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INTERVIEW/168: Kettenbruch - Forschungsansatz Bienenpower ...    Prof. Dr. Jürgen Tautz im Gespräch (SB)


bee careful - Initiative zur Erforschung der Bienengesundheit durch die Schwartauer Werke

Vorstellung des ersten norddeutschen "Hightech-Bienenstocks" am 10. Oktober 2014 in Bad Schwartau

Prof. Dr. Jürgen Tautz darüber, warum Bienen mehr sind als ein funktionales Ganzes und warum es für den Menschen lebenswichtig ist, etwas für ihre Gesundheit zu tun.



Daran, daß Professor Jürgen Tautz einer der wohl berühmtesten Bienenforscher Deutschlands werden konnte, ist das - wie er es selbst nennt - "hinterlistige Geschenk" eines in den Ruhestand getretenen Kollegen schuld: Ein Bienenvolk, das ihm dieser einfach zum Entsetzen der Familie vor die Haustür stellte. "Es ist ein Fehler, sich als Zoologe, nicht mit den Bienen zu beschäftigen", war der damit verbundene, gut gemeinte Rat, den der damalige Meeresbiologie nicht nur beherzigte, sondern gewissermaßen zu einer Mission in "Sachen Biene" umsetzte, obwohl er von Bienen nicht mehr wußte als jeder Mensch: "Sie stechen. Sie machen Honig".

Heute ist der seit 1990 als Professor für Verhaltensbiologie am Biozentrum der Universität Würzburg tätige Wissenschaftler nicht nur einer der renommiertesten Bienenforscher weltweit, sondern versucht auch Menschen jeden Alters mit einer verständlichen Sprache für die Bienen und seine Wissenschaft zu begeistern. Seit 2006 baut Jürgen Tautz das Non-Profit-Projekt HOBOS (HOneyBee Online Studies) als ein interaktives Forschungs- und Schulkonzept auf: Weltweit können nicht nur Wissenschaftler, sondern jeder am Bienenleben interessierte Mensch über das Internet das Innenleben eines Bienenstocks sowie zahlreiche Messwerte aus der Umwelt live über die Lernplattform www.hobos.de verfolgen.

An der Initiative "bee careful" (www.bee-careful.de) der Schwartauer Werke und dem Aufbau einer zweiten Versuchsstation im Ostseeraum war er von Anfang an mit großem Engagement beteiligt. Mit dieser klimatischen Antipode zu den fast wüstenähnlichen Verhältnissen der Fränkischen Trockenplatte könne man die Einflüsse der Umwelt und Umgebung nun noch besser erfassen und dokumentieren, als mit einer einzigen Station. Dafür wurde in die norddeutsche Station ein analytisches Instrumentarium installiert, das auf dem neusten technischen und wissenschaftlichen Stand ist.

Im Rahmen der Vorstellung des ersten norddeutschen "Hightech-Bienenvolks" am 10. Oktober 2014 erklärte er dem Schattenblick, warum er dem bedrohlichen Bienensterben mit fundierter Forschung zur Gesundheit dieser Lebewesen begegnen will, die für unser aller Zukunft möglicherweise bedeutender sind, als selbst die Forschung vermutet...

Der Bienenforscher vor der Forschungsstation in Bad Schwartau - Foto: © 2014 by Schattenblick

'Wir brauchen die Biene, aber die Biene braucht auch den Menschen, weil wir unsere Welt nicht mehr bienenfreundlich gestalten.'
Prof. Dr. Jürgen Tautz
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Sie hatten in Ihrem Vortrag erzählt, daß es ein "hinterlistiges" Geschenk eines Kollegen im Ruhestand war, der Sie zur Bienenforschung gebracht hat, nämlich in Gestalt eines Bienenvolks, das er Ihnen vor die Haustür gesetzt hat. Eigentlich waren Sie Meeresbiologe. Nun würde ich aber gerne noch wissen, was hat Sie an den Bienen mehr fasziniert als an Krabben oder Krebsen?

Prof. Dr. Jürgen Tautz (JT): Mit den Krebsen habe ich auf dem Gebiet der Neurobiologie gearbeitet, das heißt, am Nervensystem der Krebse hat mich interessiert, wie verschiedene Sinneseindrücke, -eingänge bearbeitet werden, wie Integration passiert oder, anders gesagt, wie ein so komplexes Gewebe wie das Gehirn eine intelligente Leistung hervorbringt. Das war eine generelle Fragestellung. Wenn man vor einem Bienenstock steht, gibt es eigentlich genau dasselbe Hintergrundproblem, aber auf einer viel spannenderen Basis, wie ich finde. In einem Nervensystem, einem Gehirn, einer Computerschaltung sind die Bausteine sozusagen fest am Ort. Bei den Bienen wuselt alles durcheinander und trotzdem hängen sie zusammen.

