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INTERVIEW/217: Brokdorf, Memorial und Mahnung - wer A sagt ...    Dirk Seifert im Gespräch (SB)


30 Jahre Tschernobyl - Brokdorf abschalten

4. Protest- und Kulturmeile am Akw Brokdorf am 24. April 2016

Dirk Seifert über einen inkonsequenten Atomausstieg, Atomtransporte über den Hamburger Hafen und ein eklatantes neues Sicherheitsrisiko für Akws


Zum vierten Mal hat eine Reihe von Initiativen und Organisationen der Anti-Atom-Bewegung am 24. April 2016 vor den Toren des Akw Brokdorf eine Protest- und Kulturmeile veranstaltet. Musik, Redebeiträge und kleinere Aufführungen begleiteten die Forderung, das Atomkraftwerk sofort abzuschalten, damit es keinen weiteren Atommüll produziert und die Gefahr von radioaktiven Emissionen verringert wird. Die Moderation des Bühnenprogramms hatte Dirk Seifert übernommen. Mit der gebotenen Ernsthaftigkeit, die das Thema erfordert, mit Humor, der dabei nicht fehlen darf, und fast schon professioneller Gelassenheit, wenn es mal nicht nach Plan lief, führte der langjährige Anti-Atom-Aktivist und Betreiber mehrerer Websites durch das Programm.


Dirk Seifert am Mikrophon auf der Bühne - Foto: © 2016 by Schattenblick

Lockerere Moderation trotz des aprilligen Küstenschietwetters
Foto: © 2016 by Schattenblick

In den neunziger Jahren bis 2001 war Seifert als Energiereferent für verschiedene Abgeordnete der Bürgerschaft Hamburg tätig. Er hat eine Zeitlang als Redakteur für die Zeitung "ak - analyse + kritik" geschrieben und von Sommer 2007 bis August 2014 als Energiereferent bei der Umweltorganisation Robin Wood gearbeitet. Im September 2014 wurde er wissenschaftlicher Mitarbeiter für Atomausstieg des Bundestagsabgeordneten Hubertus Zdebel (Links-Fraktion).

Im Sommer 2014 hat sich Seifert dem BUND Hamburg angeschlossen. Seit Dezember 2014 ist er stellvertretender Sprecher des AK Atom und Strahlenschutz des BUND Deutschland und seit dem 21. März 2015 Mitglied im Landesvorstand des BUND Hamburg. Am Rande der 4. Protest- und Kulturmeile war er bereit, dem Schattenblick einige Fragen zu beantworten.

Schattenblick (SB): Vor rund zwei Jahren haben Umweltorganisationen darüber diskutiert, ob sie sich an der Endlagerkommission beteiligen sollen oder nicht. Inzwischen sind unter anderem der BUND und die Deutsche Umwelthilfe darin vertreten. Wie bewertest du die Entwicklung?

Dirk Seifert (DS): Ich bin seit einiger Zeit selber BUND-Mitglied in Hamburg, gehöre inzwischen auch zum Bundesarbeitskreis Atom- und Strahlenschutz, war aber zu dem Zeitpunkt, als die Entscheidung getroffen wurde, kein Mitglied des BUND. Ich war damals nicht der Meinung, daß man sich daran beteiligen sollte, würde inzwischen aber sagen, daß die Entscheidung seinerzeit gefallen war und nun Geschichte ist. Der BUND hat sich aufgrund einiger Entscheidungen der Bundesregierung in Sachen Gorleben bewegt, insofern auch seine Kritik geändert und sich dann doch an der Kommission beteiligt. Wir werden in den nächsten Wochen sehen, ob dieses Engagement irgend etwas mit der Kritik, die zu Recht an dem Standortauswahlgesetz formuliert worden ist, noch einmal maßgeblich ändern kann. In den nächsten Tagen werden alle Beteiligten, sowohl diejenigen, die in der Kommission versucht haben, etwas zu ändern, als auch diejenigen, die es kritisiert haben, sich an diesem Spiel zu beteiligen, die Entwicklung auswerten müssen und sehen, wie es weitergeht.

Es ist unstrittig, daß die Atommüllagerung eine der zentralsten Fragen ist, um die es heute geht. Terrorschutz, aber auch insgesamt Sicherheitsfragen eines atomaren Endlagers über einen Zeitraum von einer Million Jahre - da gibt es noch viel, was wir klären müssen. Somit war diese Positionierung selbst in gewisser Weise auch nur eine Episode.

SB: Bei den heutigen Vorträgen auf der Bühne wurde das Thema Atomtransporte durch den Hamburger Hafen angesprochen, deren Ende von SAND - Systemoppositionelle Atomkraft Nein Danke Gruppe Hamburg und anderen Gruppen gefordert wird. Medienberichten zufolge hat der Hamburger Hafen im letzten Jahr zehn Prozent weniger Umsatz gemacht. Schwinden dadurch die Chancen, beim Hamburger Senat in dieser Frage auf ein offenes Ohr zu stoßen?

