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INTERVIEW/286: Klimawandel - Überlebensnot und Nahrungsmangel ...    Sabine Minninger im Gespräch (SB)



Nebeneinander sitzend, Minninger referiert - Foto: © 2018 by Schattenblick

Berichte von klimawandelbetroffenen Menschen des Globalen Südens
Von links: Sven Harmeling (CARE), Sabine Minninger (Brot für die Welt), Olivia Serdeczny (Climate Analytics), Prof. Dr. Daniela Jacob (GERICS), Philip Knill (BMZ) Foto: © 2018 by Schattenblick

Im Mittelmeer ertrinken jedes Jahr mehrere tausend Menschen auf dem Weg von Afrika nach Europa; die US-Regierung läßt zur Zeit 15.000 Soldaten an der Grenze zu Mexiko aufmarschieren, weil mehrere tausend Menschen von Guatemala kommend Mexiko durchqueren und Nordamerika erreichen wollen; die australische Regierung läßt keine Flüchtlinge an Land und finanziert Elendslager für Flüchtlinge in Papua-Neuguinea und auf Nauru; und so weiter.

Die relativ wohlhabenden Regionen der Welt schotten sich gegenüber notleidenden Menschen ab. Doch niemand verläßt freiwillig seine Heimat. Wenn soziale Konflikte das Leben zur Hölle machen, Überschwemmungen oder Dürren die Ernten vernichten und massive Mangelsituationen geschaffen werden, dann brechen Menschen selbstverständlich auf, um ihr Leben und das ihrer Nächsten zu retten. Aus dem "Sonderbericht 1.5", der am 8. Oktober 2018 vom Weltklimarat IPCC in der südkoreanischen Stadt Incheon vorgestellt wurde, geht hervor, daß die Zahl der Menschen, die aufgrund des Klimawandels ihre Heimat verlieren, zunehmen wird, und davon werden um so mehr betroffen sein, wenn lediglich das Mindestziel des Übereinkommens von Paris erfüllt wird, nicht aber das Wunschziel. Das besagt, daß die globale Erwärmung nicht um zwei Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit steigen sollte, sondern möglichst nur um 1,5 Grad.

Für die Menschen des Inselstaats Tuvalu im Pazifik sind selbst 1,5 Grad kein sicheres Ziel, sondern "lebensbedrohlich", berichtete Sabine Minninger, Klimareferentin von Brot für die Welt, auf der Konferenz "Jedes Zehntelgrad zählt". Diese war von der Klima-Allianz Deutschland und VENRO - Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe am 23. Oktober 2018 in Berlin zu jenem IPCC-Sondergutachten organisiert worden. Sie sei 2016 auf Tuvalu gewesen, und da habe man sich noch nicht mit dem Gedanken anfreunden wollen, die Atolle zu verlassen. Doch als sie im Juli 2018 erneut dorthin gereist sei, hätten sich die Bewohnerinnen und Bewohner der äußeren Atolle bereits mit ihrer Regierung beraten, wie eine Umsiedlung gestaltet werden kann.

Minninger lehnt es ab, die Menschen als Klima"flüchtlinge" zu bezeichnen, denn die Genfer Flüchtlingskonvention habe Klimawandel nicht als Fluchtursache anerkannt. "Das wollen wir dort auch gar nicht verankern", sagte sie. Flüchtlinge seien durch die Genfer Konvention jetzt schon nicht geschützt, deshalb wolle man sich daran gar nicht erst anschließen. Man müsse versuchen, einen Schutzstatus außerhalb dessen aufzubauen.

Im Anschluß an ein Forum, zu dem Minninger als Referentin geladen war, ergab sich für den Schattenblick die Gelegenheit für einige Nachfragen.


Ca. 2,80 m hoher schwarzer Quader, auf dem sechs hagere, graue, in farbige Tücher gehüllte Figuren stehen - Foto: © 2017 by Schattenblick

Bonn, Rheinaue, im Dezember 2017. Der dänische Künstler Jens Galschlot erinnert anläßlich der Weltklimakonferenz COP23 an die Menschen, die in Folge der globalen Erwärmung heimatlos werden.
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Sie sprachen davon, daß die Menschen, die vom Klimawandel besonders betroffen sind, beispielsweise die Bevölkerung der flachen Inselstaaten, einen Schutzstatus benötigen. Wie könnte der aussehen?