SB: Verstehen Sie die einzelnen Bienen praktisch wie Schaltstellen oder Synapsen in einem Gehirn und den Bienenstock oder das Bienenvolk als einen Gesamtkomplex?

JT: Genau, "der Bien", das ist der Fachausdruck dafür als Superorganismus. Das Bienenvolk muß man aus biologischer Perspektive wie ein Lebewesen betrachten. Eine Gruppe von Insekten, die hauptsächlich aus Weibchen besteht, wird daher als "Bien" bezeichnet. Die Biene ist der einzelne Baustein, und die spannende Frage für den Biologen ist eben, wie halten sie zusammen?

SB: In einem Interview mit Spektrum der Wissenschaft haben Sie geschildert, daß einzelne Bienen auf Kälte empfindlicher reagieren, als Bienen in einem Bienenstock. Wäre das ein Beispiel dafür, daß Bienen zwischen dem Leben als Individuum und als Superorganismus hin und her wechseln?

JT: Honigbienen sind immer und zeitlebens Teile des Superorganismus Bienenvolk. Die unterschiedlichen Situationen kann nur der Forscher experimentell erzeugen, indem er Bienen einzeln untersucht. Das genannte Beispiel soll zeigen, daß man von den Erkenntnissen an einzelnen Bienen nicht zwangsläufig auf den Superorganismus schließen kann. Mit diesem Punkt ist man sehr rasch bei der Frage nach der Sinnhaftigkeit bestimmter Tests im Zuge von Zulassungsverfahren von Insektiziden und Herbiziden, die sich für Kartoffelkäfer bestens eignen, aber eben nicht zwangsläufig auf Honigbienen übertragbar sein müssen. Auch hier könnte HOBOS Ansatzpunkte dafür liefern, welche Tests in Zulassungsverfahren künftig näher an der Biologie der Bienen liegen.

SB: Gibt es neben dem wirtschaftlichen Wert als Honigproduzenten und Pflanzenbestäuber [1] noch weitere sogenannte "Ökosystemdienstleistungen" der Bienen?

JT: Ja, eine Entdeckung, die auf die eigene Küche, d.h. meine Forschung, zurückgeht, ist, daß Bienen sogar als Schädlingsbekämpfer wirken.

Eine Biene im Moos - Foto: © 2014 by Schattenblick

Ihr Einfluß zeigt sich auch in Bereichen, wo man es nicht vermutet...
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Inwiefern?

JT: In meiner Doktorarbeit habe ich mich mit der Interaktion von Wespen und Raupen beschäftigt. Wespen sind Fleischesser, jagen Raupen. Die Raupen haben nun gegenüber anfliegenden Wespen ein Frühwarnsystem mit ihren feinen Sinneshärchen entwickelt, die durch Luftbewegungen in Schwingung versetzt werden, zum Beispiel auch generiert durch die Vibrationen des Flügelschlags. Als Folge bleiben die Raupen stehen und werden von den Wespen, die optisch suchen, nicht mehr gefunden. Da kam die Idee: Die meisten Menschen haben ja Probleme, Bienen von Wespen auseinanderzuhalten und vielleicht haben die Raupen ähnliche Schwierigkeiten. Also habe ich zwei Gärten mit gleichem Pflanzenbesatz angebaut, das waren Paprikapflanzen, und beide Gärten mit Raupen bestückt und jeweils mit einem Gartenkäfig umgeben. In einem Käfig durften Bienen fliegen, in dem anderen nicht. Nach zwei Wochen habe ich dann die Blätter eingesammelt und den Fraßbefall ausgemessen. Dort, wo Bienen flogen, gab es 70 Prozent weniger Schädigung der Pflanzen als dort, wo keine Bienen flogen. Die Erklärung: Da kriecht eine Raupe und wenn eine Biene vorbeifliegt, spürt sie dies und bleibt stehen. Wenn sie steht, ißt sie nicht. Wir haben dann das Experiment ins Freiland übertragen. [2] Und zwar habe ich einen schweizer Biowinzer gefunden, in dessen Weinberg wir das gemacht haben. Da gab es die Rebenzeilen und dazwischen bunte Wildblumen mit Mischungen. Der Schädling war der Traubenwickler, ein kleiner Schmetterling, dessen Raupen die Beeren anessen, die dadurch dann verderben. Ein Teil des Weinbergs wurde mit Bienen ausgestattet und dort war auch weniger Schädigung durch diesen Traubenwickler zu beobachten. Also Bienen dienen auch als Schädlingsbekämpfer.

