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INTERVIEW/282: Meeressterben - wir wissen genug ...    Dr. Christiane Schelten und Dr. Paul Kähler im Gespräch (SB)



Der Sauerstoffgehalt ist seit über 100 Jahren für Meeresforscher eine wichtige Kenngröße der Wasserqualität, die über diesen historischen Zeitraum hinweg mit relativ gleichgebliebener Analytik immer wieder bestimmt wurde. Auf dieser Datengrundlage fußt eine umfassende Beobachtungsstudie Kieler Wissenschaftler, der zufolge die Weltmeere in den vergangenen 50 Jahren insgesamt zwei Prozent ihres globalen Sauerstoffgehalts verloren haben. [1] Das klingt nicht sehr gravierend, zumal sich das Gas in die Atmosphäre verflüchtigt und unsere Atemluft mit zwei Prozent frischer Meeresbrise zusätzlich bereichert. Da die Atmosphäre ohnehin 50 Prozent ihres Sauerstoffs aus dem Meer, bzw. durch die Produktion von Mikro- und Makroalgen, bezieht, scheint dies zunächst für Landlebewesen nicht bedrohlich. Doch was darüber hinaus "minus" zwei Prozent Sauerstoff für das Meer und die Meereslebewesen bedeuten, sagt dieser Wert nicht, selbst wenn man sich eine bessere Vorstellung darüber verschafft, um welche Menge an Sauerstoff es sich dabei genau handelt.


Ein Kranzwasserschöpfer wird vom Forschungsschiff METEOR aus zu Wasser gelassen. Für ihre Studie haben die Autoren hunderttausende historische und aktuelle Sauerstoffmessungen ausgewertet. - Foto: © 2017 Martin Visbeck, GEOMAR [1]

Hundertjährige Sauerstoffanalytik, leicht modifiziert, macht historische Daten mit heutigen vergleichbar.
Foto: © 2017 Martin Visbeck, GEOMAR [1]


Wieviel Sauerstoff sind zwei Prozent?

Die Lufthülle um unseren Planeten besteht zu 20,9 Prozent aus molekularem Sauerstoff (O₂). In dieser Form, aber in sehr viel geringerer Konzentration, kommt er auch in Gewässern gelöst vor. Die Hauptmasse des auf der Erde vorkommenden Sauerstoffs liegt allerdings an Wasserstoff gebunden als das bekannte H₂O (Wasser) vor. Um diese gewaltige Menge geht es im Folgenden aber nicht.

Ein vergleichbarer Prozentwert für den im Meer gelösten molekularen Sauerstoff findet sich nicht so einfach, weil die Konzentration des Sauerstoffs von der Temperatur des Wassers abhängt. [2] Bei 10°C Wassertemperatur können maximal 11,3 mg/l (Milligramm pro Liter) Sauerstoff gelöst sein; bei 20°C hingegen nur noch maximal 9,1 mg/l. Aquarium-Liebhaber wissen das, denn sie müssen mit der Heizung immer auch die Sauerstoffpumpe anstellen. Sogar der Salzgehalt spielt eine Rolle. Je salziger das Wasser ist, umso weniger Sauerstoff kann sich darin lösen. Der Sauerstoffsättigungsgehalt des Meerwassers wird daher bei ungefähr 85,7% angegeben. Das sind im Durchschnitt 7,6 mg/l. Nimmt man die 1370 Trillionen Liter Meerwasser der Weltmeere als Bezugsgröße, dann sind den Ökosystemen des Meeres bislang insgesamt 208,24 Milliarden Tonnen reiner Sauerstoff verlorengegangen bzw. 108,2 Billionen Liter Sauerstoff, der in 2,16 Billionen handelsüblichen Gasflaschen á 50 Liter Platz finden würde. Diese unvorstellbar große Menge entspricht aber wiederum nur dem Sauerstoffverbrauch der Weltbevölkerung für einen Monat.


