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WALD/368: Hambacher Forst - die vielfältige Mehrheit ist siegreich ... (Hambacher Forst)


Hambacher Forst - 10. Oktober 2018

Und jetzt?

Erfolg von wem?


Die Rodung ist gestoppt. Und nicht nur das: RWE kündigt an, im Tagebau Hambach weniger Kohle zu fördern, damit es möglich ist, bis Ende 2019 weiter zu baggern, bevor der Wald erreicht ist. Es gibt also einen Etappensieg zu feiern. Aber wer hat hier eigentlich gesiegt?

Zeitungen beginnen zu schreiben, der Erfolg sei ausschließlich auf das juristische Vorgehen des BUND zurück zu führen. Viele tausende Menschen wurden in den letzten Wochen vom Thema "Hambi" bewegt und haben in dem brutalen und verantwortungslosen Vorgehen der Landesregierung im Interesse von RWE ihren Glauben in Demokratie und Rechtsstaat bedroht gesehen. Jetzt holen einige vielleicht erleichtert Luft und denken: Wie gut, auf den Staat ist ja doch Verlass.

Dem will ich vehement widersprechen. Auf uns alle ist ja doch Verlass. Auf die Kraft und die Stärke von sozialen Bewegungen ist Verlass. Das Gerichtsurteil war in jedem Fall politisch und kann als Erfolg einer breiten, vielfältigen sozialen Bewegung gefeiert werden. Der Druck, der von den entschlossenen Protesten ausging, der sich immer mehr zuspitzte anstatt abzuebben, wurde in diesem Gerichtsurteil beantwortet. Außerdem ist zu bedenken, dass der BUND vielleicht nie um den Hambi geklagt hätte, wenn Aktivist*innen nicht schon über Jahre Aufmerksamkeit für diesen Kampf generiert hätten. Und es gilt auch nicht zu vergessen, dass die Tatsache, dass es Gesetze gibt, um die Natur zu schützen, eine Errungenschaft von sozialer Bewegung ist. Eine Errungenschaft von Protest.

Es ist also ein Erfolg von vielen, von denen die meisten nicht Mitglieder in großen Organisationen sind. Ja, es ist auch ein Erfolg von Baumbesetzer*innen, die seit Jahren ihre Körper der Rodungsmaschinerie entgegen stellen. Das ist wichtig zu sagen, auch wenn die schon ziemlich viel Aufmerksamkeit in den letzten Wochen bekommen haben. Zu hoffen bleibt, dass nicht nur die atemberaubenden Bilder von Menschen auf Bäumen in Erinnerung bleiben, sondern auch die emanzipatorischen Inhalte, die diese Menschen verkörpern.

Aber es ist auch ein Erfolg von vielen anderen. Von Menschen, die vor Jahren die einzigen im linken Spektrum waren, die gesagt haben, dass Braunkohle ein Problem ist. Von Menschen, die in langwieriger Arbeit eine Anti-Braunkohle-Bewegung aufgebaut haben und immer mehr Menschen und schließlich auch große Organisationen und Parteien mit ins Boot geholt haben. Und es ist ein Erfolg von all den Menschen, die im Hintergrund die Arbeit gemacht haben, die es braucht, damit Aktionen, Treffen und Demos überhaupt stattfinden können: Von den Küchenkollektiven, den Ermittlungsausschüssen, den Unterstützungsgruppen für Menschen in Haft [1], den Out of Action Gruppen [2], den Menschen, die Kinder betreut haben, den Menschen, die einfach da waren und offene Arme und Ohren hatten, wenn mal alles zu viel wurde.


Vom Rodungsstop zum Braunkohleausstieg

Dass dieser Erfolg unser war und nicht der des Rechtsstaats, bedeutet auch, dass wir weiter machen müssen. Wir haben jetzt gerade gezeigt, dass wir einen Unterschied machen können. Und die Hoffnung, die aus diesem Erfolg heraus entsteht, ist auch eine Hoffnung darauf, dass wir das Klimachaos noch eindämmen können. Es ist die Hoffnung darauf, dass wir in einer selbstbestimmten Welt leben können, die ein gutes Leben für alle bringt.