SB: Das ist ja eine sehr schonende Art von Schädlingsbekämpfung, denn die Raupe kommt ja nicht zu Schaden, sie frißt nur nichts, weil sie denkt, da sind Wespen im Anflug.

JT: Ja, genau, sie bleiben einfach stehen und stellen sich tot.

SB: Der volkswirtschaftliche Nutzen der Bienen weltweit wird auf 153 Milliarden Euro geschätzt, den Bienen in Deutschland kommt eine Bestäubungsleistung im Wert von 2,7 Milliarden Euro jährlich zu, heißt es. Könnte es sein, daß die Schäden eigentlich viel größer sind, weil bestimmte Unternehmen, Schwartau als ein Beispiel, die sehr von Bienen abhängig sind, in die Knie gehen würden, was wiederum ökonomisch ganz andere Effekte hätte, angenommen die Bienen gäbe es schlagartig nicht mehr und man könnte sich nicht drauf einstellen?

JT: Ja, ich denke auch, daß dieser Wert eher konservativ gerechnet ist. Dann sind da auch noch die indirekten Folgen, wenn Sie bedenken, daß Bienen ja auch durch die Bestäubung für die Erzeugung von Tierfutter verantwortlich sind, Klee zum Beispiel. Das ist alles nicht in der Berechnung enthalten. Wobei ich mir abgewöhnt habe, in Vorträgen Summen zu nennen. Jeden Tag wird in der Zeitung von Rettungsschirmen in Milliardenhöhe geredet. Diese Zahlen beeindrucken niemanden mehr. Eindrucksvoll sind dagegen jedoch die Proportionen an Lebensmitteln, die durch die Bienen erzeugt werden.

SB: Gibt es tatsächlich keine Wildhonigbienen mehr in Deutschland, wie uns von anderer Seite gesagt wurde? Können Sie das bestätigen?

JT: Nein, keine wildlebenden Honigbienen. Da sind wir zur Zeit in ein Projekt involviert, das die Waldzeidlerei, wie das Sammeln von wildem Honig genannt wird, wieder etwas propagiert. Die Biene ist eigentlich ein Waldinsekt. Auch hier war vor 2000 Jahren alles waldbedeckt. Die Bienen brauchen, um wild leben zu können, Totholz, alte tote Bäume. So hängen die Dinge zusammen. Auch eine ordentliche, konsequente Forstwirtschaft trägt einen Teil dazu bei, daß Bienen unser Problem bleiben.

Alter Stich zeigt das Sammeln von Wildhonig und die Gerätschaften die der Zeidler dafür braucht - Bild: Quelle und Urheber unbekannt, gemeinfrei via Wikimedia Commons

Die Zeidlerei war bereits im 13. Jahrhundert eine eingetragene Zunft.
Bild: Quelle und Urheber unbekannt, gemeinfrei via Wikimedia Commons

SB: In dem Film "More Than Honey" [3] wird gezeigt, wie in China Menschen das Bestäuben von Nutzpflanzen übernehmen. Ist es vorstellbar, daß Menschen vollständig die Funktionen von Bienen ersetzen können, oder gibt es Dinge, die nur die Biene kann?

JT: Also, ich sag es mal sehr zynisch, so eine Arbeit kann man nur in einem Land wie China leisten mit vielen, fleißigen Menschen. Ein Bienenvolk bestäubt an einem Tag etwa sieben Millionen Blüten und das nur einfach. Und Herr Dr. Sebastian Portius, der für Forschung und Entwicklung zuständige Geschäftsführer der Schwartauer Werke, hat erzählt, daß die Qualität des Obstes vom Mehrfachbestäuben abhängt. Wer soll das machen? Als vor ein paar Jahren in Amerika das große Bienensterben eingesetzt hat, gab es solche Ideen, die auch in die Praxis umgesetzt worden sind. Da wurden zum Beispiel in den Mandelplantagen, die im Film auch gezeigt werden, Ventilatoren eingesetzt, um die Pollen zu transportieren. Man kann nur sagen, den Leuten muß Nachhilfe gegeben werden, eine Aufklärung darüber, was windbestäubte und was insektenbestäubte Pflanzen sind.