Karte der Weltmeere, in der alle Veränderungen des in der Wassersäule gelösten Sauerstoffs erfaßt sind. - Grafik: GEOMAR [1] Karte der Weltmeere zeigt den mittleren Sauerstoffgehalt der Wassersäule: An den Polen bis zu 300 Micromol pro Liter, Nullzonen am Äquator. - Grafik: GEOMAR [1]

Für die Einschätzung der Veränderungen des marinen Sauerstoffbudgets bedarf es zahlreicher Faktoren.
Grafik: GEOMAR [1]

Nun kann diese einfache Kinderrechnung nur einen groben Vergleich bieten. Wie angedeutet, liegen im Meer sehr viel kompliziertere Verhältnisse vor, so daß eine umfassende Rechnung über den aktuellen Stand des Sauerstoffbudgets die unterschiedlichen Gegebenheiten berücksichtigen muß. Zum einen beinhalten tote Zonen mit warmem Wasser kaum Sauerstoff, setzen dafür aber unter entsprechenden Bedingungen allen vorhandenen komplett frei. Kalte, sauerstoffreiche Gebiete haben dagegen eine große Löslichkeit für den darin hoch konzentrierten Sauerstoff und halten diesen quasi gut und sicher unter Verschluß. Dazu kommen plötzlich auftretende Bereiche mit Sauerstoffarmut, deren Entstehung nicht vollständig geklärt ist und die nicht kalkulierbar sind. Und schließlich ist das Fortschreiten des Klimawandels eine ungewisse und noch unberechenbare Größe.

Was im Hinblick auf die Folgen zunächst als "Peanuts" abgetan wurde, erweist sich inzwischen als harte Nuß für die Wissenschaft. Würde das Meer im Zuge der globalen Erwärmung nach und nach sämtliche Sauerstoffreserven ausgasen, hätte dies nicht zuletzt deshalb gravierende Konsequenzen auch für das Leben auf den Kontinenten, weil mit den sterbenden Ökosystemen auch eine wichtige Sauerstoffquelle der Atmosphäre versiegen könnte.

Der umfassenden Problematik widmet sich seit elf Jahren der Sonderforschungsbereich SFB 754, [3] der vor kurzem seine letzte Expedition erfolgreich beendete und 2019 auslaufen soll. Unter dem Titel "Klima-Biogeochemische Wechselwirkungen im Tropischen Ozean" stand in 18 wissenschaftlichen, interdisziplinären Teilprojekten insbesondere die Untersuchung von sauerstoffarmen Regionen in den Weltozeanen im Mittelpunkt des an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel angesiedelten Projekts. Im Rahmen einer großen internationalen Konferenz, zu der vom 3. bis 7. September mehr als 300 Forschende aus 33 Ländern nach Kiel gekommen waren, stellten die führenden Wissenschaftler ihre bisherigen Ergebnisse zur Diskussion und gaben am Ende eine gemeinsame "Kiel Deklaration heraus". [4]

Um Daten aus der Vergangenheit und Gegenwart zu sammeln, zu beurteilen und ihre Erkenntnisse in die Zukunft zu projizieren, bedarf es mehr denkende Köpfe und fleißige Hände von wissenschaftlichen Mitarbeitern und Organisatoren als in den aufsehenerregenden Studien, die in Fachmagazinen wie Nature, Science oder PNAS veröffentlicht werden, namentlich zu finden sind. Mit zweien davon, der wissenschaftlichen Koordinatorin des SFB 754, Dr. Christiane Schelten, und einem der zahllosen Wissenschaftler, die unverzichtbar für das Gesamtprojekt sind, Dr. Paul Kähler, sprach der Schattenblick am 5. September, dem dritten Tag der Konferenz, vor der öffentlichen Veranstaltung "Geht dem Ozean die Luft aus?". Zu einer allgemein verständlichen Zusammenfassung des derzeitigen Forschungsstands und um sich von Fragen löchern zu lassen, hatte das Organisationsteam Schulklassen und andere interessierte Nichtwissenschaftler eingeladen.


