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WALD/068: Hambacher Forst - Gerichtsschranken fallen (SB)


Hambacher Forst - 21. Juni 2013

Selbst Justitia wird es allmählich zu viel - Verfahrenseinstellungen


Polizisten mit schwerem Gerät im Wald - Foto: © 2012 by Hubert Perschke

Polizeiliche Räumung der Waldbesetzung im Hambacher Forstes im November 2012
Foto: © 2012 by Hubert Perschke

Nun ist es sozusagen amtlich: Gegen die Waldbesetzer und -besetzerinnen des Hambacher Forstes wurden sämtliche aus dem vergangenen Jahr stammenden Ermittlungen eingestellt. Was für alle Tagebaugegner und -gegnerinnen, ihre Freunde und Unterstützer ein Grund zur Freude ist, liest sich in einer der größten deutschen Tageszeitungen (Welt) so: [1]

Die Staatsanwaltschaft hat alle 27 Ermittlungsverfahren gegen die Waldbesetzer im Zusammenhang mit der Räumung des Hambacher Forsts eingestellt. Auch die Verfahren gegen den Mann, der sich tagelang in einen unterirdischen Gang zurückgezogen hatte, seien eingestellt.
Der Vorwurf, der Mann habe eine Stütze in dem Schacht weggetreten und bewusst andere Menschen gefährdet, habe nicht belegt werden können, stellte der Kölner Oberstaatsanwalt Ulf Willuhn fest und bestätigte einen Bericht von "Aachener Zeitung" und "Aachener Nachrichten".
Außerdem habe er keinen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte geleistet, sondern nur passiven Widerstand. Gegen die Waldbesetzer hatte außerdem der Vorwurf der Nötigung im Raum gestanden, weil sie den Energiekonzern RWE als Eigentümer an der Rodung gehindert hatten.
Eine Nötigung sei mit Gewalt oder mit der Androhung dazu verbunden. Das sei in dem Zusammenhang nicht feststellbar gewesen.

Tatsächlich sind die hier nun von einem leitenden Oberstaatsanwalt bestätigten Informationen nicht neu. Zu dem bei der viertägigen Räumungsaktion im November vergangenen Jahres gegen den sogenannten "Maulwurf", wie der Waldaktivist, der sich in einem Tunnel eingegraben hatte, in der Presse genannt worden war, erhobenen Vorwurf, er habe Stützbalken weggetreten und damit absichtlich die Räumungskräfte in Gefahr gebracht, hatte der Schattenblick am 20. November 2012 berichtet: [2]

In manchen Medien war während der Räumung die Behauptung wiederholt kolportiert worden, der letzte Waldbesetzer hätte die Einsatzkräfte gefährdet bzw. sogar in Lebensgefahr gebracht. Da er zu keinem Zeitpunkt um seine "Rettung" gebeten hatte und, im Gegenteil, sogar auch gegenüber der Polizei deutlich gemacht hatte, daß er nicht in Gefahr sei und seine Blockade fortsetzen möchte, ist die Behauptung, er hätte durch diese Protestaktion die (gegen seinen Willen tätigen) Bergungskräfte in Gefahr gebracht, wenig plausibel. Die gegen ihn erhobenen pauschalen Vorwürfe waren dann noch durch die Beschuldigung konkretisiert worden, er hätte in dem Moment, als die Sicherheitskräfte zu ihm vorgestoßen seien, Stützpfeiler umgetreten, um in den hinteren Bereich des Tunnels fliehen zu können, und dadurch die Bergungskräfte in Lebensgefahr gebracht.
Inzwischen soll die Grubenwehr Herne, die zur fraglichen Zeit unten im Tunnel gearbeitet hatte, erklärt haben, daß es nicht der Tunnelaktivist gewesen sei, der die Stützen umgetreten habe. Nach Angaben des WDR habe die Polizei nun bekanntgegeben, daß aufgrund von Ermittlungen des Staatsschutzes herausgekommen sei, daß diese Information falsch gewesen war. Dazu wurde seitens der Waldbesetzerinnen und -besetzer wie folgt Stellung genommen: Das alles riecht nach einer taktischen Fehlinformation der Polizei, um die öffentliche Stimmung in ihrem Sinne zu beeinflussen.