SB: Vorhin wurde auch gesagt, daß die Qualität des Obstes durch die Bienenbestäubung besser wäre als durch Windbestäubung oder durch andere Insekten. Wie erklärt man sich das? Ist das die mechanische Übertragung, der innige Kontakt ...?

JT: Sagen wir mal so, rein von der Reproduktionsbiologie sollten ja eine weibliche Eizelle und ein Samen genügen, und schon haben wir, was wir brauchen. Das führt auch zu einer Fruchtbildung. Aber erkennbar, nachvollziehbar, belegbar werden die Früchte größer, wohlschmeckender, optisch attraktiver, wenn derselbe weibliche Fruchtknoten mehrfach bestäubt worden ist. Keine Ahnung, warum.

Blüte in inniger Umarmung mit einer Biene, oder umgekehrt. - Foto: © 2014 by Schattenblick

Kontakt
Weshalb schafft Bienenbestäubung eine bessere Fruchtqualität - ein noch ungelöstes Rätsel.
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Versucht man das zu erforschen?

JT: Ich kenne niemanden, der sich damit beschäftigt.

SB: Das wäre vielleicht etwas für eine Doktorarbeit. Kann das, mal laienhaft spekuliert, mit der Koevolution zu tun haben, weil sich Bienen zusammen mit den Blütensamen entwickelten? Und sind da vielleicht Wirkverhältnisse entstanden, die der Mensch noch gar nicht kennt?

JT: Gut vorstellbar. Wenn Sie mich fragen würden, ob ich den Eindruck habe, ob es noch viele große, weiße Flecken auf der Landkarte der Bienenforschung gibt - jede Menge, jede Menge.

SB: Bienen sind durch ihre Rolle bei der Bestäubung von Pflanzen sehr wichtig für die Ernährung und die Landwirtschaft. Andererseits behaupten Imker, der beste Honig käme aus den Karpaten, weil dort durch die steinigen Berghänge intensive Landwirtschaft nicht möglich ist und somit noch sehr ursprüngliche Lebensbedingungen vorherrschen, Kräuter- und Pflanzenvielfalt, Insektenvielfalt, Insekten, die Parasiten fressen. Könnte man sagen, daß die Welt der Bienen vielleicht besser ohne Landwirtschaft und ohne Menschen sein könnte?

JT: Ja, klar. Das gilt für die ganze Natur, auf jeden Fall. Es ist 30 Millionen Jahre lang eine unauflösbare Abhängigkeit zwischen Blütenpflanzen und Bienen entstanden. Jede Seite braucht die andere. Und seit 2000 Jahren hat sich da eine sekundäre Abhängigkeit angehängt, Mensch und Biene. Wir brauchen die Biene, die Biene braucht aber auch den Menschen. Weil wir unsere Welt nicht mehr bienenfreundlich gestalten, ist die Biene von uns abhängig. Also, wenn es genügend Wildblumen gäbe und genügend hohle Bäume, dann bräuchten sie uns nicht.

SB: Könnte man denn ein Ökosystem, wie es in den Kaparten noch existiert, in dem die Verhältnisse von Insekten und Wildpflanzen so sind, daß sie sich gegenseitig von den Parasiten befreien und Bienenkrankheiten gar nicht erst entstehen, wieder zurückholen? Könnte man das hier wieder herstellen?

JT: Also, wir arbeiten sehr eng mit Imkern zusammen, die Bienen unter möglichst naturnahen Bedingungen halten. Die eine Region ist die Türkei, da wird viel geimkert, aber nicht gezüchtet, das heißt die Bienen bleiben sich selbst überlassen. Da wird gemacht, was die Imker hier vierzig Jahre gemacht haben, einmal im Jahr Honig geerntet und Schwärme eingefangen, mehr war nicht nötig. Im Altai-Gebirge in Sibirien, der anderen Region, haben die russischen Kollegen ebenfalls keine Probleme mit den Bienen. Sie sind zwar nach deutschen Imker-Aspekten nicht gerade besonders attraktiv, die sammeln nicht viel Honig, sind recht aggressiv, also sehr widerstandsfähig eben.