Die Koordinatorin des SFG 754 präsentiert den umfangreichen, gebundenen DIN A4-Katalog. - Foto: © 2018 by Schattenblick

Dr. Christiane Schelten und der Antrag der dritten Phase des SFB 754-Projekts, das 2019 endet.
Für die abschließende Projektphase mit u.a. sechs Expeditionen im Pazifik und zwei im tropischen Atlantik wurden weitere Fördergelder bewilligt.
Foto: © 2018 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Frau Dr. Schelten, Sie sind am SFB 754 als Wissenschaftliche Koordinatorin beschäftigt, Sie sind aber auch Meeresbiologin. Wie würden Sie ihre Tätigkeit am GEOMAR Helmholtz-Zentrum beschreiben?

Dr. Christiane Schelten (CS): Ich unterstütze den Sprecher des Sonderforschungsbereichs in der Koordinierung des Projekts.

SB: Wie ist dieser Sonderforschungsbereich geschaffen worden?

CS: Vielleicht sollte ich zunächst einmal erklären, daß ein Sonderforschungsbereich immer eine Förderlinie der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ist. Dort kann man sich bewerben, aber nur als Forschungsverbund mit einer Universität. Das war in diesem Fall die Universität Kiel. Das GEOMAR, damals noch IfM (Institut für Meereskunde), hätte dies ebensowenig als Leibniz Institut alleine geschafft wie heute als Helmholtz-Zentrum. Die Schirmherrschaft einer Universität muß gewährleistet sein. Nach der Bewerbung wird das Projekt evaluiert und gegebenenfalls genehmigt.

SB: Haben Sie das Thema vorgeschlagen?

CS: Das wäre zu einfach. Einen SFB zu beantragen ist ein sehr langer Prozeß. Ich habe einmal den Antrag der dritten Phase mitgebracht. Man kann einen Sonderforschungsbereich dreimal, jeweils für vier Jahre beantragen. Nach jeder Phase wird das Projekt evaluiert und man kann - wenn das erfolgreich ist - die nächste Phase beantragen. Auf diese Weise kann ein Sonderforschungsbereich insgesamt 12 Jahre bestehen. Wir sind schon im elften Jahr. Das heißt, Ende nächsten Jahres läuft dieses Projekt aus und geht dann auch nicht mehr weiter. So ein Thema bereitet man ungefähr zwei bis drei Jahre vor. Dafür braucht man zunächst eine Idee, die aus der Wissenschaft kommen muß. Das ist nicht Aufgabe eines Koordinators. Der hat vor allem die Funktion, die Wissenschaftler zusammenzubringen und den interdisziplinären Austausch untereinander zu unterstützen. Der SFB 754 besteht aus verschiedenen Teilprojekten, die jeweils von sogenannten Teilprojektleitern geführt werden, die alle Experten auf ihrem Gebiet sind. Wir haben Modellierer, Physiker, Ozeanographen, Meeresbiologen oder auch Paläontologen, die wir zusammenführen müssen. Das ist eine meiner Aufgaben.

SB: Warum beziehen Sie sich im Titel des Projekts: "Klima-Biogeochemische Wechselwirkungen im Tropischen Ozean" ausschließlich auf den tropischen Ozean?