In den "Aachener Nachrichten" wurde die am Donnerstag gegenüber dieser Zeitung vom Kölner Oberstaatsanwalt Ulf Willuhn bestätigte Einstellung sämtlicher 27 Ermittlungsverfahren wegen der Camp-Räumung des vergangenen Jahres noch weiter konkretisiert. Willuhn zufolge wurden alle wegen Nötigung erhobenen Vorwürfe fallengelassen, in allen Fällen habe es sich um passiven Widerstand gehandelt. Auch ein "lang vorbereitetes Festketten" sei kein gewalttätiger Akt. Was den "Maulwurf" betrifft, stellte der Kölner Oberstaatsanwalt klar, daß es nicht nur keinerlei Hinweise auf eine vorsätzliche Handlung des Mannes gegeben habe, sondern daß sogar unklar sei, "ob überhaupt ein tragendes Element der Tunnelverschalung entfernt worden ist". [3]

Blick in den tiefen, senkrecht nach unten führenden Schacht - Foto: © 2012 by Hubert Perschke

Ein Foto, das durch die Medienwelt ging - Der Eingang in den Tunnel des 'Maulwurfs'
Foto: © 2012 by Hubert Perschke

Bereits am 12. Juni 2013 war bekannt geworden, daß es gegen den Tunnelaktivisten, der seinerzeit "Herr Zimmermann" genannt worden war, keine Schadenersatzforderungen geben wird. Die Kosten dieser polizeilichen Räumung, die währenddessen in vielen Medien als Rettungsaktion bezeichnet worden war, obwohl der Aktivist zu keinem Zeitpunkt in Gefahr gewesen war und ebensowenig um eine solche Maßnahme gebeten hatte, belaufen sich nach Polizeiangaben auf 228.000 Euro. [4] Wie die "Aachener Nachrichten" am 12. Juni berichteten, hat die Kreispolizeibehörde des Rhein-Erft-Kreises, die im Hambacher Forst vom 13. bis 16. November 2012 im Einsatz gewesen war, auf Anfrage der Zeitung mitgeteilt, daß sie sich die bei der damaligen Räumung entstandenen Kosten nicht erstatten lassen könne. Ein Polizeisprecher habe zur Erläuterung erklärt, daß die Behörde eine Anwaltskanzlei mit einer gutachterlichen Prüfung beauftragt habe, wobei "Anspruchsgrundlagen aus den Bereichen des Zivil-, des Straf- und des Polizeirechts beleuchtet" wurden. Das gutachterliche Ergebnis lautete, daß "Voraussetzungen für eine Kostenerstattung durch einzelne Personen oder Firmen" nicht gegeben seien. [4]

Aufgrund der jüngsten Konfrontationen mit den Sicherheitsbehörden und den daraus womöglich resultierenden Ermittlungen und Strafverfahren kann die Erleichterung der Betroffenen und ihrer umweltkämpferischen Weggefährten nicht ungetrübt sein, sehen sie sich doch nach wie vor repressiven Maßnahmen ausgesetzt. Die fünf am 11. Juni im Wald bzw. im Wiesencamp festgenommenen Aktivisten kamen zwar am Nachmittag bzw. Abend desselben Tages wieder frei. Ihnen werden jedoch Bedrohung, Nötigung und Landfriedensbruch vorgeworfen, wie Polizeisprecher Willi Jöres am 12. Juni in Düren auf Nachfrage mitgeteilt hat. Wie die Aachener Nachrichten weiter berichteten, geht die Polizei davon aus, "dass die Aktivisten im Wald einen Graben ausgehoben haben, mit Ästen und Baumstämmen Straßensperren eingerichtet und auch ein Stahlseil über einen Weg gespannt haben." [4]


Fußnoten:

[1] http://www.welt.de/regionales/koeln/article117339943/Keine- weiteren-Ermittlungen-gegen-Waldbesetzer.html

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ticker/utwa0017.html

[3] http://www.aachener-nachrichten.de/lokales/region/keine-anklagen- nach-protestcamp-raeumung-1.600288

[4] http://www.aachener-nachrichten.de/lokales/region/protestcamp- tagebaugegner-wieder-auf-freiem-fuss-1.594696

Weitere Informationen:
http://hambacherforst.blogsport.de/


21. Juni 2013