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INTERVIEW/162: Technik klimagerecht - den Teufel mit dem Beelzebub ...    Max Schön im Gespräch (SB)


"Klimawandel und Klimaschutz - zwischen globaler Transformation und nationalen Herausforderungen"

Podiumsdiskussion der "Michael Otto Stiftung für Umweltschutz" am 2. September 2014 in den Mozartsälen, Hamburg

Max Schön über Klimaschutz als unternehmerische Chance, Nachhaltigkeit als Exportmodell und die Notwendigkeit staatlicher Regulation, um eine Minderung der CO2-Emissionen zu erreichen



Die deutsche Industrie gehört weltweit zur Spitzengruppe auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien. Inzwischen werden kleine, mittelständische und teils auch große Unternehmen von Vertretern jener Generation geleitet, die mit Büchern wie "Die Grenzen des Wachstums" (1972/73), "Global 2000" (1980) oder etwas später "Faktor 4" (1995) aufgewachsen sind, unter anderem durch deren Lektüre für Umwelt- und Klimaschutzfragen sensibilisiert wurden und dies in ihrer heutigen Position als Firmenleiter umzusetzen versuchen. Ihnen stehen Gleichgesinnte in zivilgesellschaftlichen Organisationen, Forschungsinstituten, Ämtern und selbst hohen Regierungspositionen gegenüber, was dazu beigetragen hat, daß Deutschland als Vorbild für eine Gesellschaft gilt, die einen umfassenden Umwelt- und Klimaschutz betreibt.

Ein guter Ruf, der sich allerdings auch darauf gründet, daß die Klimapolitik einiger anderer Staaten noch verheerender ausfällt, sowie darauf, daß Deutschlands vergleichsweise hoher Anteil an Braunkohle am Strommix häufig unbeachtet bleibt. Und das, obwohl dieser besonders "klimaschädliche" Energieträger erklärtermaßen die nächsten Jahrzehnte als Brückentechnologie beibehalten wird. Begründet wird dies von der Regierung damit, daß ein Industriestaat wie Deutschland nicht gleichzeitig aus Atom- und Kohlestrom aussteigen kann.

Die sogenannten Energiewende genügt jedoch nicht, wenn die globale Durchschnittstemperatur um nicht mehr als zwei Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit steigen soll. Die Treibhausgasemissionen müssen zügig, dauerhaft und drastisch gesenkt werden. Wir sind mitnichten auf dem Weg, sagt selbst Prof. Ottmar Edenhofer, Chefökonom am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung. Mit solchen Anmerkungen gab er am 2. September 2014 auf einer von der Michael Otto Stiftung für Umweltschutz organisierten Veranstaltung mit Vorträgen und anschließender Podiumsdiskussion in den Mozartsälen in Hamburg unfreiwillig den "bad guy", der dem weitgehenden Konsens der übrigen Diskussionteilnehmer seine mit Zahlen unterstützte Kritik am gegenwärtigen Politikkurs der deutschen Regierung entgegensetzte.

Auf der Bühne diskutierten zum Thema "Klimawandel und Klimaschutz - zwischen globaler Transformation und nationalen Herausforderungen" Dr. Michael Otto, Aufsichtsratsvorsitzender der Otto Group, Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Jennifer Morgan, Direktorin des Energie- und Klimaprogramms des Washingtoner World Resources Institutes, und Prof. Ottmar Edenhofer.