DS: Nein, das glaube ich nicht. Man kann zwar sagen, daß die etwa 180 Atomtransporte pro Jahr in jedem Fall 180 zu viele sind. Doch halte ich den gesamtwirtschaftlichen Umfang dieses Materialtransports durch den Hamburger Hafen für verschwindend gering. Die Frage ist jedoch, ob Rot-Grün in Hamburg den freiwilligen Verzicht, den sie mit den Hafenunternehmen aushandeln will, tatsächlich angeht. Daran kann man sicherlich Zweifel haben, denn ein Jahr nach Rot-Grün in Hamburg ist in dieser Frage noch nichts geschehen. Da werden wir mit den Anti-Atom-Initiativen in den nächsten Wochen sicherlich noch einmal den Druck erhöhen.

SB: Finden denn die Anti-Atom-Initiativen überhaupt ein offenes Ohr beim Hamburger Senat?

DS: Das kann ich nicht beurteilen, ich sitze ja nicht in diesem Senat. Ich habe aber auch nicht das Gefühl, daß in dem Sinne Diskussionsangebote der Anti-Atom-Gruppen an den Senat gerichtet worden sind, sondern es wird ultimativ gefordert: Setzt das um, was im Koalitionsvertrag steht! Da muß man eigentlich gar nicht reden, da muß man etwas tun.

SB: Die Anti-Atom-Bewegung übt ebenfalls Kritik daran, daß der Atomausstieg Deutschlands unvollständig bleibt, solange nicht auch die Brennelementefabrik in Lingen und die Urananreicherungsanlage in Gronau ihre Arbeit einstellen. Ist das überhaupt ein Diskussionsthema innerhalb der Regierung?

DS: Inzwischen scheint es auch in der SPD angekommen zu sein, daß man hier möglicherweise eine Lücke im Atomausstieg gelassen hat. Ich höre aber noch nicht, daß es bei den Sozialdemokraten eine ernsthafte Tendenz gibt, in dieser Frage etwas wirklich massiv zu unternehmen. Vor vielen Jahren hat die rot-grüne Landesregierung in NRW mal einen Antrag geschrieben und gesagt, die Anlage in Gronau möge doch bitte auch stillgelegt werden. Da ist weder von der SPD noch von den Grünen in Nordrhein-Westfalen Druck zu verspüren! Nein, das ist eine ganz offene Baustelle mit schlimmen Folgen, weil aus Gronau, aber auch aus dem benachbarten Lingen ohne jede Befristung Brennelemente und Brennstoff für Atomkraftwerke überall in der Welt produziert werden. Auch zum Beispiel für die maroden Meiler entlang der deutsch-französischen und deutsch-belgischen Grenze. Ich halte es für unverantwortlich, was da läuft.

SB: Vor kurzem wurde bekannt, daß im Akw Philippsburg Kontrolluntersuchungen nicht durchgeführt, aber als erledigt abgehakt worden sind. Aus anderen Akws werden ebenfalls Unregelmäßigkeiten berichtet. Wie schätzt du das ein, läßt im Zuge der Abwicklung deutscher Atomkraftwerke die Sicherheitskultur nach?

DS: Das ist ein grundsätzliches Problem, das im Grunde schon seit dem ersten rot-grünen Ausstiegskonsens aus den Jahren 2001, 2002 mit dem Beschluß von Restlaufzeiten besteht. Die Zeit läuft ab und die Betreiber kalkulieren natürlich alle ihre Maßnahmen sehr eng. Was sie sparen können, sparen sie. Das ist schon ein ganz großes Problem, daß die Sicherheit tendenziell eher vernachlässigt wird. Leider erweist sich auch die Atomaufsicht viel zu häufig als willfährig.

SB: Der frühere Bundesumweltminister Jürgen Trittin, der den Atomausstieg mit ausgehandelt hatte, hat dafür von der Anti-Atom-Bewegung keinen großen Zuspruch erfahren, eben weil das Ergebnis auf eine Laufzeitverlängerung für die Akws hinauslief. Jetzt sitzt Jürgen Trittin als Co-Vorsitzender der Atom-Kommission erneut an einer Schnittstelle von Verhandlungen der Regierung mit der Industrie. Dabei geht es um die Übernahme der Kosten für den Akw-Rückbau. Wie schätzt du Trittins Rolle hierbei ein?

DS: Das ist eine sehr weitreichende Frage. Sagen wir es so: Trittin hat jetzt noch mal eine Chance, das zu lösen, was er während seiner Amtszeit als Minister leider überhaupt nicht geschafft hat. Schon damals zeichnete sich ab, daß die Rückstellungsregelung für den Atommüll überhaupt nicht tragfähig war. Das war eigentlich nur ein Konzept, wie man den Konzernen möglichst viel Geld überläßt, ohne daß sie im Gegenzug dafür etwas tun mußten.

