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SCHADSTOFFE/086: Es sind nicht mehr die üblichen Verdächtigen, die unsere Gewässer belasten (UFZ-Spezial)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Spezial Oktober 2012: Chemikalien in der Umwelt

Die üblichen Verdächtigen?

von Doris Böhme



Eigentlich sollte es ein Grund zur Freude sein: Gut 90 Prozent der Flüsse und Seen Deutschlands haben einen "guten chemischen Zustand". Nur leider sind es beim "guten biologischen Zustand" nur ganze 10 Prozent. Wie kann das sein? Schließlich gehen die Klassiker der Umweltüberwachung wie Atrazin, Lindan oder DDT doch tatsächlich zurück. Diese Chemikalien gehören mit 30 anderen (ab 2012 mit 45 anderen) zu den prioritären Stoffen, die nach der Wasserrahmenrichtline (WRRL) für die Bestimmung des "chemischen Zustands" herangezogen werden. Ihr Rückgang ist allerdings nicht so erstaunlich. Schließlich ist die Anwendung der meisten dieser Stoffe längst verboten. "Es sind heute nicht mehr die üblichen Verdächtigen, die unsere Gewässer belasten", ist Dr. Werner Brack vom UFZ überzeugt. Der Umweltchemiker will diejenigen Stoffe in der Umwelt ausfindig machen, die messbare Wirkungen hervorrufen - oft eine Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Allein in Europa sind mehr als 100.000 synthetische Substanzen im Einsatz.

Auch wenn viele Behörden mehr als die vorgeschriebenen prioritären Stoffe messen, ist die Gefahr groß, dass neu auftretende Chemikalien durchs Raster fallen. Die Lösung des Dilemmas kann jedoch nicht sein, alle Chemikalien zu überwachen. Das hilft schon deshalb nicht, weil für die meisten Stoffe keine Daten zur Giftigkeit vorhanden oder zugänglich sind. Auch ist der politische Prozess, neue Stoffe in die Überwachung aufzunehmen und Umweltqualitätskriterien zu erstellen, oft viel langsamer als die Innovationen der chemischen Industrie.

Werner Brack schlägt deshalb einen ganzheitlichen Ansatz zur Überwachung von Gewässern vor, bei der die chemische Analytik von Einzelstoffen mit Biotests zur Analyse der Wirkungen verknüpft wird. Dazu wird das Extrakt einer Wasserprobe, das durchaus 10.000 Einzelstoffe enthalten kann, in verschiedene Substanzgruppen aufgeteilt. Im nächsten Schritt wird untersucht, wie jede dieser einzelnen Fraktionen auf Gewässerorganismen wie Grünalgen, Wasserflöhe, Fischembryonen, Bakterien oder Zellen wirkt. Stoßen die Wissenschaftler auf Fraktionen, die eine Wirkung hervorrufen, werden diese weiter untersucht, bis am Ende die tatsächlichen Übeltäter - also alle Stoffe mit einem bestimmten Effekt im Gewässer - eingegrenzt sind. Dieser Ansatz hat einen großen Vorteil: Wird zum Beispiel ein Pestizid aus dem Verkehr gezogen und durch ein neues, aber ähnlich wirkendes ersetzt, wird dieses bei einer solchen wirkungsbezogenen Überwachung mit erfasst, auch wenn es sich der chemischen Analytik entzieht. "So können wir vermeiden, dass uns eine Verbesserung der chemischen Wasserqualität vorgegaukelt wird", sagt Werner Brack und untersetzt seine These mit aktuellen Untersuchungen an der Bilina, einem Nebenfluss der Elbe, der durch Braunkohletagebaugebiete in Tschechien fließt. Für die Wissenschaftler war es keine Überraschung, hohe Konzentrationen an toxischen polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) zu finden, denn diese sind natürlicher Bestandteil von Kohle und Erdöl. Erstaunlich dagegen war die Tatsache, dass von einer anderen Substanz eine viel größere Umweltgefahr ausging: Triclosan. Die Chemikalie ist seit 1972 auf dem Markt. 1998 wurden erste gravierende Wirkungen entdeckt. Bis heute wird Triclosan in Körperpflegemitteln und Sporttextilien als Bakterienhemmer genutzt - überwacht wird es in großen Teilen Europas nicht. Überwachungsdaten aus Sachsen brachten ans Licht, dass Triclosan auf Platz 6 der besonders problematischen Stoffe in sächsischen Flüssen steht. Durch diese und andere Studien hat Triclosan nun Eingang in den Priorisierungsprozess zur Gewässerüberwachung gefunden.

Ein schöner Erfolg. Aber nicht genug: Mit dem von ihm koordinierten EU-Trainingsnetzwerk EDA-Emerge möchte Werner Brack für eine effizientere Stoffidentifizierung durchsatzstarke Screening- und Fingerprintanalysen (EDA) entwickeln und zugleich die Ausbildung internationaler Nachwuchswissenschaftler auf diesem Gebiet vorantreiben. Bei der Stoffidentifizierung soll zudem eine umfangreiche Spektrendatenbank helfen, die Brack gemeinsam mit Kollegen aus ganz Europa im Rahmen des Netzwerkes NORMAN aufbaut. Und er wünscht sich, dass die Wasserrahmenrichtlinie mit der Europäischen Chemikalienregulierung REACH verknüpft wird. Denn der Zugang zu den vielen REACH-Daten erleichtert die Umsetzung der WRRL - und die Überwachungsergebnisse aus der WRRL helfen REACH.

UFZ-Ansprechpartner:
Dr. Werner Brack
Leiter Dept. Wirkungsorientierte Analytik

e-mail: werner.brack[at]ufz.de


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Probenahme an der Bilina, einem Nebenfluss der Elbe, der durch ein Braunkohletagebaugebiet in Tschechien fließt. Erstaunlich war für die Wissenschaftler, dass die im Wasser und Sediment gefundene Chemikalie Triclosan, die als Bakterienhemmer in Textilien eingesetzt wird, problematischer für die Umwelt ist als die hohen Konzentrationen an polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen.

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Quelle:
UFZ-Spezial Oktober 2012: Chemikalien in der Umwelt, Seite 8
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Dezember 2012