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INTERVIEW/198: Aus berufenem Mund - wir wollten viel mehr ...    Friedemann Ohms im Gespräch (SB)


Vorführung des Films "Unser gemeinsamer Widerstand" und anschließende Diskussion am 14. Januar 2016 im Altonaer Museum, Hamburg


Friedemann Ohms ist Mitglied der Bürgerinitiative "Altonaer Museum bleibt!", der es gelungen war, das Altonaer Museum in Hamburg-Altona vor dem Rotstift zu retten. Gemeinsam mit Bettina Beermann, Antje Kröger-Voss und Dieter Kröger hat der ehemalige Mitarbeiter der TAZ und heutige Sozialarbeiter den Film "Unser gemeinsamer Widerstand" über die Anti-AKW-Bewegung produziert. Nach der Filmvorführung am 14. Januar 2016 im Altonaer Museum hat Friedemann Ohms die Podiumsdiskussion mit Zuschauerbeteiligung geleitet. Am Rande der Veranstaltung stellte er sich dem Schattenblick für einige Fragen zur Verfügung.


Vor einem Museumsschiff stehend - Foto: © 2016 by Schattenblick

Friedemann Ohms
Foto: © 2016 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Friedemann, wie bist du zur Anti-AKW-Bewegung gekommen? Was war der Anlaß?

Friedemann Ohms (FO): Der Anlaß war ganz konkret der Baubeginn des Atomkraftwerks Brokdorf im Oktober 1976. Ich hatte einen Freund, der sich schon etwas länger in der Bewegung engagiert und mich immer gefragt hat, ob ich nicht in der BI mitmachen will. Und ich habe gesagt: "Wenn die wirklich anfangen zu bauen, dann mache ich mit!" Eines Abends im Oktober 1976 kam er zu mir und sagte: "Die haben jetzt angefangen. Da rollen die Lkws." Da bin ich dann in seinen Fiat 500 mit eingestiegen und dann sind wir in die Wilster Marsch gefahren und haben gesehen, daß die da als allererstes Stacheldraht, Drahtverhaue und Sicherungen angebracht und im Grunde dieses friedliche Wiesengelände am Deich in Brokdorf in einen Platz für ein Bürgerkriegsszenario verwandelt haben.

SB: War das denn absehbar, daß dagegen protestiert würde, oder waren die Proteste sogar eine Reaktion auf die massiven Sicherheitsmaßnahmen, die die Aufmerksamkeit verstärkt darauf lenkten?

FO: Also, die Proteste hatten ja schon sehr viel früher eingesetzt, schon einige Jahre vor '76. Ich weiß, daß es damals bei den Erörterungsterminen im Colosseum in Wilster bereits heftige Proteste gab. Auch an anderer Stelle wurde immer wieder auch Protest angemeldet, nicht zuletzt von den Landwirten aus der Umgebung. Und es war klar, daß, wenn tatsächlich der Bau gegen den klar erklärten Willen der Bevölkerung begonnen wird, ein Sturm der Empörung losbrechen würde. Man hat damals wirklich versucht, sich gegen den Willen nicht nur der örtlichen Bevölkerung fast militärisch durchzusetzen.

SB: Wie hast du diese historische Phase der Anti-AKW-Bewegung persönlich erlebt?

FO: Ich habe damals in Itzehoe gelebt. Mein Vater gehörte zu den Honorationen der Stadt, er war Direktor der örtlichen Filiale der Deutschen Bank. Man hat ja dann als junger Mensch nicht nur Konflikte mit dem Vater Staat, sondern auch mit seinem leiblichen Vater. Und so traf es sich dann, daß während einer Demonstration in der Itzehoer Innenstadt die Scheiben der Deutschen Bank zu Bruch gingen. Und die Polizei hatte dann keine bessere Idee, als mich dessen zu bezichtigen.

Man hatte schon vorher versucht, das Verhältnis zwischen mir und meinen Eltern zu untergraben, indem man bei meinen Eltern aufgetaucht ist und Bilder von mir auf Demonstrationen gezeigt hat. Ich bin dann irgendwann einmal bei einer Demonstration geschnappt und erkennungsdienstlich behandelt worden, und das haben sie dann meinen Eltern gezeigt unter der Fragestellung: "Ist das wirklich Ihr Sohn?" Man hat ihnen quasi in den Mund gelegt, sich von mir zu distanzieren.

SB: Würdest du das so einschätzen, daß das noch zur "normalen" Polizeiarbeit gehörte oder ging das bereits darüber hinaus?