Die Moderation übernahm der Unternehmer Max Schön, Vorstand der "Stiftung 2° - Deutsche Unternehmer für Klimaschutz". Er hat dieses Amt zum 31. August 2014 aus familiären Gründen niedergelegt und arbeitet in diesem Monat seine Nachfolgerin Sabine Nallinger ein. In der Selbstdarstellung bezeichnet sich die Stiftung 2° als "Initiative von Vorstandsvorsitzenden, Geschäftsführern und Familienunternehmern", deren Ziel es ist, "die Politik bei ihren Bemühungen zur Etablierung marktwirtschaftlicher Rahmenbedingungen für den Klimaschutz zu unterstützen und die Lösungskompetenz deutscher Unternehmer für den Klimaschutz zu aktivieren". Das wichtigste Ziel der Stiftung sei es, "die durchschnittlich globale Erderwärmung auf 2 Grad Celsius zu beschränken". [1]

Porträt - Foto: © 2014 by Schattenblick

Moderator Max Schön führt durch den Abend
Foto: © 2014 by Schattenblick

Unterstützt wird die Stiftung 2° eigenen Angaben zufolge von BSH Bosch und Siemens Hausgeräte, Deutsche Bahn AG, Deutsche Rockwool, Deutsche Telekom AG, Gegenbauer Holding, M+W Group sowie Otto Group, PUMA SE, Schwäbisch Hall, Schüco und Xella International.

Im Anschluß an Vorträge, Podiumsdiskussion und feierlichen Ausklang war Max Schön bereit, sich dem Schattenblick für ein Interview zur Verfügung zu stellen. Der 1961 in Lübeck geborene Unternehmer hatte im Alter von 24 Jahren nach seiner Ausbildung zum Dipl. Betriebswirt den elterlichen Familienbetrieb, die MAX SCHÖN GmbH & Co KG, übernommen, ihn jahrelang als Vorstand geführt und später als Aufsichtsratsvorsitzender mitgestaltet. Max Schön ist Präsident der Deutschen Sektion des Club of Rome und Vorsitzender des Kuratoriums der Desertec Foundation. Seit 2010 sitzt er im Rat für Nachhaltige Entwicklung der Deutschen Bundesregierung.


Schattenblick (SB): Nach drei Jahren als Vorstand der Stiftung 2° haben Sie Ihr Amt am 1. September an Sabine Nallinger übergeben. Können Sie uns sagen, was Sie Ihrer Nachfolgerin als wichtigste Botschaft mit auf den Weg geben?

Max Schön (MS): Ich muss ihr gar keine wichtige Botschaft mit auf den Weg geben, weil sie selber in diesem Klimathema bestens zu Hause ist. So wie ich ist Sabine Nallinger überzeugt, dass es beim Thema Klimaschutz darauf ankommt, sich zu überlegen, mit welchen Maßnahmen tatsächlich Wirkung erzielt werden kann. Es gibt großartige theoretische Modelle und betriebliche Überlegungen, die aber nie in die Praxis umgesetzt werden. Deshalb muss man sich stets genau überlegen, welche Dinge dazu führen können, dass sie im Alltag funktionieren und im besten Fall sogar eine doppelte Rendite dabei herauskommt. Zum Beispiel kann das Steuerrecht geändert werden, um einfach zusätzliche Steuern einzunehmen. Man kann es aber auch so ändern, dass man damit gleichzeitig erreicht, dass sich die Menschen anders verhalten und noch eine Umweltverbesserung entsteht. Es ist wichtig, dass man so eine Überlegung immer an den Anfang stellt, um nicht allein einen guten Zweck oder allein eine Kosteneffizienz zu erreichen, sondern den gewünschten Effekt und vielleicht gleichzeitig eine zweite oder dritte Rendite.

SB: Können Sie von Ihrer bisherigen Tätigkeit als Stiftungsvorstand sagen, wo es Ihnen gelungen ist, diese Idee in den Bereich der Politik einzubringen?

MS: Ein Vorschlag, den wir seitens der Stiftung 2° in die Koalitionsverhandlungen eingebracht haben, der aber noch auf seine Realisierung wartet, lautet, dass die Energieversorgungsunternehmen in Deutschland bei Ökostrom nicht mehr die ganze Spitzenlast einspeisen müssen. Sie dürften die letzten 5% der Spitzenlast auslassen, wenn es die Kosten des Netzausbaus senkt. Im Moment muss beides zu 100 Prozent geschehen. Dadurch könnten an das vorhandene Leitungsnetz doppelt so viel Ökostromquellen angeschlossen werden wie heute. Denn die letzten fünf Prozent aufzunehmen ist sehr aufwendig, dadurch werden die Netzkapazitäten unglaublich beansprucht. Diese Maßnahme wurde ähnlich unserem Vorschlag in den Koalitionsvertrag aufgenommen, nun hoffe ich, dass sie auch umgesetzt wird.