CS: Wir haben uns auf diesen Bereich zunächst konzentriert, weil hier schon Daten vorlagen. Man braucht zunächst eine Case-Study und von da aus kann man dann weitermachen. Der andere Grund ist natürlich, daß an den östlichen Rändern des Pazifiks, im Bereich der Kapverdischen Inseln im Atlantik oder auch im Arabischen Meer sehr viel in den Sauerstoffminimumzonen passiert. Auf diese Weise gewinnt man Ausgangsbasen für den Vergleich zwischen Pazifik und Atlantik. Wir haben es in den elf Jahren tatsächlich geschafft, dreißig Expeditionen durchzuführen und dabei immer wieder die gleichen Abschnitte zu untersuchen, so daß man eine fast lückenlose Dokumentation über 10 Jahre erhält und relevante Änderungen sofort feststellen kann. Zudem haben wir versucht, möglichst Abschnitte zu befahren, von denen bereits historische Daten von vor vielleicht 20 bis 25 Jahren vorliegen. Auf diese Weise konnten im letzten Jahr die Ozeanographen Dr. Lothar Stramma, Dr. Sunke Schmidtko und Prof. Dr. Martin Visbeck vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel eine Studie in dem renommierten Wissenschaftsjournal Nature veröffentlichen, in der sie nachweisen, daß der marine Sauerstoffgehalt in den vergangenen 50 Jahren um mehr als zwei Prozent abgenommen hat. [1] Solche Ergebnisse lassen sich nur durch kontinuierliche Meßreihen erzielen. Das bekommt man nicht hin, wenn man nur ein bißchen in allen möglichen Richtungen forscht.

SB: Was genau bezeichnen Sie mit Abschnitten? Sind damit Meeresbereiche gemeint?

CS: Die Forscher nennen sie auch Fahrtenabschnitte. Mit Hilfe von GPS können Sie jeder Zeit Ihre Position mit Hilfe von Längengrad und Breitengrad bestimmen und dann steuert man auf der nächsten Fahrt wieder die gleichen Punkte mit dem Schiff an. Über GPS können Sie dann wieder genau kontrollieren, ob Sie die gleiche Stelle erreicht haben, an der Sie letztes Jahr Proben genommen haben. Und genau dort werden dann weitere Proben entnommen.

SB: Sind Sie abgesehen vom Gesamtprojekt auch mit der Koordination der einzelnen Fahrten und wissenschaftlichen Unternehmungen betraut? Müssen Sie dafür sorgen, daß die Experimente von all jenen Wissenschaftlern, die Daten von einem bestimmten Abschnitt benötigen, auch an Bord sind, und die Route festlegen, wenn eine neue Expedition in diesen Meeresbereich unterwegs ist?

CS: Mein Job ist vor allem, darauf zu achten, daß die zwei bis drei Millionen Euro, mit denen das Projekt gefördert wird, richtig aufgeteilt werden. Daß die notwendigen Fachkräfte eingestellt werden, daß die Kommunikation zu dem Geldgeber klappt, daß wir uns an die Regularien halten, daß wir die Presse mit Informationen versorgen, Veranstaltungen, Schulprojekte und Öffentlichkeitsarbeit im Rahmen des Projekts stattfinden, gehört außerdem zu meinem Aufgabenbereich. Bei derart großen Projekten achtet auch der Geldgeber auf Gleichstellungsaufgaben. Wir müssen nachweisen können, daß sich an den beteiligten Strukturen, das heißt am GEOMAR und an der Uni etwas bewegt. Darüber hinaus ist die Förderung von Nachwuchswissenschaftlern ein großes Thema.

Dr. Paul Kähler (PK): Auch die außergewöhnlich gute Organisation dieser Konferenz, geht vor allem auf Frau Schelten zurück, von der Organisation des Programms, über die Kaffeepausen und Rückzugsmöglichkeiten, um sich mit Kollegen auszutauschen, bis hin zu den wunderbaren Kugelschreibern, die für die Teilnehmer zur Verfügung gestellt wurden.

SB: Wann ist man eigentlich darauf gekommen, daß man dem Sauerstoffgehalt im Meer größere Aufmerksamkeit schenken sollte?

CS: Die DFG hat 2008 damit begonnen, dieses Projekt zu unterstützen. Es war eins der ersten größeren Projekte, welches das Thema Sauerstoffverlust im Meer thematisiert hat.

PK: Man weiß noch nicht sehr lange, daß der Sauerstoff im Meer insgesamt abnimmt.

