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BERICHT/078: Pilgertourismus - laufend im Trend (Agora - Uni Eichstätt-Ingolstadt)


Agora - Magazin der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt
Ausgabe 1 - 2009

Pilgertourismus - laufend im Trend

Von Harald Pechlaner und Christopher Reuter


Pilgertourismus ist zu einem starken Wachstumssegment geworden - in Deutschland spätestens seit dem Bestseller "Ich bin dann mal weg" von Hape Kerkeling. Doch was macht Pilgertourismus aus und wohin wird sein Weg führen?


Eine von mindline media Anfang 2008 im Auftrag der Zeitschrift P.M. durchgeführte repräsentative Umfrage zum Thema Pilgertourismus förderte interessante Ergebnisse zu Tage. So haben zwar nur 8 % der Deutschen bisher eine Pilgerreise unternommen, aber von den Nicht-Pilgern können sich immerhin 15 % vorstellen eine solche zu unternehmen. Noch erstaunlicher ist, dass obwohl das durchschnittliche Alter der heutigen Pilger noch über dem allgemeinen Altersdurchschnitt liegt, insbesondere junge Menschen in der Altersgruppe der 14-29 Jährigen ein starkes Interesse bekunden. Auch sind es gerade Frauen und gut Ausgebildete, die aufgeschlossen sind für die Kombination von spiritueller Erfahrung und Reisen.

All das passt zum allgemeinen Trend der Rückbesinnung junger Leute auf Traditionen und Werte und die zunehmende Suche nach spirituellen Erfahrungen. Allerdings stehen für die potenziellen Pilger eben nicht nur religiöse oder spirituelle Themen im Vordergrund, sondern man erhofft sich durchaus weltliche Erfahrungen, wie z.B. Spaß am Wandern, Entspannung oder Abenteuer. Die Ergebnisse der Auftragsstudie sind aber nicht nur für spezialisierte Anbieter derartiger Produkte wichtig, sondern es drängen zunehmend auch die Großen der Branche auf diesen Markt, die Jakobswegpakete für jedermann schnüren, ob gläubig oder nicht. Während "echte" Pilger wie der Buchautor und Rollstuhlfahrer Felix Bernhard ("Dem eigenen Leben auf der Spur", 2007) den beschwerlichen Weg allein und in seiner ganzen Länge ohne moderne Hilfsmittel zurücklegen, gibt es mittlerweile auch eine Vielzahl an Abkürzungsmöglichkeiten, bis hin zur elftägigen Rundreise im klimatisierten Bus mit kurzer Schnupperwanderung auf dem Jakobsweg inklusive Aushändigung eines Pilgerstabes mit Jakobsmuschel. Doch hat dieses "Pilgern light" überhaupt noch etwas mit der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs zu tun?


Was macht das Pilgern eigentlich aus und wo liegen z.B. die Unterschiede zum Abenteuertourismus oder der klassischen Urlaubsreise? Während der Überbegriff Spiritueller Tourismus von der klassischen Pilgerreise, über die christlich geprägte Studienreise, den Urlaubsaufenthalt im Kloster und die Teilnahme an "Events" wie dem Weltjugendtag, bis hin zu Esoterikreisen, praktisch jede Form einer religiösen Reise umfasst, besteht der Pilgertourismus im engeren Sinne aus der Teilnahme an lokalen Wallfahrten und dem Aufsuchen weiter entfernt liegender Orte mit religiöser Bedeutung. Allerdings ist mit diesem physischen Reisen auch immer eine "spiritual journey" verbunden, d.h. der Pilger gelangt nicht nur an den gewünschten heiligen Ort, sondern durchläuft auch einen Prozess der Selbstfindung. Die bekanntesten Beispiele für religiöse Destinationen mit einer derartigen Anziehungskraft, die im europäischen Herkunftsraum der Pilger in der Regel mit der Katholischen Kirche in Verbindung stehen, sind neben dem Jakobsweg in Spanien, der Stadt Rom und dem Heiligen Land, auch die Pilgerstätten in Fatima und vor allem Lourdes. Letztere gilt laut Ambrósio und Pereira ("Christian/Catholic Pilgrimage - Studies and Analyses", 2007) als eine der erfolgreichsten Tourismusdestinationen unter den heiligen Orten, weil sie nach einer ausgeprägten Wachstumsphase in den letzten 25 Jahren mittlerweile über fünf Millionen Besucher im Jahr anzieht und sich zur Befriedigung der großen Nachfrage ein ausgeprägter Dienstleistungssektor in der Stadt entwickelt hat.


Um dieses Phänomen näher zu untersuchen, veranstaltete der Lehrstuhl Tourismus an der KU eine Tagung unter dem Titel "Pilgern und Tourismus", die in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Pilgerbüro organisiert und vom Naturpark Altmühltal unterstützt wurde. Neben einer Podiumsdiskussion und Beiträgen von Pilgern aus der Praxis, wie von Felix Bernhard (der allein im Rollstuhl über den Jakobsweg nach Santiago de Compostela gepilgert ist und in einem Buch darüber berichtet) und Domvikar Reinhard Kürzinger (Leiter der Eichstätter Diözesan-Pilgerstelle und Vize-Präsident des Bayerischen Pilgerbüros), standen vor allem zwei Studien im Mittelpunkt. Neben der bereits erwähnten Studie von mindline media, stellte auch der Lehrstuhl Tourismus erste Ergebnisse einer empirischen Erhebung zum Thema "Kirche und Tourismus" vor. Im Mittelpunkt der Studie standen die Fragen:

• Wie wird der gesellschaftliche Trend "Sinnsuche" von Seiten der Katholischen Kirche gesehen?