SB: Würde das bedeuten, dass die Ökostromumlage dann geringer ausfällt?

MS: Entweder das oder man hat deutlich geringere Netzausbaukosten, was den Öko-Strompreis künftig dämpfen wird.

SB: Laut einer aktuellen Markit-Umfrage [2] verliert die deutsche Industrie an Fahrt. Produktion und Aufträge stiegen im August so langsam wie seit über einem Jahr nicht mehr. Ist das in Ihren Ohren eine gute Nachricht, weil dadurch vermutlich weniger Treibhausgasemissionen erzeugt wurden?

MS: Was die Treibhausgasemissionen angeht, ist das weder eine gute noch eine schlechte Nachricht, weil in dem Moment, in dem es konjunkturell wieder bergauf geht, die CO2-Emissionen ebenfalls wieder steigen. Was wir ändern müssen, ist die Art, wie wir wirtschaften. Deswegen ist eine Verringerung des CO2-Ausstoßes nur dann eine wirklich gute Nachricht, wenn beispielsweise ein Autokonzern ankündigt, dass er jetzt ganz andere, energieeffizientere Autos baut, oder ein Elektrogerätehersteller sagt, er habe einen Kühlschrank entwickelt, der nur noch die Hälfte an Energie verbraucht. Denn dann wird das gleiche Maß an Wohlstand erzeugt mit nur noch der Hälfte an Emissionen. Das ist dann eine wirklich gute Nachricht. Dass die Konjunktur rauf- und runtergeht und damit auch die CO2-Emissionen, das rettet das Klima nicht.

SB: Zur Zeit findet in Leipzig eine fünftägige Konferenz zahlreicher zivilgesellschaftlicher Gruppen mit rund 3000 Teilnehmenden zur Theorie des Degrowth statt. [3] Was halten Sie von der Vorstellung einer Verringerung der Produktion und des Konsums, wie sie dort propagiert wird?

MS: Natürlich hilft das, das haben wir jetzt auch in der Wirtschaftskrise gesehen: Wenn die Produktion runtergeht, haben wir weniger CO2-Emissionen. Das löst aber das Kernproblem einer Menschheit nicht, die innerhalb von einer Generation um 30 Prozent wächst. Die zwei bis drei Milliarden Menschen, die voraussichtlich bis 2050 dazukommen werden, brauchen sauberes Wasser, eine anständige Abwasserentsorgung, ein Dach über dem Kopf, und haben ebenso wie wir Mobilitäts- und Kommunikationsbedürfnisse. All das verlangt materielles Wachstum. Wir müssen dafür sorgen, dass wir dieses materielle Wachstum realisieren, ohne immer mehr CO2 zu emittieren. Wir können ja mittlerweile CO2-neutrale Häuser bauen, wir können Energie CO2-frei erzeugen - wir müssen das nur machen!

Deswegen ist mein Hoffnungspfad nicht globales Degrowth. National allerdings kann Degrowth helfen. Wenn in Wohlstandsgesellschaften wie der unseren Menschen mit weniger auskommen, dann hilft das dem Klima: Vegetarier zu werden anstatt Fleisch zu essen, weniger duschen, das eigene Urlaubsverhalten zu ändern, Fahrrad statt Auto, und so weiter. Das alles hilft bei uns. Aber es ist nicht genug, um die zwei, drei Milliarden Menschen, die nun dazukommen, anständig und menschenwürdig zu versorgen. Deswegen müssen wir die Produktionsweise an sich umstellen, um die natürlichen Ressourcen zu schonen und einen gefährlichen Klimawandel zu verhindern.