CS: Die Abnahme des Sauerstoffs ist auch nicht das Hauptthema. Es gibt seit langem natürliche Gebiete, in denen Sauerstoff nur in sehr geringen Konzentrationen oder gar nicht vorkommt. Das liegt an den Unterwasserströmungen, die nährstoffreiches Wasser an die Oberfläche bringen. Da ist Licht und Leben, mit deren Hilfe die organischen Stoffe zersetzt werden können. Und Zersetzungsprozesse verbrauchen viel Sauerstoff, so daß anschließend die anoxischen Zonen entstehen. Diese erstrecken sich über Bereiche von mehreren hundert Kilometern, die sich 50 bis 100 Meter unter der Oberfläche befinden und bis in eine Wassertiefe von 500 Meter Tiefe reichen können. In diesen sogenannten Sauerstoffminimumzonen (SMZ) gibt es tatsächlich kaum Fische. Fische brauchen Sauerstoff und meiden diese Zonen. Das Hauptanliegen des SFB 754 ist von Anfang an die Frage gewesen, ob und wie sich diese SMZ infolge der Klimaerwärmung verändern. Tatsächlich dehnen sich diese Zonen immer weiter aus. Und so interessiert uns heute, was da genau passiert und welche Prozesse dabei stattfinden.

SB: Kann man sagen, daß diese sogenannten Todeszonen bis jetzt relativ stabil geblieben sind?


Zahlreiche Faktoren - darunter die Temperatur des Oberflächenwassers, Strömungen, Wirbel, biogeochemische Prozesse - beeinflussen die Menge des Sauerstoffs in den Ozeanen. - Grafik: Rita Erven/GEOMAR [5]

Stabile Sauerstoffkreisläufe gibt es nicht. Die Todeszonen dehnen sich zunehmend aus.
Bislang können Computermodelle der Ozeane und des Erdsystems diesen Trend nicht analog zu den Messungen abbilden und unterschätzen den Sauerstoffverlust der Meere.
Grafik: Rita Erven/GEOMAR [5]

PK: Zumindest hat man das zum Zeitpunkt der Antragstellung angenommen. Man vermutete aber, daß sie möglicherweise größer werden würden. Der Ozean wird über die kalten Zonen ständig neu belüftet. In den Bereichen, in denen das Wasser eiskalt ist, löst sich viel Sauerstoff. Dieses Wasser wird schwer und sinkt bis tief auf den Grund. Von dort wird es mit den Ozeanströmungen in andere Bereiche transportiert. Dennoch ergibt sich im Gesamtbild, daß die anoxischen Zonen schlecht belüftet werden. Sie verbrauchen mehr O₂ als nachgeliefert werden kann. Ob das schon in der Vergangenheit angefangen hat, muß man jetzt erst noch herausfinden. [6]

SB: Das weiß man also gar nicht? Bilden denn die Sedimentablagerungen das nicht ab?

CS: Tatsächlich haben unsere Paläontologen bei der Analyse ihrer Sedimentkerne herausgefunden, daß es in der Kreidezeit bereits ein anoxisches Event gegeben haben muß.

PK: Es gab damals überhaupt keinen Sauerstoff im Ozean.

CS: Das heißt, erst nach dieser Zeit kam der Sauerstoff wieder ins Meer zurück. Die Forscher versuchen nun weitere Anhaltspunkte in der Vergangenheit zu finden, wie sich der Sauerstoffgehalt im Meer regenerieren konnte und wie schnell sich solche Prozesse verbreiten. Daraus können wir dann vielleicht Prognosen für die Zukunft erstellen.

PK: Da diese Forschungsarbeit ins Gesamtkonzept paßte, sind die Paläontologen auch in den Sonderforschungsbereich integriert worden.

SB: Wie läßt sich die anoxische Phase damals in der Kreidezeit mit heute vergleichen? Welche Meereslebewesen gab es? Lebten damals schon Fische oder vielleicht andere Meereslebewesen, zum Beispiel Kalkbildner?

CS: Es gab Foraminiferen aber noch keine Fische.

PK: Es gab überhaupt keine Wirbeltiere.

SB: Also hat man eigentlich keinen richtigen Vergleich, keine Analogie zu heute, wenn man wissen will, was unter ähnlich sauerstoffarmen Verhältnissen mit Fischen passieren würde?