Sabine Minninger (SM): Einen Schutzstatus brauchen alle Menschen, die vom Klimawandel vertrieben werden, ihre Heimat verlieren und entweder innerhalb der eigenen Landesgrenzen oder über Staatsgrenzen hinaus migrieren müssen. Letzteres würde dann vom Status her besonders kompliziert. Doch die Menschen müssen einfach geschützt sein. Wie dieser Schutzstatus aussieht, das kann man noch diskutieren. Aber de facto muß das Thema jetzt mal von der Politik angegangen werden, denn so weit sind wir einfach noch nicht. Es wird bis jetzt nur in kleinen Arbeitsgruppen im Rahmen der Weltklimaverhandlungen darüber diskutiert und es werden zur Zeit Empfehlungen zusammengetragen, wie ein Schutzstatus aussehen könnte. Aber bis jetzt geht das noch nicht so weit, daß wir schon über Völkerrecht reden. Wenn Menschen, die ihre Heimat verlieren, rechtlich geschützt werden, um Katastrophen abzuwehren, dann betrifft das die Menschenrechte, Landrechte, das Völkerrecht. Darüber wird diskutiert, doch steckt das alles noch in den Kinderschuhen. Hier muß noch sehr viel passieren.

Der Klimawandel läuft bereits, heute schon werden Menschen in die Flucht getrieben. Und diese Menschen haben überhaupt keine Ansprüche, rechtlich geschützt zu sein - weder auf der Flucht noch dort, wo sie hingehen.

SB: Schutz gegen die globale Erwärmung hat viele Facetten. Sie sprachen die Einführung einer Kohlenstoffsteuer an, um darüber die CO₂-Emissionen zu verringern. Würde eine solche Steuer nicht wiederum die Reichen begünstigen, da sie sich die Abgaben leisten können? Müßten dann nicht die Armen für etwas bezahlen, was durch den Lebensstil der Reichen des Globalen Nordens oder aber der wohlhabenden Eliten innerhalb des Globalen Südens angerichtet wurde?

SM: So wurde das 20 Jahre lang in den Weltklimaverhandlungen diskutiert, weil man der Meinung war, daß nur die reichen Staaten CO₂ emittieren. Es stimmt, das war jahrelang der Fall. Aber mittlerweile sind unter den Hauptemittenten China und Indien, die ebenso in ganz hohem Maße CO₂ emittieren.

Kommen wir wieder zurück zu den Gerechtigkeitsfragen. Hier hat das Paris-Abkommen die Wand zwischen Nord und Süd aufgebrochen. Man kann nicht sagen, daß Rumänien die gleiche Verantwortung hat wie Deutschland, und man darf auch nicht sagen, daß Malawi die gleiche Verantwortung hat wie Saudi-Arabien oder China. Sondern jedes Land ist gebeten, soviel zu tun, wie es selbst für fair hält, und einen Minderungsbeitrag zu leisten.

Was das Thema CO₂ in den armen Ländern betrifft, so verhält es sich so, daß der Zugang zu Erneuerbaren Energien ein Entwicklungsmotor für die Ärmsten ist. Die haben sowieso nie von Kohlekraftwerken profitiert. In den ärmsten Ländern wurde Energie nur für die Industrien oder die Eliten und für die Hauptstädte vorgesehen. Aber bis in die ländlichen Gebieten von Afrika reichten die Stromnetze nicht.

Das Wunderschöne an den Erneuerbaren Energien ist ja, daß jede Hütte, egal wo sie steht, ein kleines Solarpanel auf dem Dach haben kann. Windkraft geht überall, Sonnenenergie ebenfalls, oder auch kleine Wasserkraftwerke. Ich bin sehr viel in diesen Ländern unterwegs und habe gesehen, wie gerade die Erneuerbaren Energien wirklich geholfen haben, ländliche Gebiete aus der Armut zu heben, indem sie überhaupt erstmals einen Zugang zu Energie brachten. Von der Kohlekraft waren die immer ausgeschlossen.

SB: Der Green Climate Fund fördert diese Entwicklung. Haben Sie schon Projekte gesehen, die der Fonds in den Ländern des Globalen Südens finanziert hat?