Windpark in der Nähe von Wennemannswisch, Dithmarschen - Foto: © 2014 by Schattenblick

Windenergie - keine Strahlengefahr wie bei der Atomkraft, nicht so viele CO2-Emissionen wie bei der Braunkohleverstromung, aber auch nicht "nebenwirkungsfrei": Rohstoffabbau unverzichtbar, und in Energiebilanzen von Windrädern werden die infrastrukturellen Voraussetzungen ihrer Produktion gerne vernachlässigt. Soll durch die erneuerbaren Energien der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben werden?
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Diese CO2-armen oder gar -freien Häuser wurden heute Abend schon mehrfach erwähnt. Davon hört man aber auch viele negative Nachrichten, dass sie schlecht gelüftet sind und sich Schimmel bildet. Gibt es tatsächlich solche Häuser, die gut funktionieren?

MS: Um ein Haus energieeffizient zu machen, gibt es zwei verschiedene Ansätze. Zum einen kann die Energie, die für die Herstellung benötigt wird, durch Biogas, Windräder, Solarzellen oder Erdwärme erzeugt werden. So kann man ein konventionelles Haus CO2-frei aufstellen. Zum anderen kann man ein Haus ganz dicht einpacken, also Dach, Wände und Fenster isolieren, so dass es in der Betriebsphase nur einen ganz geringen Energiebedarf hat. Die modernsten Häuser produzieren heute schon einen Energieüberschuss, der dann beispielsweise für ein Elektroauto verwendet werden kann.

Nun gibt es einige Haustypen, die so eingepackt sind, dass entweder die Energiebilanz negativ ist, weil die Wärmedämmung mehr Energie kostet, als hinterher gespart wird - das ist dann zu viel des scheinbar Guten - oder die technisch schlecht gemacht sind. Solche Häuser fangen an zu schwitzen, haben Schimmelbildung, leiden unter zu wenig Lüftung. Aber man kann das auch richtig machen und es gibt ökologisch gebaute Häuser, bei denen das alles wunderbar funktioniert. Das ist wie beim Essen: Ich kann in einem Biorestaurant etwas Schlechtes essen und davon erkranken. Aber das ist nicht der Beweis dafür, dass alle Bioprodukte schlecht sind.

SB: Heute Abend wurde ebenfalls häufiger angemahnt, dass das Europäische Emissionshandelssystem reformiert werden soll. Welche Vorstellungen haben Sie dazu?

MS: Die Stiftung 2° schlägt vor, dass man die Menge an ausgegebenen Emissionszertifikaten reduziert, weil dadurch der Preis steigt und die Unternehmen einen echten Anreiz hätten, ihre CO2-Emissionen zu mindern und in CO2-armen Technologien zu investieren. Das ist ein einfacher Mechanismus.

Der Vorschlag, den wir heute im Vortrag von Herrn Professor Edenhofer gehört haben, geht darüber hinaus. Er sagt, dass sich die Politiker nur schlecht auf etwas einigen können. Wenn sie sagen, dass alle zwei Jahre die Zertifikatmengen neu verhandelt werden sollen, dann würden da wahrscheinlich alle möglichen Ausnahmen mit reinverhandelt. Deswegen schlägt er vor, einen Mindestpreis festzulegen, unter den die Zertifikate nicht sinken können. Das würde das System viel berechenbarer machen. Und er schlägt auch vor, einen Höchstpreis festzulegen, damit der Preis in Phasen der Hochkonjunktur nicht plötzlich zu weit nach oben schießt.