Es gäbe möglicherweise einen Weg, der aber nicht umsetzbar ist. Der Begriff DDT sagt Ihnen doch sicher etwas. Das ist dieses Insektizit, das früher einmal vor allem zur Malariabekämpfung benutzt wurde. DDT wurde anfangs flächendeckend in den Kuhställen eingesetzt und hat enorm gewirkt. Die Fliegen waren verschwunden. Heute gibt es wieder Fliegen, die man mit DDT aber nur umbringen kann, indem man mit der Dose nach ihnen wirft. Warum? Unter dem Druck des DDT sind die Populationen zusammengebrochen bis auf ein paar wenige Mutanten.

Das heißt, was zu einem Ergebnis führen würde, ist, die Natur sich selbst zu überlassen. Wenn wir jetzt aufhörten, irgendetwas für Bienen zu tun, womit ich nur den Gesundheitsaspekt meine, also keine Behandlungen mehr durch den Menschen, dann würden zwar 98 Prozent der Bienen verschwinden, aber mindestens zwei Prozent könnten dann einen neuen Aufbau angehen, aus denen sich kräftigere, widerstandsfähigere Bienen entwickeln ...

SB: ... die den Menschen nicht mehr benötigen. Also auf die gleiche Weise wie durch die oft von Landwirten gefürchtete Resistenzentwicklung, könnten auch Bienen entstehen, die sich an die neuen Umweltbedingungen gewöhnen?

JT: Gewöhnen ist das nicht. Es geht nur dann, wenn zufällig irgendeine Mutation entsteht. Und die entdecken Sie nur, indem Sie die Selektion spielen lassen. Also nicht helfen, sondern alle sterben lassen, bis auf die, die es schaffen. Also, das ist natürlich eine massive Idee, doch das würde funktionieren.

SB: Was weiß die Forschung über die evolutionäre Entwicklung der Biene? Bienenvölker gibt es seit mindestens 30 Millionen Jahren. Weiß man, ob sich die Bienen in dieser Zeit noch weiter evolutionär entwickelt haben, oder haben sie schon immer in dieser Form gelebt, als Superorganismus mit all diesen verschiedenen Funktionen oder diesen Ausdifferenzierungen in verschiedene Funktionen?

JT: Das ist tatsächlich eine sehr interessante Frage, die die Forschung nicht beantworten kann. Von allen anderen in Staaten lebenden, sogenannten eusozialen Insekten, Hummeln, Ameisen, Wespen, Termiten kennen wir noch heute lebende Zwischenstufen. Also kleinere Völker, subsoziale Organisationsformen oder auch keine sozialen Insekten. Aber nicht bei der Biene. Es ist, also ob sie in ihrer jetzigen Lebensform vom Himmel gefallen wäre. Weniger komplexe Formen der Biene findet man heute nicht. Das ist zwar keine Antwort ...

SB: ... aber auch eine Antwort. - Kann man tatsächlich schon von Bienensterben oder zumindest eindeutig von einem Bienenschwund sprechen? Ist dieser wissenschaftlich feststellbar oder nachweisbar?

JT: Ja, aber rein statistisch weniger dramatisch, als ich das zum Beispiel empfinde. Ich vergleiche das gerne mit den Folgen des Klimawandels. Klimawandel macht den Menschen aufmerksam, wenn Katastrophen passieren, Hochwasser oder Wirbelstürme. Danach wird aufgeräumt und es wirkt so, als wenn nichts passiert wäre. Aber im Untergrund hat sich etwas verändert, zum Beispiel dieser Meerestemperaturanstieg von 0,5 Grad Celsius.

Ähnlich sehe ich es beim Bienensterben. Ab und zu passieren Katastrophen, die einen aufrütteln. Der Imker weiß, wie er die entstandenen Lücken schließen kann. Es werden Importe gekauft oder Ableger vom Bienenvolk gebildet, wie der Imker sagt. Wenn man dann hinsieht, scheint sich nichts geändert zu haben. Aber es ist nicht die gleiche Situation wie vorher.

SB: Wie reagieren Bienen auf den jetzt doch großflächigen Anbau von genmanipulierten Pflanzen in den USA? Gibt es dazu neuere Erkenntnisse?

JT: Dazu habe ich selbst ein paar Jahre lang Experimente gemacht. Und zwar war ich interessiert an der Frage: Was ist für Bienen nachteiliger, Pollen von genmanipulierten Pflanzen oder eine einseitige Pollenernährung? Die einseitige Pollenernährung ist deutlich nachteilhafter als die genmanipulierten Pollen.

