemo gelaufen sind, uns eine Grußbotschaft geschickt. Darin stand, daß doch der Braunkohleausstieg bis 2040 auch ein Beitrag zum Klimaschutz sei. Spätestens wenn man so etwas liest, weiß man: auch die Linke an der Macht braucht Druck. Wir sind dafür da, diesen Druck zu erzeugen.

SB: Wie sähe der Druck konkret aus, den Sie sich wünschen?

UH: Wir bauen ihn gerade jetzt auf, nachdem den Anti-Atomdemonstrationen, die in der Hochzeit ja über 100.000 Menschen auf die Straße brachten, ein schlechter Atomausstiegskompromiß folgte. Den werden wir weiter bekämpfen und für einen schnellstmöglichen Ausstieg einstehen. Wir aus den verschiedenen Bewegungen - der Anti-Kohlebewegung, der Anti-Frackingbewegung, der Anti-Atombewegung und eben dem immer größer werdenden mittelständischen Bereich der Erneuerbaren Energieerzeugungsunternehmen und ihren Beschäftigten - haben uns dafür entschieden, die Anti-Atombewegung ein Stückchen weiterzuentwickeln und gleichzeitig neben der Anti-Atom- die Energiewendebewegung auf die Beine zu stellen.

Im November letzten Jahres sind in Berlin bei klirrender Kälte 17.000 Menschen auf die Straße gegangen. Vor kurzem waren es in sieben Landeshauptstädten 30.000 Menschen und haben den Landesregierungen gezeigt: Bei euch vor Ort gibt es Druck! Und wenn in Kiel eine der größten Demonstrationen mit fast 6.500 Menschen auf die Straße gegangen ist, dann ist das etwas, was durchaus Eindruck erweckt hat. In Hannover waren es 8.000, in Potsdam 2.000 Menschen - die größte Demonstration seit 15 Jahren. Wir hoffen, daß wir am 10. Mai eine große Demonstration mit einer Teilnehmerzahl im fünfstelligen Bereich erleben werden. Dann wird die Politik schon merken, daß man was verändern muß.

Druck besteht darin, alltäglich vor Ort präsent zu sein. Beispielsweise machen wir kleine Aktionen hier in Berlin gegen den Atomreaktor Wannsee, oder wir machen kleine Aktionen, wo wir uns vor das Parlament stellen und demonstrieren. Diese Mischung aus kleinen Aktionen, Informationsveranstaltungen, Weiterqualifizierungsmöglichkeiten für die Menschen, die das wollen, plus eben auch den Druck von großen Demonstrationen, die kann den Herrschenden zeigen, wo ihre Grenzen sind. Mehr nicht, aber weniger auch nicht.

Plakat mit Aufruf 'Energiewende retten' und Ankündigung einer Demo am 10. Mai in Berlin - Grafik: © energiewende-demo.de

Druck seitens der außerparlamentarischen Opposition
Grafik: © energiewende-demo.de

SB: Mit einem Kompromiß aller Umweltorganisationen ist heute nicht zu rechnen. Wenn jetzt einige aus den Verbänden sagen, daß sie in die Kommission gehen wollen. Wie würden sich die Naturfreunde dazu stellen?

UH: Die Naturfreunde haben sich relativ klar festgelegt zu sagen, daß sie das Hineingehen in diese Kommission nicht für zielführend halten. Weil wir glauben, daß wir außerhalb der Kommission als Bewegung viel mehr Druck auf sie ausüben können als dadurch, daß wir zwei Plätze besetzen, die uns freundlicherweise von der Politik für eine Kommission, zu der wir gar nicht gefragt wurden, wie die zusammengesetzt sein soll, eingeräumt wurden. Aber jeder Verband entscheidet selbst. Wir kommen nicht aus einer Tradition, die den Spiegel der Reinheit und der Klarheit hochhält und sagt: Nur wer sich so verhält, ist gut, und wer sich anders verhält, ist schlecht.

Ich gehe davon aus, daß alle relevanten großen Umwelt- und Bürgerinitiativen sagen werden: Wir gehen nicht in die Kommission. Weil eine Kommission, die sich ganz bewußt nicht mit der sogenannten "Zwischen"lagerung beschäftigt - ich bitte das Zwischen immer in Anführungs- und Schlußstrichlein zu schreiben -, also mit der Sicherung von Castorbehältern, zu deren Lagerung in den nächsten 50 bis 100 Jahren eine Antwort gefunden werden muß und die nur ansatzweise vor Flugzeugabstürzen und Angriffen von außen geschützt sind, das genaue Gegenteil von dem erreichen wird, was sie möchte.

Entscheiden sich einzelne Verbände dafür, werden wir ihre Arbeit kritisch verfolgen und sie natürlich so weit wie möglich auch unterstützen, weil wir natürlich ein Interesse daran haben, daß jeder Verband im Rahmen seiner eigenen Entscheidungen möglichst effektiv wird.

SB: Uwe Hiksch, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnoten:

[1] http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/134/1713471.pdf

[2] An der Podiumsdiskussion am 28.3. nahmen teil:
Thomas Breuer, Greenpeace
Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD), Staatssekretärin im Bundesumweltministerium
Jörg Sommer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Umweltstiftung und Moderator der Diskussion
Jochen Stay, .ausgestrahlt
Dr. Simone Peter, Vorsitzende BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Martin Donat, Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg

[3] Mitte März sagte der frühere Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) gegenüber dem "Spiegel", daß er einen späteren Atomausstieg in Deutschland für möglich halte. Wer die Strompreise wieder senken wolle, müsse zur Atomkraft zurückkehren.


2. April 2014