FO: Also, eines war klar, in Brokdorf wurde versucht, ein ganz besonderes Klima zu schaffen. Und auch eine ganz besondere Gesetzesauslegung, um dieses Atomkraftwerk durchzusetzen. Es gab ja viele Brokdorfprozesse und es wurden in bisher kaum dagewesener Art und Weise Menschen vor Gericht gezerrt, die sich gegen das Atomkraftwerk Brokdorf positioniert hatten. Du mußt dir vorstellen, eine örtliche Bürgerinitiative wird mit dem Vorwurf der Bildung einer terroristischen Vereinigung belegt! Das hat es vorher noch nicht gegeben. Und auch dem bin ich ausgesetzt gewesen.

SB: Wie schätzt du die heutige Lage der Anti-AKW-Bewegung ein: Ist nicht alles bestens? Bundeskanzlerin Merkel hat den Atomausstieg beschlossen, die Atomkraftwerke werden abgeschaltet und vermutlich nicht wieder angeschaltet. Oder gäbe es heute noch einen Anlaß und Grund, den Widerstand gegen die Atomindustrie fortzusetzen?

FO: Zunächst einmal ist klar, daß die Welt voller Atomkraftwerke ist und auch neue gebaut werden. Es werden heute noch überall in der Welt Atomkraftwerke geplant und errichtet. Ich habe in späteren Jahren sehr viele Reisen nach Indien unternommen. Ich bin zweimal mit dem Fahrrad durch diese wunderbare Landschaft an der indischen Westküste gefahren und dabei durch die Gegend gekommen, in der heute der französische Staatskonzern Areva den Bau von Atomkraftwerken geplant hat. Dort, am Standort Jaitapur im indischen Bundesstaat Maharashtra, soll mit vier Blöcken das größte Atomkraftwerk der Welt entstehen - inmitten einer erdbebengefährdeten Zone und zudem in einem Biosphärenreservat! Da faßt man sich an den Kopf, was heute noch mit Atomkraft auch und gerade in diesen Ländern für Schindluder getrieben wird.

Aber auch bei uns sieht es nicht sehr viel besser aus. Die Konzerne, die weltweit Atomkraftwerke betreiben, finanzieren, verkaufen und bauen, sitzen hier in Europa, in der Europäischen Gemeinschaft. Und ich sage nur noch mal Areva - ein französischer Staatskonzern, der da ganz dickes Geld mit verdient und auch Betriebsstätten in der Bundesrepublik Deutschland unterhält.

SB: Würdest du sagen, daß du heute noch in der Anti-Akw-Bewegung engagiert bist? Hast du dich einer Organisation oder Initiative angeschlossen?

FO: Eigentlich war unsere ganze Bewegung, wie ich sie erlebt habe, über all die Jahrzehnte, immer von Freundschaft geprägt. Es ist nie so gewesen, daß man zu einer Organisation gegangen ist, sondern man hat sich mit Freunden untergehakt, um für das gemeinsam einzutreten, was man an Überzeugungen hat. Und das ist eine menschliche Gesellschaft, das ist ein Widerstand gegen Technokraten und Bürokraten, die im Grunde nichts anderes im Sinn haben, als das Geld immer in die Richtung des Großkapitals zu schaufeln. Und den armen Leuten nicht nur die Existenzgrundlage zu nehmen, sondern auch Gesundheit und Leben.

SB: Wie siehst du den Atomausstieg in Verbindung mit dem Kohleausstieg? Von den Umweltbewegungen werden ja Verknüpfungen gezogen - hältst du das für sinnvoll, den Kampf gegen Atom- und Kohleenergie gemeinsam zu führen?

FO: Ich will jetzt niemandem vorschreiben, wo er sich mehr oder wo er sich weniger zu engagieren hat. Aber ich halte es für sinnvoll, gegen beides anzutreten, sowohl gegen die Kohle als auch gegen den Betrieb von atomaren Anlagen in der Bundesrepublik. Weil wir ja inzwischen etliche Jahrzehnte weiter sind, und wenn wir in die Zukunft gucken, wissen wir, daß uns die Atomkraft- und auch die Kohlekraftwerke schaden werden, und daß die Zukunft ganz woanders liegt. In anderen Technologien. Dafür muß man sich einsetzen. Solange man an Braunkohle festhält, solange man an Atomkraft festhält, wird Energie produziert zum Schaden der Allgemeinheit. Deswegen muß man dagegen sein. In dem Augenblick, in dem Atomkraft und Kohlekraft aufhören, wird man sich verstärkt um erneuerbare Energien, um Sonne, um Wind und diese ganzen Dinge, die eigentlich heute modern sind, kümmern müssen. Das ist Fortschritt.

SB: Friedemann, vielen Dank für das Gespräch.


Bisher zur Filmvorführung "Unser gemeinsamer Widerstand" am 14. Januar 2016 im Altonaer Museum unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT erschienen:

INTERVIEW/197: Aus berufenem Mund - Anti-AKW, der Widerstand ...    Dieter Kröger im Gespräch (SB)
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri-197.html

25. Januar 2016


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