SB: Das heißt, als Bienenforscher teilen Sie nicht die gleichen Sorgen wie Umweltverbände vor dem jetzt geplanten Freihandelsabkommen der Europäischen Union mit den USA, wo ja befürchtet wird, daß hier die Umwelt- und Sozialstandards aufgeweicht werden?

JT: Also, ich halte das für eine Katastrophe, aber nicht als Bienenforscher. Ich teile voll und ganz Ihre Meinung, aber ich kenne keinen Beleg dafür, daß die Ernährung, der Blütenstaub dieser Pflanzen, den Bienen irgendwie schaden würde. Da kenne ich keine Arbeit, die das beweist.

SB: Wie wird sich die globale Erwärmung auf die Bienenvölker auswirken? Lassen sich schon jetzt Veränderungen feststellen?

JT: Ja, das gehört zu den Dingen, die wir jetzt mit dieser Versuchsanlage in Bad Schwartau gemeinsam mit unserem HOBOS Projekt in Würzburg herauskriegen wollen. Aber es gibt bis jetzt noch keine belastbaren Daten.

SB: Hat man inzwischen eine gesicherte Ursache für das häufig als "Bienensterben" verallgemeinerte Phänomen gefunden?

JT: Die Antwort auf diese Frage betrifft ein enorm komplexes, multifaktorielles Gebiet. Aus der Sicht des Wissenschaftlers befinden wir uns hier in einer etwas hoffnungslosen Lage, die ich Ihnen gerne mal an einem Beispiel vorstellen möchte: Nehmen wir an, wir kennen zehn verschiedenen Bienenkrankheiten. Tatsächlich gibt es sehr viel mehr. Eine davon wäre die Varroa Milbe. Nehmen wir an, wir kennen dazu noch zehn definitiv streßverursachende Umweltfaktoren wie den Klimawandel, möglicherweise den Mobilfunk, elektromagnetische Strahlung usw. Nehmen wir an, wir haben fünf imkerbedingte Faktoren. Imker wollen zwar immer das beste für Bienen, aber Bienen sind sehr belastbar und zeigen uns nicht gleich ihre Probleme.

Wenn ich nun als Wissenschaftler den Einfluß jedes einzelnen Faktors untersuchen möchte, muß ich alles andere konstant halten und nur den einen Faktor verändern. Das muß ich sorgfältig für jeden einzelnen Faktor durchführen. Dann erkenne ich dabei vielleicht im nebenherein, daß die Kombination von zwei Faktoren ganz anders wirkt als die Summe von zwei Faktoren und so weiter. Man endet hier also bei einer einfachen Aufgabe der Kombinatorik und kommt dann auf etwa 30.000 verschiedene Experimente, die man machen müßte, um Ihre Frage beantworten zu können.

Dann gilt für Wissenschaftler aber immer der Grundsatz "ein Experiment ist kein Experiment!". Das heißt, ich muß jedes Experiment mindestens fünfmal wiederholen, um eine einigermaßen saubere Statistik zu bekommen. Damit bin ich bei etwa 150.000 Experimenten angekommen, bei dem jedes etwa ein Jahr lang dauert, entsprechend der kurzen Lebensspanne der Bienen [4]. Wer soll das machen und wann? Von daher darf man sich nicht wundern, daß jede Woche gewissermaßen eine neue Sau durchs Dorf gehetzt und immer wieder eine neue Ursache für das Bienensterben publik gemacht wird. Alle diese Vermutungen haben irgendwie recht.

Der HOBOS Ansatz ist dagegen ganzheitlich. Wir erfassen möglichst viele Parameter aus der Umgebung, möglichst viele aus dem Stock und dann haben wir eine Menge an Daten, die wir mit modernen, kräftigen Datenwerkzeugen analysieren können. Das ist ein enormer Vorteil unserer Vorgängergeneration gegenüber, daß wir dafür heute Werkzeuge haben, und zwar sowohl Hardware, also Sensoren, mit denen wir das messen können, als auch die Software, also Programme, mit denen man derartig gigantische Datenmengen sinnvoll betrachten kann. Wir sind sehr optimistisch, daß wir mit diesem Ansatz neue Dinge entdecken werden, weil es ihn in der Form bisher noch nicht gegeben hat.

SB: Gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse oder einen internationalen Austausch von Bienenforschern und Imkern darüber, was die Staatengemeinschaft tun könnte, um den Fortbestand der Bienen weltweit zu sichern?

JT: Das Projekt COLOSS [5] unter der Federführung der beiden renommierten Bienenforscher Prof. Peter Neumann und Prof. Karl Crailsheim halte ich in diesem Zusammenhang für einen hervorragenden Ansatz.

