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KATASTROPHEN/081: Vor 50 Jahren - Die größte Rheinkatastrophe (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF - Nr. 1145, vom 05. Aug. 2019 - 38. Jahrgang

regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)

Vor 50 Jahren: Die größte Rheinkatastrophe


Die dramatische Sandoz-Giftwelle von November 1986 (siehe RUNDBR. 1008/4, 991/2, 988/4, 838/1, 592/1, 546, 419, 404, 391, 263 und 248) ist zumindest der Generation 60 plus noch in Erinnerung. Aber selbst dieser Generation ist nicht bewusst, dass es vor einem halben Jahrhundert eine Katastrophe gab, die die Folgen der Basler Sandoz-Giftwelle am Oberrhein noch in den Schatten gestellt hat: Im Juni 1969 sah der Rhein - vom Hubschrauber aus gefilmt - von Bingen bis Rotterdam völlig silbrig aus. Millionen Fische sind mit dem Bauch nach oben den Mittel- und Niederrhein hinuntergetrieben. Niederländische Laboreinrichtungen führten das bis heute beispielslose Fischsterben auf das neurotoxische Insektenvernichtungsmittel Endosulfan zurück. Spekuliert wurde seinerzeit, dass die Endosulfan-Einleitung auf die damalige HOECHST AG am Untermain zurückzuführen sei. Alternativ wurde gemutmaßt, dass am Binger Loch einige Fässer des ausgesprochen fischgiftigen Insektizids von einem Frachtschiff in den Rhein gefallen sein könnten. Die Staatsanwaltschaft hatte die Ermittlungen seinerzeit ergebnislos eingestellt.

Was das Fischsterben mit Sicherheit begünstigt hatte, war das heiße Wetter im Juni 1969. Der Sauerstoffgehalt im Rhein war im Keller - aber nicht nur wegen des warmen Rheinwassers. 1969 gab es in der Industrie und in den Kommunen entlang des Rheins noch kaum Kläranlagen. Die organische Belastung des Rheins war derart hoch, dass schon deswegen fast aller Sauerstoff im Rhein gezehrt war. Das Umweltbewusstsein war damals noch vergleichsweise gering ausgebildet. Während die Sandozgiftwelle im November 1986 ein enormes Medienecho auslöste und zu einer Empörungswelle in der Bevölkerung geführt hatte, war das Fischsterben im Sommer 1969 in den Medien eher nur eine Randnotiz wert. Im Gefolge der Sandoz-Giftwelle gab es entlang des Oberrheins große Demonstrationen und Menschenketten. Die Politik stand unter hohem Handlungsdruck: Internationale Rheinministerkonferenzen folgten sich in kurzen Zeitabständen. In Deutschland wurden das Wasserhaushaltsgesetz und die Abwasserverordnung von den laschen "allgemein anerkannten Regeln der Technik" auf den schärferen "Stand der Technik" umgestellt.

Demgegenüber führte die rheinische Megakatastrophe im Juni 1969 zunächst zu einer Nullreaktion der Politik. Eine Folge des Fischsterbens war immerhin, dass sich die Rheinwasserwerke als erste Pressure Group für den rheinischen Gewässerschutz auf die Hinterbeine gestellt hatten - lange bevor Greenpeace und andere Umweltverbände den Gewässerschutz am Rhein zum Thema gemacht hatten. Die Rheinwasserwerke mussten aus dem versifften Rheinwasser via Uferfiltrat Trinkwasser für Millionen Menschen in den Kommunen am Mittel- und Niederrhein produzieren. Wegen der hohen chemischen Belastung des Rheins gelang das nur unzureichend. Im aufbereiteten Trinkwasser waren in den 1960er Jahren immer noch phenolische "Duftstoffe" zu schmecken und zu riechen. Die Arbeitsgemeinschaft der Rheinwasserwerke (ARW) forderte deshalb vehement den Bau von Kläranlagen in der Zellstoff- und Chemieindustrie und in den großen Kommunen entlang des Rheins.

RUNDBR.-AbonnentInnen, die sich für die in Vergessenheit geratene Rheinkatastrophe von 1969 interessieren, können via nik@akwasser.de kostenfrei mehrere Dokumente über das damalige Desaster anfordern.

Die Mega-Rheinkatastrophe von 1969 in einer aktuellen Fernseh-Doku

Die rheinische Großkatastrophe von Ende Juni 1969 war auch Thema im großen Rhein-Special der WDR-Wissenschaftssendung "quarks" am 18. Juni 2019. Die sehenswerte Sendung kann in der Mediathek für begrenzte Zeit unter [1] www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/quarks-und-co/video-der-totgeglaubte-fluss-wie-gut-ist-das-rheinwasser-heute-100.html
abgerufen werden. Das Fischsterben von 1969 wird u.a. mit einem Augenzeugenbericht und historischen Schwarz-Weiß-Filmaufnahmen dokumentiert.

Weitere Aspekte der Sendung:
- ein kurzer Abriss der Rheinverschmutzung
- Mikroplastik im Rhein
- die Suche nach der Herkunft des Lösemittels 1,4-Dioxan im Niederrhein
- die komplizierte Beziehung zwischen Lachs und Rhein
- Junglachse mit eingepflanzten Sendern
- die Herausnahme der Agger aus dem kontinuierlichen Lachsbesatz
- die erstaunlich hohe Bereitschaft Kölner Rheinspaziergänger, ungefiltertes Rheinwasser zu trinken
- und noch vieles mehr ...


[1] www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/quarks-und-co/video-der-totgeglaubte-fluss-wie-gut-ist-das-rheinwasser-heute-100.html

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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1145
Herausgeber:
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© Freiburger Ak Wasser im BBU


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Oktober 2019

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