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INTERVIEW/190: Waldvorräte, Kolonien - Forsten, ernten und benutzen ...    Uwe Schölmerich im Gespräch (SB)


Wird der Wald für den Klimaschutz verheizt? Die Ressource Wald im Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen und die Vorschläge indigener Völker

Tagung des Vereins INFOE - Institut für Ökologie und Aktions-Ethnologie und des Klima-Bündnisses am 12. Juni 2015 im LVR LandesMuseum Bonn

Uwe Schölmerich zum allgemeinen Stand der Waldentwicklung und zu den Konzepten, mit denen in NRW der Schutz des Waldes sichergestellt und seine Bewirtschaftung betrieben wird


Uwe Schölmerich ist Leiter des Regionalforstamts Rhein-Sieg-Erft, eines von 16 Forstämtern des Landesbetriebs Wald und Holz NRW. Da seine Forstbehörde zum einen Staatswald bewirtschaftet und zum andern privaten und kommunalen Wald betreut, ist der Forstexperte mit allen Fragen der Walderhaltung und des Waldschutzes befaßt. Auf der Bonner Tagung war er mit einem Vortrag zum Thema "Waldschutz in Zeiten des Klimawandels im urbanen Umfeld" vertreten.


Im Vortrag - Foto: © 2015 by Schattenblick

Uwe Schölmerich
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Herr Schölmerich, könnten Sie etwas zum Stand der Entwicklung des Waldes in Deutschland im Feld zwischen dem Interesse an seinem Erhalt und seiner Nutzung für die Holzverwertung sagen?

Uwe Schölmerich (US): In Deutschland insgesamt, aber auch in Nordrhein-Westfalen nimmt die Waldfläche seit ungefähr 30 Jahren zu. Das gilt übrigens auch für ganz Europa, wie die Erhebungen des Food and Veterinary Office (FVO) der EU, die regelmäßig gemacht werden, zeigen. In Deutschland gibt es, auf die Fläche bezogen, einen sehr strengen Schutz. So darf man keinen Wald in etwas anderes umwandeln, ohne entsprechend Ersatz zu leisten, und oft wird mehr Fläche wiederhergestellt als zerstört. Natürlich ist es nicht so einfach, einen Wald zu ersetzen, weil man ihn erst einmal neu pflanzen muß. Man fängt jung an und hat lange Zeiten, in denen die Flächen nicht die vollen Waldfunktionen ausüben können.

Tatsächlich hat die Holznutzung in den letzten Jahren zugenommen, und zwar im wesentlichen deshalb, weil der Holzhunger in der Gesellschaft weiterhin ungebrochen anhält. Wir brauchen ungefähr 1,1 Kubikmeter Holz pro Jahr und Einwohner, vor allem in Form von Papier, Zellstoff und vielen anderen Produkten. Deutschland stellt 50 Prozent dieser Menge aus eigenen Ressourcen bereit, so daß es notwendig ist, mit den Waldreserven schonend umzugehen. Außerdem ist die Energiewende noch am Laufen, das heißt, viele Leute haben zu Zeiten teurer fossiler Brennstoffe versucht, sich durch Brennholz preiswert Energie zu besorgen. Dies wird vor allem in vielen Haushalten im ländlichen Raum als Hauptenergiequelle für Wärme benutzt.

An die Grenze des Zuwachses sind wir in Deutschland noch immer nicht gestoßen. Vielmehr zeigt die letzte Bundeswaldinventur, die im zehnjährigen Rhythmus gemacht wird, daß unsere Vorräte, also die Holzmasse pro Hektar, noch einmal zugenommen hat. Das gilt speziell für den Bereich des Laubholzes, aus dem im wesentlichen das Brennholz kommt. In anderen Bereichen, wie zum Beispiel bei der Fichte, sind wir durchaus schon an die Grenzen herangekommen, das heißt, die Fichte ist - flächen- wie auch vorratsmäßig - auf dem Rückmarsch, aber insgesamt ist der Zustand des Waldes laut Bundeswaldinventur trotz der Holznutzung besser und damit vorratsreicher geworden.

SB: Das Zuständigkeitsgebiet Ihrer Behörde grenzt an den Hambacher Forst, um dessen Abrodung eine heftige öffentliche Auseinandersetzung geführt wird. Ein alter Baumbestand könnte zwar rein quantitativ durch eine Neuaufforstung ersetzt werden, aber in dem Zusammenhang stellt sich natürlich die Frage der qualitativen Kompensation. Werden seitens der Forstämter in dieser Hinsicht auch Qualitätskriterien geltend gemacht?

US: Man unterscheidet in solchen Fällen den flächenhaften und den funktionalen Ausgleich. Wenn man beispielsweise in einen alten Wald eingreift, in dem spezielle Arten leben, müssen die besonderen Waldfunktionen in einer anderen Form wiederhergestellt werden. Das kann unter anderem dadurch passieren, daß man in anderen Bereichen entsprechendes Tod- und Altholz sichert oder ein Nisthöhlenprogramm fährt bzw. nach anderen Möglichkeiten sucht, um speziell betroffene Arten umzusiedeln.