CS: Das weiß man heute schon. In den anoxischen Zonen findet man keine Fische. Es gibt eine Schwelle für die Konzentration an Sauerstoff im Wasser. Wird die unterschritten, dann reicht der Sauerstoffdruck nicht mehr für die Kiemenatmung.

SB: Kann man in den nährstoffreichen Aufquellgebieten bereits einen Rückgang von Fischen aufgrund des Sauerstoffmangels erkennen? Und welche Regionen sind davon schon betroffen?

PK: Aufquellgebiete sind hochproduktiv. Im Falle von Peru muß man sogar von einem Fischüberschuß sprechen. Aber wenn die Fische zu produktiv werden, kann das System kippen. Ob dieser Fall inzwischen häufiger als früher auftritt, gehört zu den vielen, noch ungeklärten Fragen, die noch zu beantworten sind. Dazu müßte man diese Prozesse weiter beobachten.

SB: Kann man schon erklären, was diese Kippvorgänge auslöst?

PK: Man erklärt es damit, daß plötzlich warmes Wasser in Bereiche eintritt, in denen sonst kaltes Wasser ist. Das warme Wasser deckelt dann den Bereich so ab, daß kein Sauerstoff in das tiefere Wasser kommen kann. Anschließend sterben die Fische.

SB: Ist das noch etwas anderes als die El Niño Ereignisse, bei denen ganz ähnliche Phänomene beschrieben werden?

CS: El Niño Ereignisse haben durchaus damit zu tun. Fische brauchen Sauerstoff und Nährstoffe zum Leben. Kippungen finden statt, sobald nährstoffreiches Wasser hochkommt und die Nährstoffe Sauerstoff aufzehren. Wenn dieses Wasser dann durch ungünstige Wind- und Strömungsverhältnisse bleibt, dann gibt es dort für die Fischpopulationen, die sich vor allem im Oberflächenwasser aufhalten, weil der Sauerstoff in den Schichten darunter zu gering ist, keine Lebensbedingungen mehr.

PK: Zudem werden sich mit steigenden Temperaturen durch den Klimawandel die Strömungen und auch die Wasserdichte erheblich verändern. Die Windströmungen ändern sich. All das kann sich auch auf die Sauerstoffkonzentration auswirken.

SB: Sie sprachen gerade von einer anoxischen Phase in der Kreidezeit. Was gibt den Forschern die Sicherheit, daß in diesem Zeitraum tatsächlich gar kein Sauerstoff im Meer existiert hat?

CS: Man kann schon anhand von Sedimentbohrkernen, die 50 bis 60 Meter tief aus dem Meeresboden herausgeholt werden, Ablagerungen aus der Kreidezeit erkennen. Mithilfe dieser Schichten können Isotopenanalysen vorgenommen werden, mit denen die darin enthaltenen Mineralien bestimmt und zeitlich zugeordnet werden können. Aber vieles läßt sich bereits aus der Farbe des Sediments erkennen. Dunkle Streifen deuten auf Sulfid hin und wo Sulfid ist, wird wenig Sauerstoff zu finden sein. Allerdings gibt es auch helle Zonen, in denen kein Sauerstoff vorkommt.

SB: Sie haben eine viertägige Konferenz über den "klimawandelbedingten Sauerstoffschwund im Meer" organisiert. War dies die erste große internationale Konferenz zu diesem Schwerpunkt? Bisher ist meines Erachtens noch nicht viel über diese spezielle Problematik berichtet worden.

CS: Doch, in den letzten 10 Jahren hat es etwa zwei bis drei Konferenzen dieser Art gegeben, beispielsweise in Liége [7]. Die gleichen Wissenschaftler, die sich damals zusammengefunden hatten, werden Sie auch hier vor Ort finden. Dieses Jahr ist eine neue UNESCO Organisation dazugekommen, die sich GO2NE (Globle Ocean Oxygen NEtwork) nennt. [8] Sie will sich vor allem darum bemühen, das grundlegende Problem, das mindestens so relevant ist wie die Versauerung der Meere, einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

SB: Beeinflußt die Abnahme der Sauerstoffkonzentration in irgendeiner Weise die Versauerungsvorgänge? Ändert sich dadurch der pH-Wert oder gibt es andere Wechselwirkungen zwischen den beiden Prozessen?