Im Grunde genommen beschreibt er einen Preiskorridor, auf dem es entlanggehen soll. Man kennt das von der Währung: Die Nationalbanken haben ein Geldmengenziel und steuern das darüber aus, indem sie mal Geld drucken und mal über eine Erhöhung der Zinsen wieder herausnehmen. Das funktioniert. Deswegen halte ich den Vorschlag für interessant. Doch er hat den Nachteil, dass die EU eine neue Institution gründen müsste, und das halte ich für sehr schwer realisierbar. Interessant fand ich Frau Hendricks Ankündigung, dass in der Politik gerade über eine Kombination aus Reduzierung der Mängel des Emissionshandelssystems und Festlegung eines Preiskorridors diskutiert wird. Das könnte ein Königsweg sein.

SB: Als Unternehmer und Stiftungsvorstand kommen Sie vermutlich häufiger in Kontakt mit Menschen aus Entwicklungs- und Schwellenländern. Wissen Sie, wie dort die technologische Führerschaft der Industriestaaten im Energie- und Umweltbereich wahrgenommen wird? Stößt das auf Kritik, indem man sagt, ihr wollt ja doch nur eure grüne Technologie bei uns implementieren, eure Produkte verkaufen und weiterhin die technologische Führerschaft beibehalten?

MS: Es wäre Unfug, wenn wir behaupten würden, wir entwickelten neue Technologien, um sie dann anschließend nicht zu verkaufen. Unser Wohlstand in Deutschland stammt zu einem Drittel daher, dass wir unsere Waren und Dienstleistungen außer Landes und nicht im Land verkaufen. Früher ist es uns aber gelungen, neue Technologien unter dem Begriff "Fortschritt" zu verkaufen. Das fanden viele schon alleine deshalb positiv. Mittlerweile taucht natürlich zu Recht die Frage auf: Ist das, was wir exportieren, auch sozial und ökologisch nachhaltig? Und genau da eine neue Führerschaft einzunehmen, wäre eine Riesenchance für unser Land. Zu sagen, "Made in Germany" soll künftig nicht nur bedeuten, dass etwas lange hält und von guter Qualität ist, sondern dass es auch ökoeffizient ist, die Ressourcen schont und dass dabei auf die regionalen Gewohnheiten eingegangen wird. So dass die Menschen vor Ort ihre eigenen regionalen Wertschöpfungen machen können, dass man als Unternehmer so etwas gleich mitdenkt. Das wäre meine Idee dazu.

Ich glaube, von der deutschen Mentalität her, können die Deutschen so etwas eigentlich mit am besten. Wir haben die menschliche Fähigkeit, auf andere Menschen einzugehen und zu sagen, okay, das können wir zusammen machen. Solche Angebote vorzulegen könnte eine tolle, nachhaltige Außenpolitik sein, anstatt einfach nur alles selber zu machen und sagen: Jetzt gebt mal euer Geld dafür her und kauft uns das ab. So geht das sicherlich zukünftig nicht. Das anders machen zu können, halte ich für eine gute deutsche Fähigkeit. Ich sehe aber nicht, dass sie im Moment politisch systematisch entwickelt wird. Hier könnten wir mehr leisten.

In China stehen viele unserer Solarproduktionsanlagen, was ich nicht schlimm finde. Denn wir sollten nicht glauben, dass wir massenhaft Solarmodule am billigsten auf der Welt produzieren können. Das können sicherlich Länder mit niedrigeren Lohnkosten und viel mehr Fläche und auch mit viel mehr Bedarf als wir. Aber wir können diejenigen sein, die die besten Maschinen herstellen, um Solarmodule herzustellen. Und wir können auch die innovativsten sein.

SB: Nach dem gegenwärtig vorherrschenden Wirtschaftsmodell entwickeln und produzieren Unternehmen parallel. Müsste man nicht auf der Ebene der Wirtschaftsordnung etwas anderes machen, damit das nicht passiert?

