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SCHADSTOFFE/121: Nitrat im Grundwasser - Trendumkehr zum Negativem (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1055, vom 17. Jan. 2015 - 34. Jahrgang

regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)

Nitrat im Grundwasser - Trendumkehr zum Negativem


Der bei der Propagierung einer stringenten Grundwasserschutzpolitik führende Oldenburgisch-Ostfriesische Wasserversorgungs-Verband (OOWV; vgl. RUNDBR. 1005/3-4, 938/4, 685/2-3, 675/2-3, 617/2-3) - der größte Flächenwasserversorger im Bundesgebiet - hat uns ein Vortragsskript zur Verfügung gestellt, in dem beeindruckend die Trendwende bei den Nitratkonzentrationen im Grundwasser belegt wird. Der Vortrag ist bereits im August 2014 anlässlich eines internationalen Symposiums zur Common Implementation Strategy (CIS) bei der Umsetzung der EG-Wasserrahmenrichtlinie gehalten worden.

Das englisch abgefasste, mit zahlreichen Diagrammen versehene Skript mit dem Titel "Water management requirements to reduce fertilizer discharges into water resources in Lower Saxony / Germany" können interessierte LeserInnen als pdf via nik@akwasser.de bei uns anfordern.

Rheinanliegende Bundesländer für Verschärfung der Düngeverordnung

Die Flussgebietsgemeinschaft Rhein (FGG Rhein; vgl. 1049/4, 986/1-2), das wasserwirtschaftliche Koordinationsgremium der Bundesländer im deutschen Rheineinzugsgebiet, hat sich in einem Positionspapier am 10.10.14 für eine "zügige" Novellierung der Düngeverordnung ausgesprochen. Nur wenn die Neufassung der Düngeverordnung rasch erfolge und substanzielle Verschärfungen eingearbeitet würden, könne die Düngeverodnung einen wirksamen Beitrag zum zweiten Bewirtschaftlungszyklus der EG-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) leisten. Der Handlungsdruck sei groß, schreibt die FGG in ihrem Positionspapier:

"Im deutschen Teil des Rhein-Einzugsgebiets wiesen im Jahr 2009 112 von den 399 Grundwasserkörpern, das sind rund 28%, in den Hauptgrundwasserleitern einen schlechten chemischen Zustand aufgrund der Überschreitung der Nitratkonzentration von 50 mg/l auf."

Und auch beim Phosphor sei die Lage nicht besser:

"Nach derzeitigem Kenntnisstand kann davon ausgegangen werden, dass in weit mehr als der Hälfte der Oberflächengewässer der FGG Rhein die Orientierungswerte der Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) überschritten werden und Defizite in den biologischen Qualitätskomponenten Makrophyten und Phytobenthos bestehen."

Zudem erinnert die LAWA daran, dass die Europäische Kommission bei der Evaluierung der deutschen Bewirtschaftungspläne für den ersten Bewirtschaftungszyklus festgestellt habe, "dass die Nährstoffproblematik alleine mit freiwilligen Maßnahmen - Angebot von Agrarumweltmaßnahmen, Beratung, Kooperation - nicht gelöst werden" könne. Die Kommission vertrete die Auffassung, dass "verstärkt auch verpflichtende Maßnahmen erforderlich sein" werden, "um die Nährstoffeinträge flächenhaft zu senken". Die FFG sieht deshalb die Landwirtschaft in einer "besonderen Verantwortung" für die Zielerreichung der Wasserrahmenrichtlinie. Die FFG kommt in ihrem Positionspapier zur Neufasssung der Düngeverordnung zu folgendem Fazit:

"Die Anforderungen der Düngeverordnung müssen so verändert werden, dass zu hohe Nährstoffeinträge in die Gewässer zuverlässig vermieden und belastete Wasserkörper zielstrebig saniert werden können. Eine novellierte Düngeverordnung sollte klare und eindeutige Regelungen enthalten, so dass aus diesem Rechtsakt tatsächliche Handlungsanpassungen resultieren und gleichzeitig der Grundstein für eine bessere Kontrollierbarkeit der Regelungen gelegt wird. Dies setzt allerdings auch voraus, dass die Einhaltung der Anforderungen der Düngeverordnung verstärkt durch die dafür zuständigen Behörden kontrolliert wird."

Ferner stellt die FFG fest, dass die Bewirtschaftungsziele der WRRL "ohne eine nach Gewässerschutzaspekten novellierten Düngeverordnung mit klaren und ambitionierten Anforderungen und Regelungen nicht erreichbar" sein werden.

Das fünf-seitige Positionspapier mit einem
Forderungskatalog zur Novelle der
Düngeverordnung kann unter
http://www.fgg-rhein.de/servlet/is/4350/
heruntergeladen werden.

Umweltsachverständigenrat für Halbierung der Stickstoffeinträge

Passend zur aktuellen Debatte um die Neufassung der Düngeverordnung hat der Sachverständigenrat für Umwelfragen (SRU), ein Beratungsgremium der Bundesregierung, am 14. Januar 2015 sein Sondergutachten "Stickstoff: Lösungsstrategien für ein drängendes Umweltproblem" an die Bundesumweltministerin, Dr. Barbara Hendricks (SPD), übergeben. In dem Gutachten fordert der SRU eine ganzheitlich ausgerichtete Nährstoffstrategie für Wasser, Boden und Luft. Dabei geht der SRU davon aus, "dass mindestens eine Halbierung der Stickstoffeinträge in Deutschland und der EU notwendig wäre, um nationale und internationale Qualitätsziele zu erreichen".