PK: Das Bindeglied von beiden Prozessen ist der Klimawandel. Der Impuls für die Veränderung der Temperatur und des pH-Werts geht von der zunehmenden CO₂-Sättigung im Meer aus. Die Versauerung beruht auf einem zunehmenden Eintrag von CO₂ ins Meer. Doch die Erwärmung der Meeresoberfläche, die mit der globalen Klimaveränderung einhergeht, wirkt sich natürlich auch darauf aus, daß Sauerstoff aus dem Meer ausgast. Weil das miteinander zusammenhängt, können die Meereswissenschaftler auch so schnell von einem Forschungsthema auf andere -projekte umschwenken. Viele stellen fest, daß sie eigentlich schon immer an der gleichen Sache gearbeitet haben.

CS: Viele Wissenschaftler, etwa Ulf Riebesell und Andreas Oschlies vom GEOMAR, sind zudem in beiden Themenbereichen sehr stark engagiert. [6] Allerdings möchte ich ergänzend hinzufügen, daß Gebiete, in denen der Sauerstoff fehlt, auch gleichzeitig einen niedrigen pH-Wert haben. Sie sind saurer als sauerstoffreichere Zonen.

PK: Da beispielsweise für Korallenriffe der Sauerstoffverlust nicht so gravierend ist wie das Versauerungsproblem, wird die Sauerstoffkonzentration seltener erwähnt.

SB: Kann man die Ursache des generellen Sauerstoffverlusts in allen Ozeanen schon genau bestimmen oder gibt es noch ungeklärte Aspekte? Muß man vielleicht - ähnlich wie beim Klimawandel - damit rechnen, daß sich die bisherigen Erkenntnisse nur als Gipfel des Eisberges erweisen?

PK: Sicher hatte man in der Vergangenheit einige Zweifel und offene Fragen diesbezüglich. Inzwischen sind die Ursachen komplett erforscht: Zum einen gibt es den O₂-Verlust durch die Erwärmung des Meerwassers, weil warmes Wasser weniger Gase aufnehmen kann. Zweitens kommt die erhöhte Primärproduktion dazu, die auf den Boden absinkt. Und schließlich die Veränderung der Meeresphysik, das heißt die Strömungen und das Tiefenwasser. Wobei letzteres die Dominante bildet. Viele Biologen haben sich gewünscht, daß der Primärproduktion der größte Einfluß auf den Sauerstoffgehalt im Meer zukommt. Photosynthese produziert Sauerstoff. Respiration verbraucht ihn. Man hat lange geglaubt, daß dies die wesentlichen Stellgrößen für den Sauerstoffgehalt der Meere ist. Viel bedeutender ist aber die Erneuerung des Tiefenwassers.

SB: Vor kurzem ist eine Studie in PNAS erschienen, an der auch das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung beteiligt war. [9]. Darin wird vor einer unweigerlich eintretenden "Heißzeit" gewarnt, wenn die Erde sich weiter wie bisher erwärmt. Was wird mit den Ozeanen und ihrer Sauerstoffsättigung geschehen, wenn eine solche globale Heißzeit kommen sollte und die globale Durchschnittstemperatur 4 bis 5 Grad höher steigt? Gibt es dazu bereits Prognosen oder Modelle?