SB: Die Europäische Union hat gegen drei Neonicotinoide ein vorläufiges Ausbringungsverbot (bis 2015) verhängt. Inzwischen plädieren nicht nur die Hersteller, sondern auch Bauernverbände dafür, die immer noch offiziell zugelassenen Mittel wieder anzuwenden, weil es sonst zu Ernteeinbußen kommen könnte. Welchen Nutzen könnte diese zweijährige Ausbringungspause für die Bienen oder für die Bienenforschung haben und reicht das?

JT: Neonicotinoide sind hochwirksame Insektizide, mit sehr viel Aufwand zum Töten von Schadinsekten entwickelt. Auch die Honigbienen sind Insekten, sprechen also auf diese Gifte an. Das ist unbestritten. Die Tendenz geht zur Entwicklung immer wirksamerer Gifte, um davon immer geringere Mengen in die Umwelt ausbringen zu müssen. Eine Ausbringungspause führt hoffentlich zu einer Erholung der Situation. Die aktuelle Lage ist besser als nichts und ein Anfang.

Die Umwelt hat enorme Speicher- und Pufferkapazitäten, siehe Klimawandel. Das beinhaltet das praktische Problem, daß man in kurzen Zeiträumen nicht beobachten wird, welche zunächst immer unterschwelligen Entwicklungen ablaufen. Das betrifft schleichende Vergiftungen ebenso wie Erholungen. Erst dramatische singuläre Katastrophen rütteln auf und machen aufmerksam. Um zeigen zu können, daß es den Bienen flächendeckend ohne diese Gifte besser geht, ist dieser Zeitraum von zwei Jahren möglicherweise viel zu kurz. Die Umwelt hat für viele Parameter eine große Trägheit (siehe Ozonloch) und Effekte zeigen sich nicht nach einem am grünen Tisch festgelegten knappen Zeitrahmen. Mehr Zeit (ab fünf Jahren aufwärts) wäre sicherlich hilfreich, um für alle, auch widerstrebenden, Interessenslagen Klarheit zu bekommen. Ein großes Problem ist: Wir haben keine belastbaren Daten, um entscheiden zu können, reichen diese beiden Jahre zum Nachweis einer bedeutenden Rolle von Umweltgiften bei der Entstehung von Bienenproblemen, oder reichen sie nicht.

SB: Inwieweit könnten die Daten zu Temperatur, Feuchtigkeit, Gewicht des Stocks sowie die Ein- und Ausflüge der Bienen, die Sie mit den beiden HighTech-Bienenvölkern in Würzburg und Bad Schwartau gewinnen, auch zur Lösung dieser weltweiten Probleme beitragen?

JT: Es geht bei HOBOS nicht darum, zu zeigen, daß Insektengifte Bienen schädigen oder gar töten können. Das wäre ein total triviales und wirklich nicht überraschendes Resultat, vergleichbar einer selbstverständlichen Einsicht, daß Bienenvölker verhungern, wenn Ihnen die Nahrung fehlt.

Der Ansatz von HOBOS besteht in dem Ziel zu erkunden, ob es möglich ist, die Wirkung vom Umweltstreß (zu dem wir auch die Insektizide rechnen) mit sehr viel rascheren und unumstritteneren Eingriffsmöglichkeiten in die Bienenbiologie zu entlasten. Dafür müssen wir aber wissen, was sich im Inneren des hochkomplexen Bienenvolkes abspielt und welche Ansätze zu einer Entlastung der Bienenvölker erkennbar werden.

Ein Bienenvolk muß man wie ein einziges großes Lebewesen betrachten, den Bien. Wenn wir den Gesundheitszustand eines Menschen bestimmen, messen wir unter anderem dessen Blutdruck, Pulsschlag, Atemfrequenz usw. Aber was messen wir für den gleichen Zweck bei einem Superorganismus? Welche Messgrößen können uns Auskunft geben?

Mit der Beantwortung solcher Fragen stehen wir erst ganz am Beginn. Der HOBOS-Ansatz ist der erste in seiner Art und man wird sehen, wie rasch wir Antworten bekommen. Wir wollen lernen, welche Aspekte im Leben der Honigbienen auf ihre Fitneß einflussreicher sind als andere, sowohl positiv als auch negativ.

SB: Welche neuen Erkenntnisse haben sich bezüglich des Superorganismus aus Ihren Untersuchungen zum Schwänzeltanz ergeben?