MS: Nein. In einem funktionierenden Markt erledigt sich ganz schnell die Frage, ob ein Produkt sinnvoll ist oder nicht. Die Reaktion des Kunden ist gleichzeitig wichtig für die Unternehmen, um besser zu werden. Komischerweise ist das eine Frage, die mir in der sozialistischen Betriebswirtschaftslehre gestellt wurde. Wir hatten ein Jahr vor der Wiedervereinigung eine Begegnung von Westunternehmern mit Dozenten der sozialistischen Betriebswirtschaftslehre, da kam genau diese Frage auf. Es wurde gesagt: 'Das ist doch total ineffizient, wenn ihr in Lübeck drei Händler habt, die alle die gleiche Badewanne im Lager liegen haben, und nur einer will sie haben. Das ist doch Verschwendung.' Darauf habe ich geantwortet: 'Ja, wenn alle genau wüssten, wer wann eine Badewanne haben will, dann könnte man sie ihm hinstellen und müsste nie eine am Lager haben. Aber da wir das nicht wissen und nicht planen können, aber plötzlich einer sagt, bei ihm habe es reingeregnet, er renoviere jetzt sein Badezimmer und brauche eine neue Badewanne, dann ist es toll, wenn er sie bekommt.' Wenn jedoch viel zu viele Badewannen in den Lagern liegen, erledigt sich das Problem, denn dann gibt es irgendwann ein Sonderangebot und sie liegen nicht mehr auf Lager. In einem Markt pendelt sich das ein. Deswegen sehe ich hier kein Problem.

SB: Würden Sie sagen, dass wir keine politischen Regularien brauchen und man die Erderwärmung allein mit den Prinzipien der Marktwirtschaft aufhalten kann?

MS: Das schafft die Wirtschaft überhaupt nicht alleine. Eine Marktwirtschaft funktioniert nur mit Regeln. Wenn man keine Regeln hat, ist das Anarchie. Markt hat immer Regeln: Die Gewichte sind geeicht, das Angebot muss ehrlich sein, es muss bezahlt werden, wenn man etwas bekommen hat. Ohne das hat noch nie ein Markt funktioniert. Und wenn wir sehen, dass wir ein ökologisches oder soziales Problem haben, dann brauchen wir Ökoregeln oder soziale Regeln. Von selbst funktioniert das nicht.

SB: Das hat die frühere US-Regierung unter George W. Bush wohl nicht ganz so gesehen, denn sie hat das Klimaschutzprotokoll von Kyoto nicht unterzeichnet.

MS: Die Bush-Regierung ist ein schönes Beispiel. Sie hat gesagt, dass sie keine Finanzmarktregeln will - und wir alle kennen das Ergebnis.

SB: Wäre es für ein Unternehmen überhaupt attraktiv oder könnte es an möglichen altruistischen Projekten verdienen?

MS: An wirklich altruistischen Projekten, im Sinne von Menschenliebeprojekten, können sie nicht verdienen. In der Betriebswirtschaftslehre gibt es die Definition für Bedürfnis und für Bedarf. Bedürfnis ist das, was man gerne hätte und Bedarf ist ein mit Kaufkraft ausgestattetes Bedürfnis, das am Markt als Nachfrage auftritt. Und jetzt zum Altruismus: Wenn es keinen gibt, der für ein Angebot zahlen kann oder will, dann wird ein Produkt nicht abgenommen. Und der Unternehmer sitzt da und sagt sich: Das war ja eine schöne Pleite!

Ladestation am Straßenrand, dahinter reservierter Parkplatz - Foto: © 2014 by Schattenblick

Eigene Parkplätze und Ladestationen für Elektroautos eines Car-Sharing-Anbieters in Berlin, 20. August 2014
Foto: © 2014 by Schattenblick

Aber häufig liegen die Dinge gar nicht so weit auseinander. Dass man schaut, was brauchen die Menschen, und wo gibt es die Leute, die das Geld dafür haben. Es gehört auch zu den Aufgaben des Unternehmers, wenn er feststellt, dass es zwar ein Bedürfnis gibt, aber den Leuten das Geld dazu fehlt, dass er sich fragt, ob man das nicht trotzdem hinbekommen und vielleicht einen Mechanismus schaffen kann, zum Beispiel über Fördergelder, Sozialmaßnahmen oder darüber, dass sich mehrere Leute mit einer Genossenschafts-Idee zusammentun, um das benötigte Gut erschwinglich zu machen.