SM: Ja, ich werde dazu von der Bundesregierung regelmäßig konsultiert. Auch Tuvalu hat durch den Grünen Klimafonds ein Projekt genehmigt bekommen. Wir begleiten diese Projektbewilligungen sehr kritisch. Da werden auch Projektanträge eingereicht, die sind nicht gut. Aber das Gute ist, daß zum Beispiel die deutsche Regierung, vertreten durch das Bundesumweltministerium und durch das Ministerium für Entwicklungszusammenarbeit, im Board des Grünen Klimafonds sitzt und regelmäßig Personen aus der Zivilgesellschaft einlädt. Wir besprechen die Projekte, die zur Bewilligung anstehen, und sie hören sich an, was wir dazu zu sagen haben. Im Grunde genommen gab es darüber bis jetzt noch keinen Dissenz. Auch die globale Zivilgesellschaft nimmt regelmäßig an den Board Meetings des Grünen Klimafonds teil.

Soweit wir das jetzt überblicken können, sind bisher wirklich sehr gute Projekte bewilligt worden. Das muß auch unbedingt so bleiben. Sicher, darunter befinden sich immer mal Projekte, von denen man denkt, ach, war das jetzt nötig, das aus diesem kleinen Fonds zu bezahlen. Das Geld hätte man auch aus einem anderen Fonds nehmen können. Über solche Fälle wird diskutiert, aber im Grunde genommen ist das ein sehr guter Fonds.

SB: Die Organisation Biofuelwatch, die ebenfalls in dem Board saß, hat kritisiert, daß der Grüne Klimafonds 25 Millionen Dollar für Eukalyptus-Monokulturplantagen in Paraguay bewilligt hat. Kennen Sie den Fall?

SM: Nein, aber ich weiß, daß dort immer wieder Treiber mit am Tisch sitzen, bei denen man Obacht geben muß, was sie vorschlagen. Wie vorhin erwähnt, hatte ich einmal mitbekommen, daß ein Wasserprojekt finanziert wurde, das für mich einfach auch aus dem Umweltfonds hätte finanziert werden können. Dennoch muß man bedenken, daß das Finanzvolumen des Grünen Klimafonds zehn Milliarden Euro umfaßt. Ich kenne viele positive Beispiele, die darüber finanziert worden sind. Leider ist es für kleine Organisationen sehr schwierig, sich Zugang zu dem Fonds zu verschaffen.

SB: Die flachen Inselstaaten haben schon seit vielen Jahren gefordert, daß das 1,5 Grad-Ziel eingehalten werden muß, sind aber nicht gehört worden. Erst 2015 im Übereinkommen von Paris wurde das Ziel mit aufgenommen. Wie bewerten Sie nun das aktuelle Sondergutachten 1,5? Ist das wirklich so, daß die Politik sozusagen einen Tritt in den Hintern bekommen hat oder wird sie auch darüber hinweggehen können?

SM: Ich hoffe, nicht. Ich gehe wirklich davon aus, daß dieser Bericht sehr gut geholfen hat, darzustellen, daß Klimaschutz machbar ist und daß Nichtstun "unmachbar" ist. Die Folgen des Klimawandels sind für niemanden zu bewältigen. Jetzt wurde einmal ganz klar gezeigt, wie schnell und wann was passieren wird, wenn wir nichts tun, und wie schnell und wann wir handeln müssen, um das Schlimmste abzuwenden. Diesen Bericht zu ignorieren, der noch mal klar zusammenbringt, was wir weltweit schon beobachten, ist meiner Ansicht nach nicht möglich. Anscheinend hat sich sogar Donald Trump den Bericht angeschaut und zugestanden, daß der Klimawandel stattfindet.