Angesichts der noch überwiegend einseitig auf das Trinkwasser ausgerichteten Debatte um die Neufassung der Düngeverordnung hat es uns besonders gefreut, dass der Sachverständigenrat darauf pocht, dass es bei der Diskussion um die Reduzierung der Stickstoffeinträge "nicht alleine um die Vermeidung von Nitratbelastungen im Trinkwasser" gehe.

Vordringen der Nitratfront: "Ich kann nicht mehr ruhig schlafen!"

Ähnlich gestresst wie der OOWV vom Wiederanstieg der Nitratwerte im Grundwasser (s. S. 3 in diesem RUNDBR.) ist auch der Wasser- und Abwasserverband Niedergrafschaft. JOHANN HANS, Chef des Verbandes, hat auf der 13. Wasserwirtschaftlichen Jahrestagung des BDEW im Nov. 14 in Berlin ebenfalls eindrücklich erläutert. wie eine außer Rand und Band geratene Intensivstlandwirtschaft die Grundwassergüte ruiniert. Die Folien zu diesem Referat unter dem Titel "Gewässerschutz - aktueller Stand und Herausforderungen" kann man sich unter [1]
https://www.bdew.de/internet.nsf/id/9RACMM-13-wasserwirtschaftliche-jahrestagung-2014-de?open
anschauen (dort in der rechten Spalte "02 Johann Hans" anklicken).

HANS zeigt u.a. auf, wie manipulationsanfällig die bisherige Düngeverordnung ist: Die lässt nämlich zu, dass die lokalen Landwirtschaftsbehörden statt der Standardwerte aus Anhang 5 der Düngeverordnung individuelle Stickstoff-Werte festsetzen können - beispielsweise beim Stickstoffgehalt von Hühnerkacke: Durch die Anrechnung von angeblichen Lagerverlusten und anderen Abzügen können die Betreiber der gigantischen Hühnerställe die Stickstofffrachten auf bis zu 19 Prozent der Anhang 5-Standardwerte herunterrechnen (s. RUNDBR. 1051/3) - zu Lasten des Grundwasserschutzes. Der in der Düngeverordnung bislang tolerierte Stickstoffüberschuss von 60 kg Nitrtat pro ha habe bei einer Grundwasserneubildung von 260 mm im Jahr eine Nitratkonzentration von 106 mg/l zur Folge. Der Entwurf für die neue Düngeverordnung will den Nitratüberschuss ab 2020 auf 50 kg/ha reduzieren. Das bedeute aber immer noch eine Nitratkonzentration von 88 mg/l im Sickerwasser - also weit über dem 50 mg-Grenzwert der EG-Nitrat- und der EG-Trinkwasserrichtlinie. Die Folge: Die Nitratfront rückt unaufhaltsam auf die Tiefbrunnen der Wasserwerke zu.

Der über diese Entwicklung sichtlich verzweifelte JOHANN HANS auf der Wasserwirtschaftlichen Jahrestagung: "Das lässt mir keine Ruhe mehr. Ich kann nicht mehr gut schlafen!" U.a. würden die zu hohen Nährstoffeinträge nicht nur "zu weitreichenden Schäden an der Biodiversität" führen, sondern auch zur "Überdüngung der Meere". Dort käme es zu einer verstärkten Algenbildung: "Sichtbare Folge ist die Schaumbildung an den Stränden der Ost- und Nordsee" (s. RUNDBR. 799/2, 382/1-3).

Zur anstehenden Neufassung der Düngeverordnung stellt der SRU fest, dass der Referentenentwurf vom Dezember 2014 (s. RUNDBR. 1051) zwar Verbesserungen bringen werde, "die aber noch nicht ausreichend" seien - und weiter: "Wichtig ist vor allem: ohne scharfe Kontrollen und Sanktionen nützen die strengsten Vorgaben wenig."

Der SRU fordert über eine stringente Neufassung der Düngeverordnung hinaus "die Einführung einer Umweltabgabe auf Stickstoffüberschüsse aus der Landwirtschaft als Ergänzung zu ordnungsrechtlichen Vorgaben". Begründung: "Der Minderungsbedarf ist so hoch, dass ökonomische Anreize für weitere Maßnahmen verstärkt werden müssen."

Das Sondergutachten "Stickstoff: Lösungsstrategien für ein drängendes Umweltproblem" kann unter www.umweltrat.de heruntergeladen werden. Vermutlich haben die SRU-Gutachter die Augen verdreht, als Bundesumweltministerin Hendricks bei der Übergabe des Gutachtens im Hinblick auf die Defizite beim Grundwasserschutz erklärte: "Mit der Novellierung der Düngeverordnung geht die Bundesregierung diese Aufgabe entschlossen an."


[1] https://www.bdew.de/internet.nsf/id/9RACMM-13-wasserwirtschaftliche-jahrestagung-2014-de?open
(dort in der rechten Spalte "02 Johann Hans" anklicken)

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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1055
Herausgeber:
regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser
im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU),
Rennerstr. 10, 79106 Freiburg i. Br.
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© Freiburger Ak Wasser im BBU


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. März 2015

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