Das einfallsloseste ist eigentlich, immer nur Forderungen an den Staat zu stellen und Subventionen zu fordern. Ich finde es viel besser zu schauen, ob man nicht neue Wege finden kann - zum Beispiel eine Art Leihsystem. Zum Beispiel das Stattauto. Da gibt es Leute, die bewusst auf ihr Auto verzichten, aber es gibt eben auch welche, die sich gar kein Auto leisten können. Und plötzlich können sie sich aufgrund dieser Idee einmal im Monat, wenn sie etwas transportieren wollen, ein Stattauto mieten. Das halte ich für eine tolle Lösung eines Problems.

Oder denken Sie an die ganzen kleinen genossenschaftlichen Banken. Jemand sagt sich, dass er sein Geld nicht irgendwo deponieren, sondern eine gewisse Mitbestimmung haben möchte. Er kann sich keine sieben Prozent von der Deutschen Bank kaufen, aber vielleicht zwei Anteile von der regionalen Genossenschaftsbank. Auf der Mitgliederversammlung hat er dann eine Stimme und kann sagen, ob er nicht gut findet, was mit seinem Geld gemacht wird, oder ob er das ganz toll findet. Dann kann man wieder Einfluss nehmen. Und genau so funktioniert Demokratie: Teilhabe unterscheidet uns eben von den eher totalitären Systemen.

SB: Auf der Internetseite der Stiftung 2° wird bedauert, dass es noch keine Erzählung bezüglich des Klimawandels gibt, also kein Narrativ, das überzeugend, packend und unterhaltsam ist. Haben Sie eine solche Story inzwischen herauskristallisieren können?

MS: Ja! Für die Storysuche haben wir lange gebraucht, das muss man echt sagen. Wir haben gemeinsam mit zwei guten Journalisten, von denen einer Krimis und der andere Wirtschaftsgeschichten schreibt, überlegt, was die Erzählung sein könnte. Und wir haben wirklich mit fünf Leuten drei Tage von je acht Stunden gebraucht, um eine Idee zu erhalten, was die Geschichte sein kann. Zunächst einmal mussten wir uns klar darüber werden, wem wir die Geschichte erzählen wollen, also ob der allgemeinen Öffentlichkeit, Politikern, Unternehmern oder wem auch immer. Wir haben uns schließlich dafür entschieden, dass wir den wirtschaftlichen Entscheidern eine Geschichte erzählen wollen, also jenen Leuten im Unternehmensumfeld, in Verbänden oder in der Politik, die Wirtschaftspolitik gestalten.

Das zweite war, dass wir eine Botschaft übermitteln wollten, die von unseren Adressaten verstanden wird und die für sie handlungsrelevant ist, also nicht nur eine theoretische Erkenntnis darstellt. Herausgekommen ist am Ende diese Geschichte: Wir können das 2-Grad-Limit einhalten, indem wir in vielen Fällen nur ein Prozent unseres Geldes anders ausgeben. Ein Beispiel ist die Bahn. Sie hat, bevor sie die grüne Bahncard herausgegeben hat, ihren Großkunden angeboten, sie könnten CO2-neutral fahren, wenn sie nur ein Prozent mehr für die Tickets zahlen würden.

Solche Beispiele haben wir massenhaft gefunden, nicht nur im Stern-Report [4], in dem das volkswirtschaftlich ausgerechnet wird, sondern auch auf Betriebsebene, wo ein Betrieb, der ein Prozent seines Geldes anders ausgibt, gigantische Klimaschutzerfolge verzeichnet. Ein weiteres Beispiel ist der Fensterhersteller Schüco, der die Entscheidung getroffen hat, nur noch Ökostrom einzusetzen. Die haben eine Stromrechnung von sieben Millionen Euro im Jahr. Das ist richtig relevant. Schüco zahlt jetzt etwas mehr als 1% mehr für den Strom, hat aber seine CO2-Emissionen um rund ein Drittel vermindern können.