So wird im Falle der Bechsteinfledermaus, die im Hambacher Forst vorkommt, ein umfangreiches Umsiedlungs- und Schutzprogramm durchgeführt, um dieser Art wieder neuen Lebensraum zu bieten zum Beispiel, indem man sie in benachbarte alte Wälder umleitet in der Hoffnung, daß es auch funktioniert. Generell kann man ein Waldökosystem, das sich über Jahrhunderte gebildet hat, nicht durch eine Aufforstung ersetzen. Das Aufforsten ist im Grunde der Startpunkt einer sukzessionalen Entwicklung, an deren Ende in 100, 200 Jahren ein annähernd vergleichbares Waldökosystem stehen wird.

SB: Abgesehen von wirtschaftlichen oder freizeittechnischen Nutzungseffekten hat der Wald, wie Sie es in Ihrem Vortrag angedeutet haben, für die indigene Bevölkerung auch eine kulturelle Dimension. Spielen Erwägungen, daß der Wald noch andere Werte verkörpert, die sich nicht in Geld bemessen lassen, bei Ihrer Arbeit bzw. in den Diskussionen um die Forstwirtschaft irgendeine Rolle?

US: Das spielt für uns sogar eine große Rolle. Im angelsächischen Sprachraum gibt es den Spruch: Forestry is not about trees, but about people. Das gilt insbesondere für Nordrhein-Westfalen. Wir haben 18 Millionen Menschen, aber nur 900.000 Hektar Wald. Das heißt, die Möglichkeiten, sich zum Beispiel im Wald zu erholen, sind schon rein flächenmäßig beschränkt.

Ganz besonders dramatisch ist das hier im Forst des Rhein-Sieg-Erft-Kreises, wo 62.000 Hektar Wald auf 2,4 Millionen Einwohner umzurechnen sind. So stehen jedem Einwohner statistisch gesehen gerade einmal 125 Quadratmeter an Fläche zur Verfügung. Dementsprechend hat der Wald bei uns in stadtnahen Bereichen eine enorme Bedeutung für die Psyche. Ich spreche in dem Zusammenhang gerne vom Wald als einem Psychotop für die urbane Bevölkerung. In diesem Refugium von Natur und Kultur kann der Mensch Erholung suchen. Insofern müssen wir auf diese Funktion Rücksicht nehmen. Wir haben auch schon spezielle Beteiligungsprozesse durchgeführt, wenn Einwohner einer Gemeinde ein ganz besonderes Anliegen geäußert haben. Dann treten wir mit ihnen in Kontakt und stellen unsere Maßnahmen auf ihre speziellen Wünsche ab, sofern das fachlich und von den Möglichkeiten her machbar ist.

Das Land Nordrhein-Westfalen hat vor drei Jahren ein Wildnisprogramm aufgelegt, ausgehend von dem verständlichen Wunsch, sich als Mensch in Bereichen bewegen zu wollen, wo überhaupt keine Zeichen zivilisatorischen Einflusses vorliegen. Das sind Gebiete, die nicht mehr genutzt werden, aber noch gut zu erreichen sind. Die Wildnis liegt bei uns nicht irgendwo ganz weit entfernt, sondern in der Nähe, wo man sie auch erleben kann. Das Forstamt hat dafür 1200 Hektar, was eine relativ große Fläche ist. Es handelt es dabei ausschließlich um Staatswald. Andere Waldbesitzer haben sich noch nicht dazu entschließen können. Allerdings gibt es im Siebengebirge vom Verschönerungsverein ein Wildnisareal von fast 500 Hektar. Mit diesem Pool an Flächen läßt sich auch die spirituelle Bedeutung des Waldes in Reinform erleben.


Uwe Schölmerich mit Bildpräsentation - Foto: © 2015 by Schattenblick

Für die Menschen in Stadt, Land und Wald ist die Fläche nie groß genug
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Auf der Tagung wird die Frage diskutiert, ob der Wald für den Klimaschutz verheizt wird. In Europa gibt es mittlerweile große Biomassekraftwerke, wie zum Beispiel Drax in England. Dort werden mehrere Millionen Tonnen an Pellets im Jahr verheizt, die zum größten Teil importiert werden, was dazu führt, daß im Süden der USA wertvoller Waldbestand für die britische Energieerzeugung abgeholzt wird. Wie bewerten Sie als Forstexperte diese Art von angeblich ökologischem Klimaschutz?