Aber nicht nur in der US-Regierung gibt es diesbezüglich eine "Bewußtseinserweiterung", auch in Saudi-Arabien hat sich eine höhere Sensibilität zu dem Thema entwickelt. Die Menschen merken: es gibt einen Klimawandel. Da besteht nur die Frage, ob die Politik bereit ist, einzugreifen. Saudi-Arabien zum Beispiel sagt, ja, es gibt einen Klimawandel, ja, wir müssen das Öl unter der Erde lassen, also müßt ihr uns für unsere ökonomischen Verluste kompensieren. Das heißt, sie erkennen alles an, sie wollen nur Geld dafür bekommen, daß sie einen Schaden vermeiden. Doch das geht nicht! Hier wird keiner dafür bezahlt, daß er einen Schaden vermeidet. Ich bekomme ja auch kein Geld dafür, daß ich Sie jetzt gerade nicht umbringe. Ich werde im Gegenteil bestraft, wenn ich das doch tue.

SB: Entschuldigen Sie, aber selbst ein Teil des Europäischen Emissionshandels beruht genau darauf, daß gesagt wird: Wir finanzieren keine Kohlekraftwerke, sondern Erneuerbare Energien, wir vermeiden also, größere Schäden zu produzieren, jetzt müßt ihr uns dafür bezahlen. Es wird Schaden angedroht und gesagt, wir vermeiden ihn, wenn ihr uns dafür Geld gebt.

SM: Das ist für mich nicht vergleichbar, muß ich ganz ehrlich sagen. Sondern es gibt finanzielle Anreize, um Schäden zu vermeiden, und keiner wird kompensiert für eine Straftat, die er unterläßt. Unser ganzes Rechtssystem ist komplett anders ausgerichtet. Auch das Emissionshandelssystem ist eine Belohnung, denn man wird für Klimaschutz belohnt und man wird bestraft, wenn man verschmutzt. Saudi-Arabien möchte etwas anderes. Es will nur die Belohnung für Klimaschutz haben und nicht die Bestrafung.

SB: Beruft sich Saudi-Arabien auf die frühere Yasuní-Initiative von Ecuador?

SM: Ja, darauf haben sie sich ganz stark berufen. Zwar hatte Saudi-Arabien auch davor schon ähnliche Vorstellungen gehabt, aber als Ecuador sagte, wir wollen den Regenwald nicht abholzen und das Erdöl im Boden lassen, wenn die Weltgemeinschaft uns für das nicht-geförderte Erdöl kompensiert, hat Saudi-Arabien sofort die Hand gehoben und gesagt: Das ist genau das, was auch wir wollen!

Nein, in diese Falle dürfen wir nicht gehen. Statt dessen müssen wir neue, nachhaltige Mittel finden und sagen, es käme dich sehr teuer, wenn du dein Öl förderst, weil dadurch ein ökonomischer Schaden entsteht. CO₂ zu produzieren ist schädlich und das sollte Geld kosten.

SB: Das Sondergutachten 1.5 gibt eine zeitliche Spanne dafür an, wann das 1,5-Grad-Ziel erreicht wird. Was wäre für Sie die Grenze, wann muß der Höhepunkt der Kohlenstoffemissionen erreicht und die Kehrtwende eingeleitet sein?

SM: Ich bin keine Wissenschaftlerin, sondern ich lese nur die wissenschaftlichen Berichte. Der IPCC-Bericht hat ganz genau gesagt, wann der Peak für 1,5 Grad und wann der Peak für zwei Grad erreicht sein muß. Von daher ist klar, daß wir jetzt den Einstieg in den Ausstieg aus den Fossilen brauchen. Das muß sofort passieren.

SB: Frau Minninger, vielen Dank für das Gespräch.


Im abgedunkelten Innern eines kreisrunden Zelts. In der Mitte eine riesige, projizierte Erdkugel, rundum mehrere Stuhlreihen hintereinander, in denen Menschen sitzen - Foto: © 2017 by Schattenblick

Die Bundesregierung, die am Rande der COP23 in Bonn über den Klimawandel informiert, verfehlt ihre eigenen Klimaschutzziele deutlich.
Foto: © 2017 by Schattenblick


Bisher im Schattenblick zur Konferenz "Jedes Zehntelgrad zählt" am 23. Oktober 2018 in Berlin im Schattenblick unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT erschienen:

BERICHT/146: Klimawandel - Schaden genug ... (SB)
BERICHT/147: Klimawandel - Zertifikationshandel befördert Emissionen ... (SB)
INTERVIEW/285: Klimawandel - entfesselte Gefährlichkeit ...    Dr. Werner Würtele im Gespräch (SB)


1. November 2018


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