So gibt es viele Maßnahmen, die das zeigen. Der Kern der Geschichte ist: Du musst nur ein Prozent jedes Jahr anders machen, und das Problem ist lösbar. Wenn wir als Privatpersonen unsere durchschnittlich neuneinhalb Tonnen CO2 [5] ausgleichen wollen, beispielsweise durch ein Kompensationskonto bei Atmosfair, dann wären das 219 Euro pro Jahr pro Bundesbürger. Das ist weniger als ein Prozent vom Nettoeinkommen eines Durchschnittsverdieners. Also das könnten die meisten von uns gut leisten.

Für die Betriebe spielt sich das auch häufig in dieser Größenordnung ab. Ich spreche jetzt nicht von Aluminium- und Stahlwerken, die haben ein Problem ganz anderer Größenordnung. Sie machen aber auch nur einen kleinen Teil der deutschen Wirtschaft aus. Für die Masse der Unternehmen gilt: Ein Prozent jährlich anders ausgegeben - und das Zwei-Grad-Limit ist einhaltbar.

SB: Herzlichen Dank, Herr Schön, für das Gespräch.

Sesselreihe mit Diskussionsteilnehmern - Foto: © 2014 by Schattenblick

(von links:) Prof. Ottmar Edenhofer, Jennifer Morgan, Max Schön, Dr. Barbara Hendricks, Dr. Michael Otto bei der Podiumsdiskussion
Foto: © 2014 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] http://www.stiftung2grad.de/die-stiftung/

[2] http://www.markiteconomics.com/Survey/PressRelease.mvc/e1e046f68c0a41f1a24c7898d5baa9db

[3] Näheres zur Degrowth-Konferenz im Schattenblick unter:
BERICHT/028: Aufbruchtage - Brauch- und Wuchskultur auf die Gegenspur ... (SB)
Wachstumskritik und Zukunftsentwürfe
Vierte Internationale Degrowth-Konferenz an der Universität Leipzig vom 2. bis 6. September 2014
http://schattenblick.com/infopool/buerger/report/brrb0028.html

[4] Stern-Report: Benannt nach Sir Nicholas Stern, ehemaliger Chefökonom der Weltbank, und Berater der britischen Regierung, in deren Auftrag er einen Bericht zu den wirtschaftlichen Kosten der globalen Erwärmung erstellt hat. Eine der Kernaussagen des am 30. Oktober 2006 veröffentlichten, 650 Seiten umfassenden "Stern Review on the Economics of Climate Change" lautet, dass die Kosten für Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel und die Behebung der Klimawandelfolgen um so höher steigen, je länger gewartet wird. Um die CO2-Konzentration in der Atmosphäre auf ein erträgliches Maß zu halten, seien Investitionen in Höhe von etwa 1 % des globalen Bruttoinlandsprodukts erforderlich.

[5] Die CO2-Emissionen Deutschlands müssen bis 2050 um 80 bis 95 Prozent gesenkt werden, damit das 2-Grad-Ziel eingehalten werden kann. Zur Zeit werden durchschnittlich pro Einwohner 9,5 Tonnen CO2 jährlich emittiert.

Einen Bericht und ein Interview zu der Veranstaltung "Klimawandel und Klimaschutz - zwischen globaler Transformation und nationalen Herausforderungen" am 2. September in Hamburg finden Sie hier:

UMWELT → REPORT → BERICHT:
BERICHT/089: Technik klimagerecht - wie gehabt, nur besser ... (SB)

UMWELT → REPORT → INTERVIEW:
INTERVIEW/157: Technik klimagerecht - in großen Entwürfen und gerecht ...    Jennifer Morgan im Gespräch (SB)

22. September 2014