US: Das sehe ich absolut kritisch. Für mich ist Heizen mit Holz nur dann sinnvoll, wenn es aus einer nachhaltigen Wirtschaft kommt und Holzsortimente betrifft, die man nicht stofflich nutzen kann, also aus denen man keine Möbel, Balken oder sonstigen Gegenstände für den Alltag machen kann. Wir haben das Konzept der Kaskadennutzung, das heißt, wir wollen Holz möglichst hochwertig verwenden und es in ein, zwei oder drei Verarbeitungsstufen irgendwann der thermischen Nutzung zuführen. Das ist als letzter Schritt dann durchaus sinnvoll. Aber daß man Wälder rodet, um daraus Pellets zu machen, würde ich persönlich ablehnen.

In Deutschland oder NRW kann die Nutzung von Holz nur einen kleinen Beitrag zur Energieversorgung leisten. Es ist nicht mehr als ein Mosaikstein, der sich im ländlichen Raum gut eignet. Von daher hat es in dieser Nische seine Berechtigung, aber Holz ist keine Lösung der Energieprobleme. Das Ganze ist auch eine Frage des Zeitfensters, weil die Technik nach meiner Einschätzung so fortschreiten wird, daß man insbesondere die Wärmefrage über die direkte Nutzung von Sonnenenergie auf Dauer eleganter lösen kann.

SB: Der Begriff der Nachhaltigkeit stammt ursprünglich aus der Forstwissenschaft. Inzwischen wird im ökologischen Bereich eher von Resilienz als von Nachhaltigkeit gesprochen, so daß es weniger darum geht, die den Klimawandel bedingenden Verhältnisse umzukehren als vielmehr erlittene Schädigungen aufzufangen und sich zu überlegen, wie man das Schlimmste noch verhindern kann. Wie sieht das im Bereich des Waldes aus, wird der zum Beispiel noch durch den sauren Regen bedroht?

US: Das Waldsterben ist nicht mehr so präsent, aber es schreitet trotzdem fort, auch wenn es sich nicht so entwickelt, wie man es 1980 prognostiziert hat. Wir haben zwar den Schwefel aus der Luft bekommen und damit einen Teil der sauren Niederschläge beseitigt, aber mit dem Stickstoff haben wir immer noch ein massives Problem. Unsere Waldökosysteme werden überdüngt, und in 85 Prozent der Waldstandorte wird Nitrat ins Grundwasser ausgewaschen, was es früher überhaupt nicht gegeben hat. Dadurch werden die Ökosysteme destabilisiert mit der Folge, daß verschiedene Pilze zurückgehen und der Wald streßanfälliger wird.

Als zweite Komponente kommt hinzu, daß mit dem Klimawandel vor allem Wetterextreme auftreten, die dem Wald schaden, zum Beispiel in Form von anhaltenden Trockenheiten, aber auch Stürmen, die wir jetzt gefühlt jedenfalls häufiger erleben. Daß infolge extremer Stürme ganze Wälder einfach umfallen, ist sowohl für den Klimaschutz als auch für die anderen Waldfunktionen der Super-GAU. Unsere Strategie dagegen ist der Aufbau gemischter Wälder. Wir wollen strukturierte Wälder, die möglichst schon eine Vorausverjüngung haben, das heißt, wenn der Oberstand umfällt, tritt keine Pause ein, in der der Boden brachliegt, sondern der junge Wald kann gleich von unten nachwachsen.

Mit der Prognose ist es allerdings so eine Sache: Wird es jetzt wärmer, kälter, nasser oder was auch immer an einem bestimmten Ort? Ich glaube nicht, daß die Modelle so genau sein werden, daß wir schon jetzt sagen könnten, wie es hier in 50 Jahren aussieht. Bäume haben allerdings eine Perspektive von 100 bis 200 Jahren, so daß die einzige Möglichkeit darin besteht, daß wir Bäume, denen es unter den jetzigen Bedingungen gut geht, fördern und bei der Aufforstung vornean stellen oder bestenfalls mit jenen Sorten ergänzen, die aus anderen Regionen kommen und ebenfalls gut an die Situation angepaßt sind, weil sie auf eine Veränderung nicht so dramatisch reagieren werden wie jene, die schon jetzt am Limit leben.

SB: Herr Schölmerich, vielen Dank für das Gespräch.


Vor einer Bildpräsentation mit Waldansicht - Foto: © 2015 by Schattenblick

Podiumsdiskusison mit Uwe Schölmerich, Thomas Fatheuer, Thomas Brose
Foto: © 2015 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] Zu der Fachtagung sind bisher unter
INFOPOOL → UMWELT → REPORT
mit dem kategorischen Titel "Waldvorräte, Kolonien" erschienen:

BERICHT/102: Waldvorräte, Kolonien - Beutespiel mit Lebensraum ... (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrb0102.html

INTERVIEW/187: Waldvorräte, Kolonien - geben und nehmen ... Josien Aloema Tokoe im Gespräch (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0187.html

INTERVIEW/188: Waldvorräte, Kolonien - die letzten Wächter ... Thomas Fatheuer im Gespräch (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0188.html

INTERVIEW/189: Waldvorräte, Kolonien - den Teufel mit dem Beelzebub ... Joseph Ole Simel im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0189.html

8. Juli 2015


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