JT: Da möchte ich mich bedeckt halten und unbescheiden auf ein Buch verweisen, in dem ich diesen Aspekt sehr detailliert darstelle und das in wenigen Wochen fertig sein wird. Nur so wenig im Moment dazu: Man muß nicht unbedingt nur vollkommen neue Daten verfügbar haben, um die Dinge anders zu sehen. Der Blickwinkel ist entscheidend. Klassische wunderschöne Beispiele hierfür sind die Entdeckung der Kernspaltung durch Lise Meitner, die die Daten von Otto Hahn unter einem unvoreingenommenen Winkel betrachtet hat und ebenso die großen Veränderungen, die ein neuer Blick des Kopernikus auf die schon lange bekannten von der Erde aus höchst kompliziert verlaufenden Plantenbahnen ausgelöst hat. Um mich richtig zu verstehen: Die Tanzsprache der Bienen ist in ihrer Bedeutung mit diesen Paradebeispielen selbstverständlich nicht vergleichbar, ich möchte nur an bekannten Fällen zeigen, zu welch neuen Einsichten ein veränderter Blickwinkel führen kann. Schaun wir mal?

SB: Hin und wieder wird in den Medien berichtet, daß beispielsweise Hunde oder Katzen aus vielen hundert Kilometern oder noch größeren Entfernungen zu ihrem Zuhause zurückgefunden haben. Weder hat man bei ihnen magnetische Moleküle (wie bei Zugvögeln) gefunden noch läßt sich diese Fähigkeit mit dem Geruchssinn erklären. Sind solche Phänomene auch aus dem Reich der Bienen bekannt oder werden sie erforscht?

JT: Die Reaktion von Bienen auf Magnetfelder und Elektromagnetfelder ist sehr spannend. Auch hier möchte ich mich mit der Bitte um Verständnis bedeckt halten, da ein Manuskript mit Resultaten hierzu aus dem HOBOS-Projekt gerade im Begutachtungsprozeß ist.

SB: Auf der Website der Uni Würzburg ist ein Foto mit Bienen zu sehen [6], die mit winzigen elektronischen Geräten ausgestattet wurden, um ihr Verhalten zu untersuchen. Gibt es auch Forschungen, inwiefern solche Artefakte das Verhalten der Bienen beeinflussen?

JT: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Man muß immer Kontrollen durchführen, inwieweit jede Form der technischen Beobachtung der Bienen deren Verhalten beeinflusst. Bisher lässt sich sagen, alle Methoden, die wir bei HOBOS einsetzen, stören die Bienen weniger, als ein menschlicher Beobachter, der den Bienen direkt auf den Bienenpelz rückt.

SB: Vielen Dank Herr Prof. Tautz, daß Sie sich für uns die Zeit genommen haben.


Anmerkungen:


[1] Zu "bee careful - Initiative zur Erforschung der Bienengesundheit durch die Schwartauer Werke" ist im
INFOPOOL → UMWELT → REPORT
folgender Bericht erschienen:
BERICHT/092: Kettenbruch - Bienensterben im Blick der Forschung ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0092.html

[2] http://www.nytimes.com/2008/12/30/science/30obbuzz.html?_r=0

[3] "More than Honey"
Produktionsland: Deutschland, Schweiz, Österreich
Produktionsjahr: 2012
Länge: 91 Minuten
Verleih: Senator Film Verleih
Regie: Markus Imhoof
Drehbuch: Kerstin Hoppenhaus, Markus Imhoof
Kamera: Attila Boa, Jörg Jeshel
Schnitt: Anne Fabini

Eine Rezension des Films finden Sie hier:
http://www.schattenblick.de/infopool/medien/redakt/mrrz0031.html

[4] Königinnen leben 2 bis 3 Jahre, Drohnen 5 Monate, Arbeiterinnen leben je nach Anforderung und Verschleiß im arbeitsreichen Frühling und Sommer mit Sammeln und Brutpflege 6 bis 8 Wochen. Im Winter, wenn die einzige Arbeit nur aus Heizen besteht, werden die Arbeiterinnen 6 bis 8 Monate alt.

[5] http://www.coloss.org/

[6] Ein Beispiel für Bienen mit "Sensoren-Rucksäcken" können Sie hier betrachten:
http://www.bienenforschung.biozentrum.uni-wuerzburg.de/die_beegroup/research_projects/sociophysiology/


13. Oktober 2014