Auch wenn der Hambacher Wald erst einmal geschützt ist, geht die Braunkohleverstromung weiter. Wir sollten all die Aufmerksamkeit, die durch diesen wundervollen Wald auf das Thema Braunkohle gelenkt wurde, nutzen, um Braunkohleverstromung endgültig und so schnell wie möglich zu stoppen. Ein sofortiger Braunkohleausstieg ist die Bedingung dafür, dass die Klimaziele eingehalten werden können. Dafür heißt es jetzt: dran bleiben! Lasst uns den Druck immer weiter aufbauen und damit RWE und andere fossile Industrie ins Museum bringen. Dabei soll es nicht nur darum gehen, zu erneuerbaren Energien zu wechseln, sondern auch um eine dezentrale Energieversorgung in Bürger*innenhand.

Es reicht nicht aus, dafür auf die Kohlekommission zu setzen. Diese Verhandlungen, die jede*n einzelne*n von uns angehen, sollten von unten geführt werden. Außerdem sollten Menschen aus dem globalen Süden eine leitende Rolle in diesen Verhandlungen haben, da sie viel stärker vom Klimawandel betroffen sind und so schließlich auch davon, ob wir hier Braunkohle verfeuern. In der Kohlekommission sind sie bisher gar nicht vertreten.


Was können unsere nächsten Schritte sein hin zum Braunkohleausstieg?

Vom 25.-29. Oktober findet die nächste Ende Gelände [3] Massenaktion statt. Sie ermöglicht einen guten Einstieg in die Welt des zivilen Ungehorsams. Schnapp dir deine Freund*innen oder deinen Sportverein, bildet eine Bezugsgruppe und los!

Die Braunkohleverbrennung und die damit verbundene Klimakatastrophe kann aber auch zu jedem anderen Tag im Jahr blockiert, gestört und verzögert werden. Wenn du Lust hast, eine Kleingruppenaktion im rheinischen Braunkohlerevier zu machen, dann informiere dich doch bei Zucker im Tank [4].

Es gibt auch schon zahlreiche andere Gruppen, die zum Thema Braunkohleausstieg arbeiten. Bestimmt auch in deiner Nähe. Schließe dich einer an, denn mit langfristiger Organisierung können wir morgen das erreichen, was heute noch unmachbar scheint - so, wie vor einigen Jahren ein verfrühter Braunkohleausstieg noch undenkbar war und jetzt in greifbare Nähe gerückt wurde.


Vom Braunkohleausstieg zum guten Leben für alle

Und was kommt nach dem Braunkohleausstieg? Können wir dann endlich nicht nur einen Etappensieg, sondern einen endgültigen Sieg feiern? Nein, können wir leider immer noch nicht. Denn wir kämpfen für Klimagerechtigkeit, und die bedeutet nicht nur das Aufhalten vom Klimachaos, dem wir dann einen Schritt näher gekommen sind, sondern auch ein Verändern der Umstände, die den Klimawandel überhaupt erst möglich gemacht haben. Was wir brauchen ist ein Systemwandel. Aber ein Braunkohleausstieg, der von unten, von einer breiten, selbstorganisierten Bewegung erkämpft wurde, ist ein erster Schritt dorthin. Denn wir brauchen eben diese Selbstorganisierungserfahrung, um das Wissen zu sammeln und die Hoffnung wieder zu gewinnen, die es braucht, um die Welt auf den Kopf zu stellen und dann neu zu organisieren.

Um einem gerechten und nachhaltigen Gesellschaftssystem näher zu kommen, müssen wir anfangen, nein zu sagen zu den menschenverachtenden Umständen, die uns umgeben. Es lohnt sich, wenn du dir Verbündete suchst und dich zu den Themen organisierst, die dich betreffen und beschäftigen. So können wir an vielen verschiedenen Themen arbeiten und trotzdem gemeinsam handeln. Denn Klimawandel hat auch etwas mit Mietpolitik und Gentrifizierung zu tun, mit Seenotrettung und Rechtsruck. Und schließlich vereinen sich all diese Kämpfe, weil sie für dasselbe stehen: Für ein menschenwürdiges, gutes Leben für alle. Dieser Kampf hat erst begonnen.


Anmerkungen:

[1] http://antirrr.blogsport.de/
[2] https://outofaction.blackblogs.org/
[3] https://www.ende-gelaende.org/de/
[4] https://www.zuckerimtank.net/?page_id=282&lang=de

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Quelle:
Hambacher Forst
E-Mail: hambacherforst@riseup.net
Internet: http://hambacherforst.blogsport.de/


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Oktober 2018

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