PK: Wenn man die bekannten Daten für die Zukunft extrapoliert, würde bei steigenden Temperaturen von 1,5 bis 9 Grad der Ozean zunächst sehr viel Sauerstoff verlieren. Dann in etwa 8.000 Jahren würde er sich wieder regenerieren. Ob uns das noch interessiert, ist eine zweite Frage. Die Verhältnisse werden aber bleiben. Das kälteste Wasser ist in einem wärmeren Ozean wärmer als heute. Es werden aber an den Polen die Kaltwasserzonen immer bestehen bleiben. Es wird dort nur ein paar Grade wärmer sein, aber immer noch absinken und gelösten Sauerstoff zum Äquator transportieren. Die Produktion wird sich ändern, weil Stickstoffgehalt ebenso wie der Sauerstoffgehalt in den anoxischen Zonen abnehmen wird. Es wird also neben einer Deoxygenisierung auch eine Denitrifizierung geben. Das alles läßt sich bedenken und berechnen. Doch wem sollte es helfen, daß sich der Sauerstoffgehalt des Ozeans in 8.000 Jahren noch einigermaßen regenerieren wird, wenn die ganze Welt im Eimer ist?

SB: Verstehe ich das richtig, daß der Sauerstoff den Meeren nicht komplett verloren gehen kann? Es gibt keine neue Anoxie wie in der Kreidezeit mehr?

PK: Richtig! Vor dem Hintergrund an Wissen, das wir gesammelt haben, wird es zu keiner weiteren Anoxie kommen. Darum ist es ja auch so schwer, diese alte anoxische Zeit zu erklären. Natürlich gibt es immer noch viele offene Fragen. Aber im Verlauf der letzten elf Jahre wurden schon große Fortschritte gemacht.

SB: Frau Dr. Schelten und Herr Dr. Kähler, vielen Dank für das Gespräch!


Blick auf rund 100 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Bereichen Ozeanographie, Physik, Biologie, Chemie, Biogeochemie, Paläontologie, Geologie, Meteorologie und Klimamodellierung an der Kieler Förde - Foto Rita Erven/CAU

Die Vielzahl an Köpfen und Disziplinen zusammenbringen.
Der international einmalige Sonderforschungsbereich 754 in seiner interdisziplinären fachlichen Breite.
Foto: Rita Erven/CAU


Anmerkungen:


[1] https://www.nature.com/articles/nature21399 und
https://www.geomar.de/news/article/weniger-sauerstoff-in-allen-meeren/

[2] https://www.lenntech.de/pse/wasser/sauerstoff/sauerstoff-und-wasser.htm

[3] http://www.uni-kiel.de/pressemeldungen/index.php?pmid=2015-430-sfb-754

[4] https://www.ocean-oxygen.org/declaration:jsessionid=B0E6FCF2FF61BDF31805AE89C208F914

[5] https://www.geomar.de/news/article/weitere-ursachen-von-sauerstoffverlust-der-ozeane-identifiziert/

[6] mehr dazu finden Sie hier:
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0281.html

[7] Die jährlich stattfindende Konferenz "46th International Liége Colloquium on Ocean Dynamics" im Mai 2014 hatte das Thema: "Low oxygen environments in marine, estuarine and fresh Waters." Es war das vorletzte Liége-Colloquium im Rahmen des "International Geosphere-Biosphere Programme (IGBP)", das 2015 auslief. Weitere Kolloquien finden in Liége jedes Jahr unter verschiedenen Schirmherrschaften und zu unterschiedlichen Schwerpunkten statt.

[8] Global Ocean Oxygen Network
http://www.unesco.org/new/en/natural-sciences/ioc-oceans/focus-areas/the-ocean-in-cop21/ocean-and-climate-platform/

[9] https://www.pik-potsdam.de/aktuelles/pressemitteilungen/auf-dem-weg-in-die-heisszeit-planet-koennte-kritische-schwelle-ueberschreiten
und
http://www.pnas.org/content/early/2018/07/31/1810141115


Bisher im Schattenblick zu der Veranstaltung "Geht dem Ozean die Luft aus?" am 5. September 2018 in Kiel unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT erschienen:

BERICHT/144: Meeressterben - Mangelzonen wachsen an ... (SB)
INTERVIEW/281: Meeressterben - Die Größe eines Kontinents ...    Prof. Dr. Andreas Oschlies im Gespräch (SB)


12. September 2018


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