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BERICHT/092: Südschwarzwald - Kräfte auf dem Kandel (uni'leben - Uni Freiburg)


uni'leben - 04/2011
Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Kräfte auf dem Kandel
Zwei Freiburger Geografinnen haben im Südschwarzwald ein Tourismusprojekt gestartet - ein guter Grund, sich die Wanderschuhe anzuziehen

von Rimma Gerenstein


Gefahr, Geheimnis, Abenteuer: Mit solchen Wörtern beginnen sagenhafte Geschichten, Märchen von Helden, die Drachen erlegen und gülden gelockte Prinzessinnen aus Türmen befreien. Mit solchen Wörtern beginnt aber auch eine Wanderung. Genauer: ein 400 Höhenmeter steiler Aufstieg durch den Wald Zweribach, etwa 20 Kilometer östlich von Freiburg. Eine "Zeitreise", nicht mehr und nicht weniger, verspricht die zweieinhalb Meter hohe Stele am Eingang zum Wald - und zwar gleich auf Deutsch, Englisch und Französisch. Der dreieckige Aufsteller ist einer von mehr als 50, die im ganzen Kandelbergland verteilt sind - dem Stück Südschwarzwald, das die Täler von Waldkirch, Simonswald, St. Peter und Glottertal einkreisen.


Kandel mit Charakter

Die Hexe Kandela, pfiffig gezeichnete Hausdame des Kandelbergs, präsentiert auf jeder Stele Geschichten: von mystischen Kräutersammlern und Skipionieren, von Bauern, die einst an den felsigen Abhängen Hütten bauten, von Kräften, die einen Berg verschwinden lassen können oder von so starker erneuerbarer Energie, dass sie eine ganze Fabrik mit Strom versorgen kann. Das sind die Themen, die den Charakter dieser Gegend ausmachen. Und den zu ermitteln war gar nicht so leicht. 2006 haben die Freiburger Geografinnen Monika Nethe und Anna Chatel gemeinsam mit dem Landratsamt Emmendingen und den umliegenden Gemeinden das Projekt "Kandel - Berg der Kräfte" gestartet. Was ist das Einzigartige am Kandel? Was haben seine Bewohnerinnen und Bewohner über ihr Leben auf dem Land und über ihre Vorfahren zu berichten? Wie lässt sich das Gebirge für Touristinnen und Touristen attraktiver gestalten, damit sie nicht nur den Schauinsland auf ihre Reiseroute setzen? "Der Kandel ist von der Rheinebene her gesehen so markant", erzählt Nethe. "Mit seinen 1.250 Metern ist er ist der dritthöchste im Südschwarzwald und sein steiler Aufstieg wie ein richtiger Alpenpass." Und er stecke voller Geheimnisse, die man beim Wandern und Spazieren entdecken könne.

Das gilt auch für den Wald Zweribach. Ein Blick in das dunkle, kühle Grün, wo der 40 Meter hohe Wasserfall herunterdonnert, verrät: Da scheint einiges verborgen zu sein - zwischen Tannen und Buchen, zwischen Steinbrocken, über denen dicke Moosteppiche wachsen, und Baumstämmen, die auf dem Boden brach liegen. Fliegen summen um Walderdbeersträucher, Wasser gurgelt zwischen den Steinspalten, ab und zu kraxeln ein paar Wanderer mit Nordic Walking Stöcken den felsigen Weg zur Platte hoch, einer Ebene auf knapp 1.000 Höhenmetern, wo ein Windrad neben dem anderen aus der Erde ragt. "Der Zweribach ist nur zu Fuß erreichbar", sagt Monika Nethe. "So stellt man sich doch eigentlich einen richtigen Märchenwald vor."


Unberührte Natur - wären da nicht Zeichen, die auf Zivilisation verweisen, auf Menschen, die einst im Zweribach siedelten: Mitten an dem Felshang türmen sich verwitterte Steine zu einer kleinen Mauer - die Überbleibsel des ehemaligen Heidenschlosses, in dem Anfang des 20. Jahrhunderts Tagelöhner lebten. "Wir möchten auf solche Spuren aufmerksam machen und zeigen, was für eine bewegte Geschichte der Wald hinter sich hat", erzählt die Geografin. Seit 41 Jahren ist der Zweribach ein Naturschutzgebiet, auf 80 Hektar soll ein so genannter Bannwald gedeihen - ein "Urwald" ohne den Eingriff von Förstern, die zum Beispiel vom Sturm ausgerissene Baumstämme wegkarren. Jahrhundertelang wurde das Gebiet gerodet, diente Bauern aus der Gegend und Mönchen des Klosters St. Peter als wichtige Einnahmequelle. "Wenn man bedenkt, dass nur noch kümmerliche Reste vom Wald zurückgeblieben waren, ist es unglaublich, in welch kurzer Zeit er sich wieder so gut regenerieren konnte", sagt Nethe. Die Natur kämpft sich zurück, erobert sich ihren Platz, "wenn man sie nur lässt".


Freie Wahl im wilden Wald

Für "Kandel - Berg der Kräfte" haben die Freiburger Geografinnen nicht nur vor Ort recherchiert, sondern auch neueste Forschungsartikel durchgearbeitet, um daraus allgemein verständliche Texte für die Stelen zu schreiben. Unterstützt wurden sie von ihren Studierenden, die im Rahmen eines Seminars am Projekt beteiligt waren. Vor allem die Zusammenarbeit mit Menschen, deren Familien seit mehreren Generationen in dem Gebiet wohnen, habe Monika Nethe und Anna Chatel dabei geholfen, "wahre und authentische Geschichten zu sammeln, die nicht in Büchern stehen".

Besucherorientierte Interpretation heißt die Methode, mit der die Wissenschaftlerinnen das Kandelbergland erschlossen haben. Im Gegensatz zu Lehrpfaden, die oft nur Fakten vermitteln, werden die Besucher über Geschichten an Wissenswertes herangeführt. Ob auf der Suche nach mittelalterlichen Spuren durch den Urgraben, bei einem gemütlichen Spaziergang auf der asphaltierten Platte oder beim Aufstieg durch den wilden Zweribachwald: Die Stelen sowie drei Broschüren informieren über die Themen Vegetation und Forstwirtschaft, Geologie, Landwirtschaft, Sport, Bergbau, Mythen oder regenerative Energie.

Der Weg durch den Zweribach gehört zu den anstrengendsten Routen auf dem Kandel, aber auch zu den geheimnisvollsten. Da marschiert auch eine 100-köpfige Truppe Pfadfinder gerne durch den Wald, klettert über Steinbrocken und wuchtige Wurzeln, hangelt sich an der Leine entlang, die den Wasserfall umsäumt. Zugegeben: Einen Drachen werden die Jungs im Gestrüpp nicht finden. Aber vielleicht wartet oben eine Prinzessin.


www.kandelbergland.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:


Baum an Baum, grün an grün: Für diesen Ausblick nimmt man auch den 400 Meter steilen Aufstieg über Stock und Stein durch den Zweribach in Kauf.

Mit Hut, Katze und Humor: Hexe Kandela erzählt Geschichten über das Leben auf dem Kandel. Zeichnung: Schaps


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Quelle:
uni'leben - 04/2011, Seite 1
Herausgeber: Albert-Ludwigs-Universität Freiburg,
der Rektor, Prof. Dr. Hans-Jochen Schiewer
Redaktion: Eva Opitz (Redaktionsleitung),
Rimma Gerenstein, Nicolas Scherger
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. September 2011