• Welche positiven/ negativen Aspekte birgt er aus deren Sicht?

• Wie wird das Segment "Spiritueller Tourismus" von Seiten der Katholischen Kirche beurteilt?

• Welche Einstellung haben kirchliche Stellen grundsätzlich gegenüber dem Tourismus?

• Welche Möglichkeiten der Zusammenarbeit sehen Kirchenvertreter bei der Gestaltung von touristischen Angeboten?

Zur Beantwortung dieser Fragen wurden Anfang 2008 114 Personen befragt, die sich von weltlicher und geistlicher Perspektive aus innerhalb der Katholischen Kirche mit dem Thema Pilgertourismus beschäftigen. Die Befragten sollten jeweils Noten von 1 (schwache Ausprägung) bis 4 (starke Ausprägung) für die Antwortmöglichkeiten zu einer Auswahl von Fragen vergeben.


Die Ergebnisse zeigen, dass aus Sicht der kirchlichen Vertreter in der Gesellschaft noch keine allgemeine Suche nach tieferer Auseinandersetzung mit religiösen Themen stattfindet (2,39), während man hingegen stark vermutet (3,35), dass die Gesellschaft derzeit noch sehr erlebnisorientiert ist. Eigenen Handlungsbedarf identifiziert man hauptsächlich beim Abbau von Hemmschwellen der Menschen gegenüber der Kirche (3,54), um eine Interaktion erst möglich zu machen. Bei der Frage nach den Chancen für die Kirche wird die Möglichkeit der Erschließung neuer Einnahmequellen als stark untergeordnet eingestuft (1,69), während die Offenheit von Menschen in besonderen Lebenssituationen als größte Chance wahrgenommen wird (3,02). Als Risiko sieht man hingegen vor allem die Kurzlebigkeit der touristischen Angebote und somit die Gefahr einem Trend ohne nachhaltige Entwicklungsmöglichkeiten hinterherzulaufen (2,67). Insgesamt wird aber von 80 % der Befragten eine stärkere Zusammenarbeit von Kirche und Tourismuswirtschaft gefordert, wobei die Überlastung der Geistlichen mit den alltäglichen Aufgaben als größtes Hindernis für dieses Ziel wahrgenommen wird (2,96). Während die Befragten der Zusammenarbeit bei möglichen religiösen Themenparks eine klare Absage erteilen (1,65), wurden die größten Entwicklungspotentiale mit der Tourismuswirtschaft in den Bereichen Studien- und Wanderreisen gesehen (3,15 bzw. 3,20).


Wie wird sich also dieses Segment in Zukunft weiterentwickeln? Während Schätzungen zufolge heute weltweit jährlich ca. 40 Millionen katholischer Pilger unterwegs sind, wird für Deutschland hingegen - neben der allgegenwärtigen Problematik des demographischen Wandels - auch ein Anstieg des Anteils der Konfessionslosen auf über 50 % erwartet. Doch trotz dieser Prognosen kann von einer weiterhin positiven Entwicklung im Bereich des Pilgertourismus ausgegangen werden, nicht zuletzt aufgrund des allgemein zunehmenden Interesses an spirituellen Themen.


Während also hierzulande die Nische des Spirituellen Tourismus wieder an Boden gewinnt, versucht man in anderen Teilen der Erde sich von ihm zu lösen und den säkularen Tourismus zu forcieren. So gibt es z.B. in Indien Bundesstaaten, wie Uttarakhand in der Himalajaregion, die aufgrund ihrer zahlreichen hinduistischen Wallfahrtsorte und Heiligtümer Gästezahlen im zweistelligen Millionenbereich verzeichnen und dies zu über 90 % aufgrund von Pilgerreisenden. Der Trend hierzulande spricht ebenfalls für eine starke Entwicklung im Bereich Pilgertourismus und selbst das Wandern auf den hiesigen Abschnitten der Jakobswegzubringer ist wieder en vogue.

Um dieses spannende Thema auch weiterhin wissenschaftlich zu untersuchen ist eine Ausdehnung der Studie des Lehrstuhls Tourismus auf das Ausland und eine Befragung der Tourismuswirtschaft geplant. Außerdem wird aufgrund der großen Bedeutung und der hohen Aktualität des Themas die diesjährige Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Tourismuswirtschaft unter dem Motto "Spiritualität und Tourismus" in Eichstätt (26. bis 28. November 2009) stattfinden.


Prof. Dr. Harald Pechlaner ist Inhaber des Lehrstuhls Tourismus an der KU und leitet das Zentrum für Entrepreneursh!p.

Christopher Reuter ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Lehrstuhls Tourismus.


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Quelle:
Agora - Magazin der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt
Ausgabe 1/2009, Seite 18-19
Herausgeber: Der Präsident der Katholischen Universität,
Prof. Dr. Ruprecht Wimmer
Redaktion: Presse- und Öffentlichkeitsreferat der KU,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juni 2009