Jetzt ist er Mitglied einer Kommission, die man an sich schon kritisieren muß, weil die Bundesregierung bestimmte Akteure, die in der Regel wirtschaftsnah sind, mit hineingenommen hat. Man wird sicherlich abwarten müssen, was dabei herauskommt, aber es steht zu befürchten, daß hier ein Kompromiß gefunden wird, der die grundsätzliche Verantwortung der Atomkonzerne begrenzen wird, wenn auch vermutlich zu Bedingungen, die diese nicht so angenehm finden werden. Da kommt nach 40 Jahren Atomenergie, in denen es immer einer der wesentlichen Punkte war, daß die Atomindustrie finanziell für die Folgen ihrer Stromproduktion geradestehen wird, sicherlich noch ein großer Hammer auf uns zu.

SB: Um Kosten zu sparen, greifen die Atomkonzerne gern auf Leiharbeiter und andere billigere Arbeitskräfte zurück, die unter Umständen nicht das fachlich gebotene Niveau haben. Kann auch das zu einer laxeren Sicherheitskultur beitragen?

DS: Ich würde Leiharbeitern kein grundsätzlich minderes Qualitätsprofil unterstellen. Das sind auch Leute, die in vielen Bereichen ihren Job gelernt haben. Daß sie tariflich unter fragwürdigen Bedingungen arbeiten, steht auf einem anderen Blatt. Wir haben aber ein neues Risiko, das in den letzten Monaten immer deutlicher wird und von dem Gesamtpersonal eines Atomkraftwerks ausgehen kann, Stichwort "Innentäter". Es besteht das Risiko, das von innen heraus möglicherweise Aktionen gegen die Sicherheit gestartet werden. Beispielsweise sind vor knapp zwei Jahren im belgischen Akw Doel gut 60.000 Liter Öl offenkundig durch einen Sabotageakt eines Innentäters ins Kraftwerk gelaufen. Die Ermittlungen dauern an. Bis heute ist unklar, wer der oder die Täter waren.

Der Vorfall markiert also ein elementares neues Problem. Die Stammbelegschaft eines Atomkraftwerks und bis zu weit über 1000 Beschäftigte, die aus der Peripherie dazukommen, bilden ein Sicherheitsrisiko. Es ist natürlich schwer, alle diese Menschen zu überprüfen. Umgekehrt hätte man Atomstaatsverhältnisse, wenn man sie so intensiv durchleuchten würde, daß sie im Grunde kein Privatleben mehr haben.

SB: Die belgischen Atomkraftwerke Doel und Tihange sind marode, unter anderem weisen die Druckbehälter zahlreiche Risse auf. Die Bundesbürger haben ein nachvollziehbares Interesse daran, daß die Meiler abgeschaltet werden. Wie sollte die Bundesregierung, der ja innerhalb Europas wegen der Handhabung der Schuldenkrise berechtigterweise der Ruf einer gewissen Überheblichkeit vorauseilt, damit umgehen? Inwiefern sollte sie versuchen, Einfluß auf die belgische Regierung zu nehmen?

DS: Das ist ein Grenzfall, nicht nur weil er an der Grenze spielt. Wir haben natürlich seit Jahrhunderten das Gebot, daß nationale Souveränitäten über das entscheiden, was innerhalb der staatlichen Territorien geschieht. Auch mit der Bildung der EU wurde das bisher nur in Teilbereichen Schritt für Schritt aufgehoben, der Prozeß läuft noch. Die Atompolitik unterliegt weitgehend der nationalen Souveränität.

Nun gibt es diesen Druck aus der Region, nicht nur seitens der Anti-Atom-Initiativen, sondern parteiübergreifend von CDU bis Linken; Bundestagsabgeordnete sind aktiv geworden und haben gefordert, das Akw Tihange stillzulegen; hoch engagierte Bürgermeister versuchen, auf rechtlichem Wege eine Schließung zu erreichen. Diesen Anliegen hat die Bundesregierung jetzt Ausdruck verliehen, indem Bundesumweltministerin Hendricks erklärt hat, daß die Kraftwerke aus ihrer Sicht so lange abgeschaltet werden müßten, bis neue Untersuchungen abgeschlossen sind.

Was die EU-Ebene betrifft, hat Deutschland natürlich ein gehöriges Wort mitzureden und kann den Druck erhöhen. Aber innerhalb der Union sind diejenigen Kräfte, die eher auf Pro-Atomkurs sind, noch sehr viel stärker. Einen unmittelbaren Zugriff auf die Anlagen wird es rechtlich nicht geben, sondern es muß politisch eine Situation erzeugt werden, in der die belgische Regierung unter Druck gerät und die Abschaltung der Anlagen verfügt.

SB: Vielen Dank, Dirk, für das Gespräch.


Anti-Akw-Fahne im Vordergrund, dahinter das Akw vor düsterem Himmel - Foto: © 2016 by Schattenblick

Akw Brokdorf - Die Anti-Atom-Bewegung fordert das sofortige Abschalten
Foto: © 2016 by Schattenblick

Bisher zur 4. Protest- und Kulturmeile im Schattenblick unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT erschienen:

BERICHT/114: Brokdorf, Memorial und Mahnung - ein dünner Faden ... (SB)
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0114.html


6. Mai 2016


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